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Interview
03.12.2011
Europa am Scheideweg Georgios Matsos über die Möglichkeiten Griechenlands in der Krise Wir trafen den Juristen Georgios Matsos im Anschluss an seinen Vortrag „Europa am Scheideweg. Die griechische Finanzkrise.“ Er schlägt eine bedingungslose Finanzierung für Griechenland innerhalb des Euro vor, die auf etwa anderthalb Jahre begrenzt ist. Das Gespräch führten Rebecca Reinhardt und Reinhard Lask. ruprecht: Herr Matsos, wie beurteilen Sie die aktuelle Situation Griechenlands? Georgios Matsos: Die Wirtschaftslage ist sehr schlecht. Anfangs fürchtete man, dass Griechenland durch die Sparprogramme in eine „Todesspirale“ gelangen könnte. Dies ist jetzt tatsächlich eingetreten. Aufgrund der knappen Finanzierung der Wirtschaft, sowohl vom Staat als auch den Banken, schlossen viele Unternehmen. Inwieweit sind die Ursachen in Griechenland zu suchen und welche Rolle spielt die Euro-Mitgliedschaft? Man muss sich fragen, inwieweit die Euro-Mitgliedschaft derzeit eine effektive Finanzierung Griechenlands und damit mögliche Auswege aus der Krise verhindert. Die Frage ist, ob man heute auf eigenen Beinen stehen kann bei einer „fremden“ Währung, über die man keine Kontrolle hat. Der Euro war für gute Zeiten entworfen. Wie war das zu Beginn der Krise? Die Euro-Mitgliedschaft hat am Anfang der Krise 2009 keine Rolle gespielt. Griechenland hatte die Weltwirtschaftskrise 2008 und 2009 gut überstanden. Die hohen Defizite resultierten damals daraus, dass die Defizitbekämpfungspolitik nach 2004 überwiegend auf starkem Wachstum basierte. Als das Wachstum endete, hatte Griechenland ein höheres Defizitproblem als andere Eurostaaten. War es eine präventive Entscheidung? Nein. Die Kreditwürdigkeit Griechenlands wurde absichtlich zerstört, damit das Volk keine andere Wahl hatte, als die Entscheidung für das Hilfspaket zu unterstützen. Schließlich habe Griechenland keine Löhne und Pensionen mehr zahlen können. Nur wenige, dazu zählte auch ich, haben damals den Aussagen der Regierung nicht geglaubt. Sie glauben, dass die Regierung die Kreditwürdigkeit des eigenen Landes zerstört hat? Ja. Ende 2009 und 2010 war die Schwarzmalerei der Regierung überall. Wenn die Situation tatsächlich so schlecht gewesen wäre, hätte die Regierung zumindest Sparmaßnahmen treffen müssen. Diese hatte man Europa versprochen, aber sie kamen nicht. Erst am 3. März 2010 hat man die ersten Sparmaßnahmen beschlossen. Fast sechs Monate hatte die Regierung Papandreou vorher die Wirtschaft schlechtgeredet. In der Bildzeitung stand, dass das griechische Volk zu wenig arbeiten würde und die Rentenzahlungen zu hoch seien. Gehörte das auch zur Propaganda? Das hat nicht die Bild-Zeitung zuerst gesagt, sondern unser Ministerpräsident. Die ausländischen Zeitungen haben das nur übernommen. Das waren auch ganz schöne Schlagzeilen. Welches Interesse hatte die Regierung daran? Das ist nicht klar. Eine fast harmlose Erklärung wäre, dass die Regierung nicht der Bösewicht sein wollte, der die Sparmaßnahmen beschließt, sondern Sündenbocke suchte. Das waren der IWF und Deutschland. Das ist also nicht der Grund, warum Griechenland heute Defizite hat? Nein. Griechenland hatte 2009 Defizite wegen der Weltkrise. Punkt. Natürlich hatte man auch wirtschaftliche Probleme. Unsere Wirtschaft ist zwar keine Top-Wirtschaft, dass aber nun die Kreditwürdigkeit seit anderthalb Jahren völlig zerstört ist und für nicht absehbare Zeit bleibt, ist einmalig innerhalb der letzten 100 Jahre. Was gerade bei uns passiert, ist nicht normal. Was sehen Sie jetzt für Alternativen? Die erste Möglichkeit wäre eine EU-Finanzierung ohne neue Sparmaßnahmen, bei der die