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 Heidelberg
18.06.2013

Am Rande der Aufmerksamkeit

Rugby fristet in Deutschland ein Nischendasein. In Heidelberg hingegen hat der Sport eine lange Tradition

Defensive Line gegen Offensive Line. / Foto: Michael Graupner.

Aus einer Musikanlage dröhnt "Who let the dogs out". Dunkle Wolken, Betonbauten, Satellitenschüsseln machen jede Atmosphäre sofort zunichte. Dreißig muskelbepackte Männer laufen ein. Die Nationalhymne ertönt, nur spärlich erheben sich die Zuschauer von den Bierbänken und Sitzschalen. Vereinzelt wird mitgesungen. Dann erfolgt der Anpfiff zum Finale der 93. Deutschen Rugbymeisterschaft.

Austragungsort des diesjährigen Endspiels ist die Finanz- und Bankenmetropole Frankfurt. Verlassene Bürogebäude versperren allerdings den Blick auf "Mainhattan". In unmittelbarer Nachbarschaft befindet sich der Frankfurter Hauptfriedhof. So trostlos die Umgebung, so trostlos ist auch die Resonanz zum Spiel. Gut 700 Personen sind gekommen, die, verteilt auf Bänke, zwei mobile Sitztribünen und einen Bratwurststand keine Stimmung aufkommen lassen.

Das mag unter anderem auch daran liegen, dass sich dieses Jahr mit dem Heidelberger Ruderklub (HRK) und dem Sport Club aus Neuenheim (SCN) zwei Teams aus der fünftgrößten Stadt Baden-Württembergs im Finale gegenüberstehen. Ein Stadtderby, knapp einhundert Kilometer von der Heimat entfernt. Diese Konstellation war bereits vor den Halbfinals abzusehen. Dort unterlag die Rudergemeinschaft Heidelberg (RGH) dem SCN. Einzig der TSV Pforzheim unterbrach die Heidelberger Phalanx, musste sich aber erwartungsgemäß mit 9:51 dem Titelverteidiger HRK geschlagen geben.

"Heidelberg ist seit jeher eine Rugby-Hochburg"

Diese Vormachtstellung ist beileibe kein Zufall. "Heidelberg ist seit jeher die deutsche Rugby-Hochburg", sagt Claus-Peter Bach, Vorstandsmitglied des SCN, der auch regelmäßig Besucher durch das Deutsche Rugbysport-Museum führt.

Rugby gelangte um 1850 in die Kurpfalz, als ein deutscher Lehrer den Sport aus England nach Heidelberg mitbrachte. Auf sein Betreiben hin wurde es in den Lehrplan des Neuenheim College aufgenommen. Gut dreißig Jahre nachdem der Schuljunge William Webb Ellis bei einem Fußballspiel 1823 in der englischen Kleinstadt Rugby die drohende Niederlage damit abwenden wollte, dass er den Ball einfach ins gegnerische Tor legte. Auch wenn diese Geschichte eher ein Gründungsmythos ist, hat sie sich bis heute gehalten und der WM-Pokal trägt Ellis' Namen. Da der Sport in Heidelberg schnell Fuß fasste, kann das Museum auf viele Anekdoten und Exponate zurückgreifen.

Zahlreiche Wimpel und handsignierte Trikots von der DDR-Auswahl bis zu einem Shirt vom besten Rugby-Spieler des letzten Jahrhunderts, dem Neuseeländer Jonah Lomu, zieren die Wände. Neben skurrilen Exponaten wie einer Vitrine eingerahmter Unterhosen des Deutschen Meisters von 1993, Victoria Lingen, schmückt die Gründungsflagge des Deutschen Rugby-Verbandes (DRV) aus dem Jahre 1900 den Raum. Das Prunkstück des Museums ist die Olympische Silbermedaille aus dem selben Jahr – eine Zeit, in der der Sport noch einen anderen Stellenwert besaß. Derzeit fristet er ein recht trübes Dasein. Der DRV zählt im Moment knapp 14?000 Mitglieder, sechsmal weniger als der Deutsche Schachbund. Ungefähr 2800 davon spielen in Heidelberg. "Besonders in der Jugendarbeit wird hier viel getan", erklärt Claus-Peter Bach. So haben sich die fünf großen Heidelberger Vereine (neben dem HRK, dem SCN und der RGH gibt es noch die TSV Handschuhsheim und den Heidelberger Turnverein) auf alle Schulen "aufgeteilt". Dort gehen sie regelmäßig in die Klassen oder leiten AGs.

