Dies ist ein Archiv der ruprecht-Webseiten, wie sie bis zum 12.10.2013 bestanden. Die aktuelle Seite findet sich auf https://www.ruprecht.de

ruprecht-Logo Banner
ruprecht/Schlagloch-doppelkeks-Jubiläum
Am 13.10. feiern wir 25 Jahre ruprecht/Schlagloch und 10 Jahre doppelkeks [...mehr]
ruprecht auf Facebook
Der aktuelle ruprecht
ruprecht vor 10 Jahren
Andere Studizeitungen
ruprechts Liste von Studierendenzeitungen im deutschsprachigen Raum
ruprecht-RSS
ruprecht-Nachrichten per RSS-Feed
 Hochschule
18.06.2009

Die "Freie Universität Heidelberg"

Innenansichten aus der besetzten Alten Universität

Die handgemalten Plakate sind ein seltsamer Kontrast zur ehrwürdigen Fassade der Alten Universität. Auch innerhalb des Gebäudes spielt sich Ungewöhnliches ab: Die Besetzer fühlen sich hier wie zuhause, diskutieren, organisieren - und putzen.



Die handgemalten Plakate sind ein seltsamer Kontrast zur ehrwürdigen Fassade der Alten Universität. Auch innerhalb des Gebäudes spielt sich Ungewöhnliches ab: Die Besetzer fühlen sich hier wie zuhause, diskutieren, organisieren - und putzen.

Die Fassade der Alten Universität ist mit Spruchbändern gepflastert. Vor dem Eingang stehen zwei Tische, zwischen denen sich jeder durchzwängen muss, der ins Innere will. Nicht weil die Tische eng beieinanderstehen, sondern ein andauerndes Kommen und Gehen herrscht. Der Uniplatz ist gegen 18 Uhr von etwa 50 Studenten bevölkert, die sich neueste Nachrichten erzählen oder über die Themen im großen Plenum austauschen, das bereits den ganzen Tag über im Senatssaal tagt.

Von einem Pulk umringt steht Philosophie-Professor Andreas Kemmerling. Auch sein Institut ist besetzt und hatte am Morgen einige fachfremde Magisterkandidaten beherbergt. Diese waren am Donnerstag morgen gegen acht Uhr vor der Alten Universität aufgetaucht, um dort die Prüfung abzulegen.Weder Rektorat noch die zentrale Universitätsverwaltung hatte ihnen Bescheid gesagt, dass ihr Prüfungsraum der Senatssaal der Alten Uni besetzt ist, geschweige denn eine Ausweichmöglichkeit organisiert.

Gut organisiert

Schnell hatten die Streikenden dafür gesorgt, dass die Prüfungen im Philosophischen Institut stattfinden konnten. Nach absolvierter Prüfung befragten die Streikenden, ob die Bedingungen für die Prüfling in Ordnung gewesen seien. Den "Aktivisten", so nennen sich viele, zufolge habe sich keiner über den spontanen Umzug beschwert. Im Gegenteil hätten einige sogar die Besetzung begrüßt.

Ãœberhaupt sind die Besetzer gut organisiert. In der Alten Uni fegen Putzkolonnen regelmäßig den Boden oder räumen Müll einiger Besucher weg, die weniger Disziplin an den Tag legen. Man achtet auf Sauberkeit. Schließlich will keiner Rektor Bernhard Eitel unnötige Angriffsfläche bieten oder gar durch Vandalismus auffallen. Wie auch immer die Besetzung ausgeht - Eitel wird seinen Amtssitz besenrein zurückbekommen.

"Bitte keine Fotos mehr"

Über dem Eingang ergänzt ein Banner "Freie" den alten Schriftzug "Universität Heidelberg". Dahinter ist das Kunstgebilde der beiden stilisierten Tore mit den Lettern "Semper Apertus" - immer offen - zu Litfaßsäule umfunktioniert. An den Stahlstreben sind schwarz-weiße Fotoausdrucke Bilder von der Demonstration am Mittwoch mit Tesafilm befestigt.

Und wirklich ist die Alte Universität derzeit immer offen. Auch die Flügeltüren zum Alten Senatssaal, wo fast alle Sitzungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden, stehen sperrangelweit offen.

