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 Feuilleton
26.12.2011

Schönes Versprechen, hässliche Realität

Podiumsdiskussion zur Flüchtlingsproblematik in Europa

Aufgegriffene Flüchtlinge in Sizilien. / Foto: Indymedia

43,7 Millionen Menschen, mehr als die Gesamtbevölkerung Polens, befinden sich laut Flüchtlingshilfswerk der UNO weltweit auf der Flucht. Ein Grund über Flüchtlingspolitik und deren Umsetzung, besonders in Deutschland, nachzudenken. Ergebnis: Es wird nicht genug getan.

Hört man, dass über 5000 Flüchtlinge, ausgelöst durch den arabischen Frühling in Libyen, zwangsweise in Ägypten und Tunesien gestrandet sind, mag man Betroffenheit fühlen. Erfährt man allerdings, dass bisher sieben von 27 EU-Staaten insgesamt nur 400 Aufnahmeplätze für die Flüchtlinge angeboten haben, darf man Unverständnis zeigen. Weiß man jetzt noch, Deutschland war keines dieser Länder, ist es durchaus angebracht, vor Scham den Kopf zu senken. 

Auch die hiesige Hochschulgruppe von Amnesty International findet dies bedenkenswert und lud deswegen am 15. November um 19:30 Uhr unter dem Titel „Recht auf Asyl - Bloßes Versprechen oder Realität“ zur Podiumsdiskussion in die Heidelberger Volkshochschule. Ungefähr 100 Zuhörer fanden sich, um Josef Winkler (Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen), Nikolaos Sakellariou (Landtagsabgeordneter der SPD), Berthold Münch (Rechtsanwalt), sowie Gudrun Sidrassi-Harth (Amnesty International, Landesbeauftragte BW für politische Flüchtlinge) über Thema „Recht auf Asyl - Bloßes Versprechen oder Realität“ debattieren zu hören. 

Doch eine Diskussion wurde es nicht, vielmehr ein gemeinsames Ansprechen der Probleme, eine meist einstimmige Kritik der gegenwärtigen europäischen und innerdeutschen Situation der Flüchtlingspolitik und ein Aufruf zu besserem Umgang mit Flüchtlingen und Asylanten. Einzig Sakellariou wurde teilweise in die Defensive gezwungen. Als Mitglied der gegenwärtigen Regierungskoalition in Baden-Württemberg besäße die unmittelbare Möglichkeit die aktuellen Gesetzeslage zu ändern – zumindest in einem Bundesland.

Ebenfalls verstärkt wurde die überwiegende Ãœbereinstimmung durch die Abwesenheit von Repräsentanten der CDU oder FDP. Die Amnesty-Hochschulgruppe hatte dort angefragt, ob Interesse an einer Diskussionsteilnahme bestehe. Trotz und vielleicht gerade wegen dem Ausbleiben von möglichen Schuldzuweisungen zwischen den verschiedenen Parteien, wurde an diesem Abend eine wichtige Debatte geführt, bei der prägnante Themen innerhalb der Flüchtlingsproblematik, wie die Dublin-II-Verordnung, klar angesprochen wurden. Diese regelt die Zuständigkeit der EU-Mitgliedsstaaten für Asylbewerber und bestimmt, dass Asylanträge in dem Land bearbeitet werden müssen, wo sie zuerst eintreffen, auch wenn ein Asylantrag in einem anderen EU-Staat gestellt wurde. 

Problematisch ist hier vor allem eine einseitige Verteilung der Asylanträge auf Länder wie Spanien, Italien und Griechenland, die zur Überlastung der dortigen Behörden führen kann. Rechtsanwalt Münch zufolge liege die Ursache hierfür in einem fehlenden internes Ausgleichssystem. Speziell Griechenland müsse wegen seines Umgangs mit Flüchtlingen scharf kritisiert werden. Winkler bescheinigte dem dortigen Asylverfahren ebenfalls „kafkaeske Züge“ und berichtete von „unmenschlichen Bedingungen“ vor Ort.

Des Weiteren mahnt das Asylbewerberleistungsgesetz zur näheren Betrachtung, welches die Sozialleistungen für hilfsbedürftige Asylbewerber und Geduldete auf Bundesebene bestimmt und diesen ein Existenzminimum sichern soll. Die Sozialleistungen bestehen überwiegend aus Sachleistungen in Form von Gutscheinen. Höchst bedenklich sei hier, dass die Leistungssätze seit 1993 nicht an die Preisentwicklung angepasst wurden. Auch Berthold Münch bezeichnete das Gesetz als einziges, „in dem noch D-Mark statt Euro“ stehe. 

Anzuprangern sei zudem das mangelnde Engagement der Entscheidungsträger das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe einzuschalten, um sich mit dem Gesetz beschäftigen. Und das obwohl mehrere Landesgerichte es als verfassungswidrig charakterisierten, da es das geforderte Existenzminimum nicht gewährleiste. 

Ein weiteres Diskussionsthema ist die Frage nach der sogenannten Residenzpflicht, welche innerhalb der EU nur in Deutschland existiert und Asylbewerber und Geduldete dazu verpflichtet, sich in dem Bezirk oder Landkreis aufzuhalten, in dem die für ihn befugte Ausländerbehörde liegt. Ausflüge in eine andere Region macht sie anmelde- und gebührenpflichtig. Auf den ersten Verstoß droht eine Bußgeldstrafe, der zweite ist eine Straftat. Sakellariou versicherte jedoch, dass die Residenzpflicht in Baden-Württemberg abgeschafft werde. 

Die Podiumsdiskussion zeigte eindeutig: Einiges muss noch verbessert werden, wenn aus der hässlichen Realität, die viele Flüchtlinge und Asylbewerber in Deutschland und Europa erleben, eine zukunftsfähige Gegenwart werden soll. Gut, wenn man darüber redet. Noch besser, wenn etwas getan wird.

von Felix Arend
   

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