Immer noch ein Amateursport

Dennoch ist das kein Vergleich zu der Stellung, die Rugby beispielsweise in Frankreich, Südafrika und vor allem Neuseeland inne hat. Im Land des aktuellen Weltmeisters werden die Nationalspieler, die "All Blacks", noch mehr vergöttert als Fußballspieler oder Rennfahrer in Deutschland.

So kann man auch die Atmosphäre im Vorfeld des Finales in Frankfurt etwas besser verstehen. Rugby besitzt in Deutschland immer noch den Status eines Amateursportes. Einer der wenigen "semi-professionellen" Vereine in Deutschland ist der Heidelberger Ruderklub, der 1872 gegründet wurde. Eine eigenständige Rugby-Abteilung erhielt der Verein 1891, in einer Zeit, als Rugby hauptsächlich im Winter auf der Neckarwiese gespielt und im Sommer gerudert wurde. Seine herausragende Stellung hat der HRK maßgeblich dem gestiegenen finanziellen Engagement des Capri-Sonne-Unternehmers Hans-Peter Wild zu verdanken. Seit fünf Jahren zahlt Wild knapp eine halbe Million Euro jährlich an den HRK. Trotzdem sei der Verein wie "eine kleine Familie", so der Teammanager des HRK, Alexander Wiedemann. Er selbst ist an der Wild Rugby Academy beschäftigt und im Verein so etwas wie "das Mädchen für alles". Die Professionalität des Vereins wird allein daran bemessen, dass er alle seine Spieler und Trainer bezahlt. So erhält ein Topspieler bis zu 5000 Euro im Monat. Nichtsdestoweniger arbeiten Spieler auch als Gärtner, Schlosser oder geben zwei bis vier Tage die Woche den Rugby-Trainer in der Schule. Auch einige Studenten sind dabei. Wie bei vielen anderen Topclubs auch, spielen zahlreiche internationale Spieler beim HRK. Cheftrainer Kobus Potgieter kommt aus Südafrika. Seit Kurzem ist er zudem Trainer der deutschen Nationalmannschaft. Der HRK ist seit 2010 ununterbrochen Deutscher Meister und möchte in Frankfurt nun seinen vierten Titel in Folge erringen.

Ganz anders geht es zu beim SC Neuenheim: Hier gibt es keinen großen Sponsor, der den Spielern Gehälter zahlen kann. "Alle unsere Spieler spielen ehrenamtlich. Einige aus der ersten Mannschaft trainieren jedoch Jugendmannschaften und erhalten dafür 720 Euro – im Jahr." In anderen Sportarten ist eine Aufwandsentschädigung von 1800 Euro im Jahr keine Seltenheit. Entsprechend familiär geht es hier zu. Eine konsequente und gute Jugendarbeit zeichnet den Verein besonders aus. Daher ist beim SC Neuenheim im Gegensatz zum HRK das Leistungsniveau nicht abhängig von großen Sponsorengeldern. Wie gut dieser Verein geführt ist, schlägt sich auch darin nieder, dass er mit 576 Mitgliedern der größte Verein Deutschlands ist. So kann der SC Neuenheim namhafte Spieler binden: Marten Strauch spielt in der deutschen Nationalmannschaft und Williams Portillo ist Nationalspieler in Paraguay. Angeführt wird das Team von Spielertrainer und Nationalspieler Lars Eckert. Im hart umkämpften Halbfinale gegen die RG Heidelberg, bei dem es zum Schluss zu einer kleinen Schlägerei kam, gewann letztlich der SC Neuenheim mit 32:18. In der Mitte der zweiten Halbzeit wurde RGH-Spieler Michael Ahl ein Knie ins Gesicht gerammt. Er verlor daraufhin beide Schneidezähne. Nach einer langen und erfolgreichen Suche konnten sie ihm anschließend im Krankenhaus wieder eingeschraubt werden. Auch der SCN musste dem harten Spiel Tribut zollen: Williams Portillo brach sich den Fuß und auch Marten Strauch drohte auszufallen.

