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StudiLeben
17.02.2010
Studienabbruch: Chance oder Schande? Ist eine Karriere auch ohne Studienabschluss möglich? Erschien erstmals am 5. September 2006, in der ruprecht-Ausgabe 101 Die Frage, ob Studienabbrecher weniger Chancen haben, wurde von unseren Experten aus unterschiedlichen Positionen beleuchtet. Zu einem eindeutigen Ja oder Nein kam keiner von beiden. Andreas Menzinger brach sein Psychologie-Studium im fünften Semester ab und ist Mitbegründer einer erfolgreichen Filmproduktion. Jörg Tauss ist Lebensversicherungskaufmann und seit 1994 Mitglied des Bundestages.
Andreas Menzinger Gesellschafter der Referenz Film GmbH in Würzburg
Es gibt viele Menschen, die sich in den meist verkrusteten Strukturen großer Unternehmen nicht wohl fühlen, Menschen, für die es vielleicht mehr bedeutet, ihre Ideen und Meinungen äußern und umsetzen zu können, ohne auf Unternehmens-, Macht-, und Positionspolitik Rücksicht nehmen zu müssen. Falls Sie Ihre Zukunft nicht in einem der großen Unternehmen sehen, dann ist ein Abbruch vielleicht sinnvoll. Dabei ist nicht der Abbruch an sich das Hauptproblem, sondern der Zeitpunkt. Wäre die Entscheidung früher gefallen, so hätten die Studenten bei gleichem Ergebnis weniger Zeit verschwendet. Bei der Besetzung von Ausbildungsplätzen werden Studienabbrecher häufig bevorzugt. Sie haben bereits Lebenserfahrung gesammelt, sind in der Regel selbständiger und haben häufig in der Ausbildung mehr Durchhaltevermögen. Viele mittelständische und kleine Unternehmen bevorzugen Studienabbrecher, da die Gehaltsforderungen in der Regel niedriger sind. Wenn Sie dann rechnen, dass Sie zehn Jahre mit 70 Prozent des Gehaltes arbeiten, während der Kommilitone nach einem um vier Jahre längeren Studium nur sechs Jahre bei 100 Prozent arbeitet, ist das Einkommen des Studienabbrechers für diesen Zeitraum trotzdem höher. In fast allen mittelständischen Unternehmen werden nach zehn Jahren Berufserfahrung die Personalentscheidungen nicht mehr auf der Basis des Studienabschlusses, sondern nach Leistung getroffen. Ein verlockendes Angebot, sozusagen die Chance Ihres Lebens, kann auch zum Abbruch bewegen. Der Arbeitsmarkt ist voller Menschen, die den Rest Ihres Lebens darüber nachdenken: „was wäre ich heute, wenn ich damals das Angebot angenommen hätte“. Die gängige Meinung ist, dass nur das solide Studium eine stabile Basis für den beruflichen Erfolg darstellt, allerdings verwundert es, wie viele Menschen in beruflichen Tätigkeitsfeldern erfolgreich sind, die mit dem Studium nichts mehr zu tun haben. Wie sinnvoll war die Zeit, die Sie in ihr Studium investiert haben? Erfolgreiche Quereinsteiger“ sind ein Beweis dafür, dass berufliche Leistung nicht das Ergebnis des vorangegangen Studiums ist, sondern auch ein Ergebnis der individuellen Fähigkeiten und der Persönlichkeit sein kann. Der Studienabbruch ist eine Entscheidung, die jeder für sich treffen sollte, basierend auf seiner Persönlichkeit und seinen Zielen. Wenn Sie sich mit diesem Gedanken beschäftigen, dann sollten Sie sich so früh wie möglich entscheiden. Jörg Tauss Ehemaliger Bildungs- und forschungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag
Innerhalb der OECD-Länder liegt die Quote der Studienanfänger, die den von ihnen angestrebten Hochschulabschluss nicht erreichen, bei durchschnittlichen 30 Prozent. Wo liegen die Ursachen dafür, dass auch in Deutschland von 100 Studienanfängern lediglich 70 das Studium beenden? Können wir uns den langfristigen Mangel an hoch- und höchstqualifizierten Arbeitskräften leisten? Welche Konzepte und Instrumente sind geeignet, die Quote der Studienabbrecher zu minimieren und die Zahl der Studienanfänger zu steigern? Häufig werden insbesondere zwei strukturelle Gründe für die hohe Studienabbruchquote in Deutschland genannt. Zum einen eine oft ungesicherte Studienfinanzierung, zum anderen eine falsche Studienwahl. Annähernd 70 Prozent der Studierenden in Deutschland geben an, dass Sie parallel zum Studium einer Erwerbstätigkeit nachgehen. 50 Prozent davon geben an, dass durch die Erwerbstätigkeit das Studium überhaupt erst finanzierbar ist. Diese offenbar notwendige Erwerbstätigkeit lässt sich aber immer weniger mit den zeitlichen Anforderungen der Lehrveranstaltungen in Einklang bringen. Insbesondere Studierende, deren finanzielle Unterstützung durch das Elternhaus – zumeist Arbeiterhaushalte – nur unzureichend ausfällt, sind auf eine erhöhte Erwerbstätigkeit angewiesen. Dem muss entgegengewirkt werden. Wichtig ist es aber, den studienwilligen jungen Menschen so früh wie möglich Information über Studienmöglichkeiten und den damit verbundenen Tätigkeitsprofilen und Berufsperspektiven zu vermitteln. Leider wird immer wieder festgestellt, dass junge Menschen oftmals erst nach sieben oder acht Semestern erkennen, dass das gewählte Studienfach nicht den Vorstellungen entspricht oder aber nicht zum gewünschten Berufsziel führt. Es ist daher zu unterstützen, dass in den vergangenen Jahren sowohl Schulen, als auch Hochschulen und die Studentenwerke ihr Beratungsangebot ausgebaut und intensiviert haben. Zur Beratung gehört auch die Darstellung alternativer Berufswege (Berufsakademien, Fachhochschulen), um so möglichen Enttäuschungen entgegenzuwirken. Ob diese Initiativen den gewünschten Erfolg haben, werden nicht zuletzt die kommenden Studien zum Thema Studienabbruch zeigen. Eines sollte dennoch klar sein: Für die Gesellschaft sollte die Frage des Studienabbruchs keine Frage der Moral sein. Sie muss die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass junge Menschen entsprechend ihrer Fähigkeiten auch ein erfülltes und selbstbestimmtes Erwerbsleben führen können.
Der Artikel erschien ursprünglich am 5. September 2006, in der ruprecht-Ausgabe 101. |