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 Feuilleton
29.01.2013

„Ich bin ein SpĂ€tzĂŒnder“

Der Heidelberer Lyriker Michael Buselmeier im Portrait

2011 urplötzlich eine nationale GrĂ¶ĂŸe: Michael Buselmeier / Foto: Ingo Wilhelm

Aktuell ist der Heidelberger Lyriker und Chronist im GesprĂ€ch mit seinem neuen Band „Dante deutsch“. Dies war Anlass fĂŒr einen Besuch, in dem er nicht nur aus seinem Leben, sondern vor allen Dingen auch zur Entstehungsgeschichte von „Dante deutsch“ erzĂ€hlt. Besonders schön: Seine souverĂ€ne Bescheidenheit.

Michael Buselmeier wurde am 25. Oktober 1938 in Berlin geboren und lebt seit 1939 in Heidelberg. Aufgewachsen in der Nachkriegszeit, studierte er in Heidelberg Germanistik und Kunstgeschichte. Wie vor 17 Jahren, als der ruprecht ihn das letzte Mal sprach, wohnt er abgelegen in Rohrbach. Im Mittelpunkt stehen ist nicht seine Sache. FĂŒr seinen 75. Geburtstag lehnte Buselmeier eine große Feier ab, wie es die Stadt angeboten hatte. „Aber es wĂ€re schön, wenn sie eine Neuauflage von ‚Der Untergang von Heidelberg‘ finanziert", in dem er anschaulich den Zerfall der linken Bewegung in Heidelberg Anfang der 70er Jahre beschrieb.

Das GesprĂ€ch beginnt aber mit einer ĂŒberraschenden Aussage Buselmeiers: „Machen und schreiben Sie, was Sie wollen. Was Sie schreiben, sagt in erster Linie etwas ĂŒber Sie aus“. Damit hatte Buselmeier Recht, doch Ă€ußerte er dies mit Blick auf die Autorisierung von Zitaten, heutzutage eher ungewöhnlich. In Zeiten, in denen jeder verzweifelt versucht, seine Außendarstellung neurotisch zu steuern, ist das fast schon schockierend. Angesprochen darauf, ob er als nun anerkannter Heidelberger Autor, der von seiner linksradikalen Vergangenheit abgerĂŒckt ist, Parallelen zwischen sich und der Geschichte der Stadt Heidelberg selbst sieht, die heute ebenfalls ein eher gemĂŒtliches Pflaster ist, antwortet er lediglich: „FĂŒr Stadtgeschichte habe ich mich eigentlich nicht interessiert, das Interesse fĂŒr Geschichte kam bei den Linken erst in den 80ern.“ 

Hiermit deutet Buselmeier an, dass er einige VerĂ€nderungen durchgemacht hat und dementsprechend selbstkritisch Ă€ußert er sich auch ĂŒber die Zeit, in der er in einem wesentlichen Kapitel der Heidelberger Stadtgeschichte mittendrin war: Die Studentenunruhen der 70er Jahre.  Zentrum der Studenten war damals das sogenannte "Collegium Academicum", das GebĂ€ude der heutigen UniversitĂ€tsverwaltung: „Wir waren linksradikal und in unseren Publikationen so abgehoben. Wir bestanden aus mehreren Sekten, die sich auch untereinander bekriegten. Ich war bei der Spontisekte und dann gab es noch fĂŒnf Mao-Sekten, Trotzkisten und so weiter. Es war völlig absurd.“

1975 wurde das GebĂ€ude der UniversitĂ€tsverwaltung ĂŒbertragen. Noch bis zum 6. MĂ€rz 1978 hielten 200 Studenten das GebĂ€ude besetzt. Doch dann kam ein riesiges Polizeiaufgebot von 1500 EinsatzkrĂ€ften, um es zu rĂ€umen. Mit dabei war der spĂ€tere GrĂŒnen-Vorsitzende Reinhard BĂŒtikofer, woran sich Buselmeier noch genau erinnert: „Reinhard stand in dieser Nacht auf dem Tisch und rief uns zu den Waffen. Es stand ein vergammelter VW herum, den haben wir vor das Tor geschoben, wir hatten der Polizei also nichts entgegenzusetzen.“

Wie viele aus der damaligen Studentenbewegung, musste sich auch Buselmeier damals ĂŒberlegen, wie es nun weiter geht. „In die Politik, zu den GrĂŒnen zum Beispiel, wollte ich nicht. Ich wollte wieder Gedichte und Prosa schreiben, das wollte ich aber nicht politisieren.“ Seit 1976 schrieb er schon in der linksliberalen Heidelberger Rundschau, die ab 1983 Communale hieß. „Da waren anfangs die lieben Sozialdemokraten, die keinem weh tun wollten, mit denen ich erst nicht an einem Tisch sitzen wollte. 1976 ging das aber inzwischen.“

"Da entstand so eine Aggression"

Das Ende der linksradikalen Szene, aber auch wie er sich von ihr distanzierte, beschreibt Michael Buselmeier in „Der Untergang von Heidelberg“, 1981 im Suhrkamp-Verlag erschienen. GeprĂ€gt ist dieses Buch auch von den Erfahrungen bei der Erziehung seiner Tochter im linksalternativen Kinderhaus Neuenheim. „Ich musste den ganzen Tag durch die Stadt fahren, zum Elterndienst, zum Elternabend und da entstand so eine Aggression. Dieser ganze Hass in ‚Der Untergang von Heidelberg‘ hat auch damit zu tun. Die verfassten dort diese ganzen SolidaritĂ€tserklĂ€rungen mit der Roten-Armee-Fraktion, die nicht aus dem Kindergarten rauszuhalten waren. Wir sollten sie als arme Gefangene beweinen, aber ich weinte nicht.“ Im Vordergrund stand im Buch nicht, sich politisch zu Ă€ußern, sondern seine eigenen Erlebnisse zu verarbeiten.