Darin tagt das große Plenum, das nicht nur den Forderungskatalog diskutiert, sondern alle Entscheidungen, wie Rauchverbot, Putzdienst oder auch den Umgang mit der Presse basisdemokratisch beschließt. So entschied dieses Gremium auch, dass ab Donnerstag 19 Uhr im Inneren der Alten Uni das Fotografieren untersagt ist. Grund dafür sind die Bedenken einer Beraterin des linken Rechtshilfevereins "Rote Hilfe". Da die Besetzung illegal ist, könnten von der Presse fotografierte Personen später identifiziert und für die Beteiligung an der Aktion zur Rechenschaft gezogen werden.

Hände schütteln statt Dazwischenrufen


Auch im Plenum herrscht ein Kommen und Gehen. Jeder darf sich zu Wort melden und hat bei Entscheidungen eine Stimme. Doch auch hier haben sich die Streikenden ein strenges Reglement auferlegt. Wer etwas sagen will, muss sich melden und kommt auf eine Redeliste, die nacheinander abgearbeitet wird.

Um Atmosphäre und Lautstärke der Diskussion ruhig zu halten, dürfen die Teilnehmer ihre Zustimmung oder Ablehnung nicht mit Zwischenrufen, sondern per Handzeichen ausdrücken. Dabei kommt es für Neuankömmlinge im Plenum zu bizarr anmutenden Szenen. Während einer Rede fangen etliche Zuhörer plötzlich mit erhobenen Händen zu wackeln (Zustimmung) oder sie schütteln sie mit gesenkten Armen vom Körper weg (Ablehnung). Doch das System funktioniert. Die "Zurufe" per lautloser Kommunikation sind zahlreich und die Redner reagieren auch darauf - besonders die Zuhörer beide Hände übereinanderrollen und so "Du wiederholst Dich" signalisieren.

Barrikaden gibt es nur drinnen

Trotzdem sind die Diskussionen lang, aber nicht ineffektiv. Alle versuchen einen möglichst breiten Konsens zu finden, schlagen Formulierungen für den Forderungskatalog vor. Wer erschöpft ist, verlässt den Saal und bedient sich am aufgebauten Buffet im Vorraum, dass zum Teil die Streikenden selbst gekauft haben, aber auch Sympathisanten spendeten.

Im ersten Stock, wo sich mit der "Bel Etage" die Empfangsräume des Rektors und die Alte Aula befinden, hängt ein etwa zehn Meter langes gelbes Transparent. Die Tür zur "Bel-Etage" und der Zugang zur Alten Aula sind mit massiven Tischen blockiert.

Zeltlager Alte Uni

Schlafsäcke, Isomatten, Pullover, Handtaschen, Lebensmittel und Wasserflaschen liegen auf den Gängen, wo 50 Streikende die Nacht verbracht hatten. Erinnerungen ans Zeltlager kommen in den Sinn. Nur dass man selten auf den Steinböden eines mehrere hundert Jahre alten Gebäudes übernachtet.

Am Eingang des Rektorats im zweiten Stock ist die Linse der Überwachungskamera ist mit einem Bildungsstreik-Aufkleber blind gemacht worden. Ein langer Tisch und ein hochkant stehender Aktenschrank blockiert die Tür. Da der Rektor am Mittwoch sein Amtszimmer über eine Feuerleiter verließ, wollten die Streikenden alle Räume blockieren, durch die ungebetene Gäste von außen ins Gebäude eindringen könnten.

Im Senatssaal diskutiert das Plenum gerade die letzte Fassung des Forderungskataloges, der möglichst bald an die Presse gehen soll. Eine Wortmeldung, ob man diese Diskussion nicht verschieden könne, weil andere Punkt wichtig sind. Viele quittieren diese mit hefigem Händeschütteln vom Körper weg.

Die Diskussion geht weiter.

von Reinhard Lask
   

Archiv Hochschule 2024 | 2023 | 2022 | 2021 | 2020 | 2019 | 2018 | 2017 | 2016 | 2015 | 2014 | 2013 | 2012 | 2011 | 2010 | 2009 | 2008 | 2007 | 2006 | 2005 | 2004