19.06.2009
Kein Ort für revolutionäre Gedanken
Das 21. Heidelberger Symposium war drei Tage auf Glückssuche
Der Heidelberger Club für Wirtschaft und Kultur suchte in diesem Jahr nach Wegen zum "Glück für alle!". Von Komik bis zur Platitüde war viel geboten. Über die inhaltlichen Durststrecken halfen sich die 650 Besucher untereinander hinweg.
Der Heidelberger Club für Wirtschaft und Kultur suchte in diesem Jahr nach Wegen zum "Glück für alle!". Von Komik bis zur Platitüde war viel geboten. Über die inhaltlichen Durststrecken halfen sich die 650 Besucher untereinander hinweg.
Während der drei Veranstaltungstage sollte dem Glück gründlich auf die Spur gegangen werden. Dabei schien es weniger um das individuelle als das kollektive Glück zu gehen. So las man im Vorwort des Tagungshandbuchs die rhetorische Frage, ob Glück als allgemeines politisches Gut zu verstehen sei. Die Antwort war mit dem Zitat des Philosophen Karl Raimund Popper bereits vorweg genommen: „Von allen politischen Idealen ist der Wunsch, die Menschen glücklich zu machen, vielleicht der gefährlichste. Der Versuch, den Himmel auf Erden einzurichten, produziert stets die Hölle.“
Eine erste Antwort gab es zu Beginn: Für die Verwirklichung des persönlichen Glücks ist Freiheit wichtig. Sie sei notwendige Bedingung für das individuelle Streben nach Glück. Im derart abgesteckten Rahmen war der Uniplatz kein Ort für revolutionäre Gedanken, sondern eine Brutstätte republikanischer Vernunft.
Auf einige Referenten wirkte das Thema wie zugeschnitten, so dass einen der Verdacht beschlich, Themen- und Referentenfindung müssten sich simultan abgespielt haben. Vielleicht hatten die Veranstalter aber auch selber großes Glück gehabt, an solche Schwergewichte der Glücksexegese gekommen zu sein. Mit Wladimir Kaminer und Eckart von Hirschhausen waren die beiden aktuell bekanntesten Apologeten des schönen Gefühls zu Gast. Dabei zog Comedian von Hirschhausen im Arztgewand auf die Suche nach dem Glücksrezept in seinen Bann. Für ihn sind Glück wie Diäten, für die es eben verschiedenste Rezepte gibt, die auf unterschiedlichen Wegen zum Ziel führen können.
Gespaltener war die Reaktion auf Wladimir Kaminer. Der sympathische Wahlberliner verblüffte eingangs mit dem Eingeständnis, überhaupt nicht vorbereitet zu sein: "Ich haben mich mit dem Thema das erste Mal bei den Ankunft am Bahnhof auseinandergesetzt", gab Kaminer zu. Dementsprechend improvisiert gestaltete sich sein Ausflug in die Welt des Glücks. Um den schwachen Versatzstücken Kontur zu verleihen, übte er die Interaktion mit dem Publikum: Es sollte ihm Fragen stellen. So gelang es dem Schriftsteller diese Provokation halbwegs elegant aufzulösen und mit einigen brillanten Antworten zu bestechen.
Die Frage nach seinem Seelenzustand offenbarte Kaminer, dass er gar nicht glücklich sein will. "Wer in unserer Welt glücklich ist, ist entweder ein Dummkopf oder ein Arschloch", provozierte er. Eingeengt zwischen Nichtwissen und Zynik bleibe dem aufgeklärten Menschen heutzutage nur übrig jeden Anflug von Zufriedenheit souverän zurückzuweisen. Folgerichtig attestierte er der notorischen Selbstreflektion der Deutschen, die periodisch im Befund des Unglücklichseins ende, eine sisyphosische Tragik.
Als ausgesprochen unglückliches Highlight entpuppte sich die erste große Podiumsdiskussion. Hier diskutierten Wirtschaftswissenschaftler und der Heidelberger Bundestagsabgeordnete Lothar Binding (SPD) über das "Glück in der Marktwirtschaft". Von einem tapferen Moderator geführt, kämpfte sich die Runde ermattet von Stichwort zu Stichwort. Statt die aktuelle Krise zur radikalen Bestandsaufnahme zu nutzen oder nach neuen Lösungsansätzen zu suchen, ödeten die Referenten sich und das Publikum mit Allgemeinplätzen an. Dass zum Glück auch faire Löhne und gute Arbeitsbedingungen gehören war keine besonders neue Erkenntnis. Ebenso bekannt war auch die Einsicht, die Krise erfordere eine Anpassung unserer tradierten Glücksvorstellungen. Bei soviel Platitüden wunderte es nicht, dass der Zuruf "Geld allein macht nicht glücklich" aus dem Publikum, Begeisterungsstürme auslöste.
Getreu dem Veranstaltungsmotto "Glück für alle" fanden die Besucher dies eher abseits des engen Veranstaltungsprogramms bei den vielen kleinen Gespräche im Symposiumszelt. Dort fand der weitaus lebhaftere Gedankenaustausch statt.
von Stefan Bornecke