1986, anlĂ€sslich des 600-jĂ€hrigen JubilĂ€ums der UniversitĂ€t Heidelberg, gab Michael Buselmeier das „Heidelberg-Lesebuch: Stadt-Bilder von 1800 bis heute“ heraus. „Ich habe hier provokativ auch Texte aus der Nazizeit aufgenommen, das war damals undenkbar, heute macht das ja jeder.“

1988 wurde er daraufhin gefragt, ob er nicht StadtfĂŒhrungen machen wolle. Buselmeier stand dem skeptisch gegenĂŒber: „Meine Kenntnisse waren sehr minimal.“ Er sei jedoch seinerzeit eine politische Figur gewesen, der Gegenspieler des damaligen OberbĂŒrgermeisters Zundel. Und er konnte schon immer „gut darstellen“, sodass die FĂŒhrungen sehr populĂ€r wurden. Anfang der 90er-Jahre kamen dann sogar 200 bis 300 Leute, „da brauchte ich dann das Megafon, das war mir fast peinlich“. 1996 erschien seine erste Auflage von "Literarische FĂŒhrungen durch Heidelberg. Eine Stadtgeschichte im Gehen", 2007 folgte die zweite. Hatte die erste Auflage 180 Seiten, sind es in der zweiten schon ĂŒber 400. Buselmeier hierzu: "Die StadtfĂŒhrungen sind in dem Zusammenhang entstanden, dass ich irgendwann keine politische Reizfigur mehr war. Ich musste das dann durch Kenntnisse kompensieren." Mit Erfolg: Heute kommen keine 300 Leute mehr zu seinen StadtfĂŒhrungen, aber immerhin noch stolze 60. Buselmeier möchte aber noch eine weitere Auflage herausbringen, diesmal sollen es 600 Seiten werden.

Im Alter von 70 Jahren zog er eine erste Bilanz. „Ich habe es zu einer regionalen, aber nicht zu einer nationalen GrĂ¶ĂŸe gebracht.“ Dann folgte 2011 mit dem Theaterroman „Wunsiedel“ die Nominierung fĂŒr den Deutschen Buchpreis: „Das war unvorstellbar, ein ĂŒber 70-jĂ€hriger Autor wird nominiert“, symptomatisch fĂŒr einen „SpĂ€tzĂŒnder“. Eine ErklĂ€rung fĂŒr diesen spĂ€ten Erfolg hat er selber auch nicht: „Ich habe keine Beziehungen zur Jury und ‚Wunsiedel‘ ist auch nicht wesentlich besser als meine anderen BĂŒcher. Dieses gegenlĂ€ufige Moment zum Verlieren im Alter hat mich gefreut.“

Buselmeiers neuer Lyrikband "Dante deutsch"

Aktuell ist Michael Buselmeier durch seinen 2012 erschienen Lyrikband „Dante deutsch“ im GesprĂ€ch. Er trennt auch nicht zwischen sich und dem lyrischen Ich: „Das lyrische Ich, ist mein anderes Ich, indem ich Erinnerungen, schöne wie traurige literarisch verarbeite.“

Ausgangspunkt fĂŒr „Dante deutsch“ war ein Ereignis: Eine Lesung Dantes von seiner Schwester auf dem Heidelberger Schloss, hat ihn so inspiriert, dass er als erstes Gedicht „Das Paradies (4)“ verfasst hat: „Die Reime waren sofort da, aber ich war damals naiv, ich habe Dante selbst vorher nie gelesen. Er war mir sehr fremd, er ist mir heute noch fremd.“ Erst jetzt, nachdem er ĂŒber ihn geschrieben hat, beschĂ€ftige er sich intensiver mit ihm. 

Im ersten Gedicht des Bandes „Hölle (1)“ liegt im ersten Vers „Laß uns wieder von der Folter Gebrauch machen,/ Bischof [...] keine bewusste Anspielung auf einen Text Dantes vor, sondern eine einfache Alltagserfahrung: Bischof Huber, ein alter Sozialdemokrat, hatte gerade in einer Fernsehtalkshow selbstherrlich-rhetorisch „Sollen wir etwa die Folter wieder einfĂŒhren?“ gesagt, dem sich Buselmeier auf diese Art einfach Luft machen musste.

Buselmeier abschließend selbstironisch: „Auch der Titel ‚Dante deutsch‘ ist eine Anmaßung, eine unheimliche Frechheit! Ich behaupte da ja nichts anderes als meine nationale Dante-Tradition zu begrĂŒnden“.   


von Ziad-Emanuel Farag
   

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