meisten Sparmaßnahmen beibehalten werden, zumindest für absehbare Zeit, bis Überschüsse erwirtschaftet werden. Das lässt sich mit den bestehenden Sparmaßnahmen schaffen. Ist denn die Rückkehr zur Drachme so leicht zu realisieren? Gibt es da keine rechtlichen Hindernisse? Die gibt es auch beim griechischen Bail-out und der Finanzierung durch die Europäische Zentralbank. Nur redet man darüber nicht. Bezüglich einer Abkehr vom Euro gibt es keine ausdrücklichen Verbote. Eine einstimmige Entscheidung der EU-Staaten wäre ausreichende rechtliche Basis dafür. Führt eine Rückkehr zur Drachme nicht zu erheblicher Kapitalflucht? Wird es dann nicht noch schwerer, die in Euro gemachten Schulden zurückzuzahlen? Es gibt bereits seit zwei Jahren eine starke Kapitalflucht. Die griechischen Banken sind dadurch fast schon zerstört worden. Wenn man die Rückkehr blitzschnell umsetzt, würde sie die Kapitalflucht beenden. Ein noch geringeres Vertrauen in die griechische Wirtschaft als derzeit kann ich mir nicht vorstellen. Daher kann die Drachme die Lage nicht mehr verschlechtern. Und die Schulden? Die griechischen Euro-Bonds müssten in Drachmen umgewertet werden, nicht aber die Darlehen der Hilfspakete. Wenn die ausländischen Banken Probleme mit der Bondsumwertung bekommen, müsste jeder Staat seinen Banken helfen, aber nicht Griechenland. Man hilft also nicht dem einzelnen Eurostaat, sondern den eigenen Banken, die auf den Euro vertraut haben. Dadurch könnte die Rückkehr zur Drachme sowohl für Griechenland erfolgreich sein, als auch für die Europartner, für die Banken und die Staaten. Also die Staaten kriegen noch Euro, die Banken kriegen Drachme mit Unterstützung, wenn es soweit ist und man dies braucht. Wäre die Rückkehr zur eigenen Währung auch für andere Staaten eine Option? Das kann ich nur schwer einschätzen. Heute sind zwar deren Probleme nicht so schwerwiegend wie die von Griechenland. Wenn es aber in Italien, Spanien, Portugal und Irland weiter solche Sparmaßnahmen gibt, wird es zu einer ähnlichen Situation kommen wie in Griechenland. Ist der Euro als gemeinsame Währung an sich das Problem oder seine Konstruktion? Darum geht es nicht. Griechenland hat derzeit nur ein Finanzierungsproblem und braucht nun aufgrund des Scheiterns der Hilfspakete tatsächlich eine EU-Finanzierung für begrenzte Zeit, bis die Staatsdefizite abgebaut sind. Die heftigen Sparmaßnahmen sind nur deswegen nötig, weil die Eurostaaten sonst innenpolitische Schwierigkeiten bekämen, die Finanzierung beim eigenen Volk zu rechtfertigen. Wenn Griechenland und andere Staaten den Euro verlassen, ist die gemeinsame Währung dann gescheitert? Nein. Die Erfahrung mit Griechenland zeigt, dass es so nicht weitergehen kann wie bisher. Es würde den Euro eher retten, wenn man Griechenland und anderen Staaten die Möglichkeit gäbe, eine eigene Währung zu führen. Man könnte sogar eine spätere Rückkehr in den Euro ermöglichen, wenn die Staaten in 10 oder 20 Jahren ihre Probleme gelöst haben. Was wird passieren, wenn alles so weitergeht wie bisher? Wenn man weiter auf die Sparmaßnahmen besteht, würde sich die Situation Griechenlands weiter verschlechtern. Die Wirtschaft würde noch tiefer in die „Todesspirale“ gelangen. Das Staatsdefizit würde sich trotz aller Maßnahmen weiter erhöhen. Die Bankrottstimmung würde alles zerstören.
Georgios Matsos, 1973 in Griechenland geboren, studierte Jura in Thessaloniki und erwarb 1997 seinen Master in Europäischem Recht in Brüssel. 2001 promovierte er an der Universität Bayreuth zu dem Thema „Investitionen deutscher Steuersubjekte in griechische Kapitalgesellschaften“. Derzeit ist Matsos als Gastwissenschaftler am Institut für Finanz- und Steuerrecht in Heidelberg. |