Zwei ungleiche Finalisten

Die beiden Spiele in der Vorrunde gegen den HRK verlor man bereits mit 0:42 und 7:38. Dementsprechend räumte der Co-Trainer des SCN, Uwe Schwager, vor dem Finale am Freitag ein, dass man der krasse Außenseiter sei. Man wolle das Spiel in der ersten Halbzeit offen gestalten und in der zweiten Halbzeit punkten. 

Als die beiden Mannschaften einlaufen, sieht auch der Laie sofort, wie viel durchtrainierter die Spieler des HRK sind. Der Ruderklub hat Heimrecht und läuft in seinen blauen Trikots auf. Eine Farbe, die auch sonst der SC Neuenheim trägt. Doch aufgrund mangelnder Auswärtstrikots müssen die Spieler des SCN in den grünen Trikots des HRK spielen: Auch das zeigt die Unterschiede zwischen den beiden Vereinen auf.

Der SC Neuenheim hält taktisch gut dagegen: In der Defensive verschieben sie klug und versuchen so, ihren Gegner zu stellen. Mit dabei ist auch Marten Strauch, der rechtzeitig fit geworden ist. Doch die physische Überlegenheit des HRK sorgt dafür, dass der SCN daraus kaum Kapital schlagen kann: Die Spieler des HRK sind schneller und stärker. So ergeben sich für sie schnell Überzahlsituationen, mehrere Spieler des SCN versuchen oft vergeblich, die Spieler des HRK vor dem Pass zu tacklen: Der Ball läuft so schnell durch die Reihen des HRK und er erzielt nach zwei Minuten den ersten Versuch zum 5:0. In der fünften Minute gibt es für den SCN einen Einwurf in der Hälfte des HRK. Anstatt auszugleichen muss der SCN hier aber sogar nach einem Ballverlust das 10:0 durch Hendrik Van der Merwe hinnehmen. Nach acht Minuten kommt dann die Überraschung: Es steht nur noch 10:3, Tomàs van Gelderen verwertet den ersten Straftritt für den SCN sicher. Der SCN verliert seine Anfangsnervosität und geht entschlossener zu Werke. Raynor Parkinson vom HRK vergibt aber heute vier von sieben Erhöhungen und damit insgesamt acht Punkte. Auch sonst leistete sich der HRK einige Fehler. Das entging auch dem Trainer Kobus Potgieter nicht: "Wir haben heute kein gutes Spiel gezeigt." Doch seine Mannschaft ist auch an einem mäßigen Tag dem Gegner klar überlegen. Zur Halbzeit steht es 29:3. Dem SCN droht ein Debakel.

Meisterschaft ohne Glanz

Die Stimmung ist durchwachsen. Neben wenigen HRK-Fans hört man während des Spiels am häufigsten den Schlachtruf "Wer nicht hüpft ist Offenbacher!", stellenweise wird es obszön.

In der zweiten Halbzeit versackt das Spiel, der SCN versucht mit allen Mitteln, eine zu hohe Niederlage zu verhindern während der HRK das Ergebnis verwaltet: Erst in der 60. Minute erhöht Artur Zeiler auf 34:3. In der 70. Minute wird der Sportclub endlich belohnt: Pascal Drugemüller fängt in der eigenen Hälfte ein Abspiel des HRK ab und läuft trotz eines Tacklings des HRK direkt in die Endzone. Nach einer Erhöhung von Tomàs van Gelderen steht es 34:10. Schließlich muss sich der SCN mit 41:10 geschlagen geben. Kapitän Lars Eckert zeigte sich trotz der Niederlage mit der Saison zufrieden: "Wir haben dieses Jahr eine neue Mannschaft geformt. Ich bin stolz auf das Erreichte. Wir wussten, dass es dieses Jahr und heute ganz schwer wird. In zwei Jahren sind wir dann wieder konkurrenzfähig."

Ins Bild des wenig feierlichen Rahmens passte die Siegerehrung: Der SCN bekam als Auszeichnung für die Vizemeisterschaft nur einen Blumenstrauß aus einem Handschuhsheimer Blumenladen. Insgesamt sei das Spiel jedoch sehr fair verlaufen, wie die Schiedsrichter in ihrer Anprache umringt vor den Spielern erklärten. Die Spieler des SCN erkannten die Leistung des HRK an und applaudierten bei der Übergabe des Meisterkranzes. Die Siegerehrung fand schmucklos wie bei einem Freizeitturnier mitten auf dem Platz statt.

von Ziad-Emanuel Farag, Michael Graupner
   

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