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 Interview
11.12.2006

Strategiemix gegen den Terror

Der Politologe Aurel Croissant untersuchte die Ursachen politischer Gewalt

Der  Islam und Terrorismus werden häufig eng miteinander in Verbindung gebracht. Dabei wird die Realität nur unzureichend berücksichtigt. Ein Gespräch mit dem Politologen Profl. Aurel Croissant.

Professor Aurel Croissant führte zusammen mit seinem Kollegen Nicolas Schwank eine Untersuchung zu politischer Gewalt, Extremismus und Staatentransformation im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung durch. Das Ergebnis: Religiös motivierte Gewalt nehme seit Jahren zu, spiele aber immer noch eine untergeordnete Rolle. Hauptursache extremistischer Gewalt sei dagegen unzureichende ökonomische Modernisierung und fehlende Demokratisierung.

Wird Religion zunehmend zur Ursache von politischer Gewalt?
Nein. Wir sagen nicht, dass Religion zur Ursache von Gewalt wird. Wir sagen, dass religiös motivierte Akteure in zunehmendem Maße verantwortlich sind für terroristische Gewalt. Die Ursachen und die Mobilisierungsmechanismen müssen wir unterscheiden. Mobilisierungs- und Legitimationsmechanismen, derer sich terroristische Gruppen bedienen, quasi die Ideologie, sind in zunehmendem Maße religiös fundiert. Die Ursachen, warum sich Personen mobilisieren lassen, liegen aber tiefer.


Wie unterscheidet sich religiös motivierter Terrorismus von „herkömmlichem“ Terrorismus?
Zunächst natürlich in seinem Mobilisierungsmechanismus, in seiner Ideologie. Dies ist der Haupt-unterschied zu den herkömmlichen terroristischen Gruppen in der Zeit nach 1945, die primär ethnisch-nationalistisch, linksradikal und zu einem gewissen Grad natürlich auch rechtsradikal motiviert waren.
Religiös motivierte Terroristen gehen auch viel brutaler vor als linksextreme Terroristen oder ethno-nationalistische Terroristen. Der Hauptunterschied besteht also, kurz gesagt, darin: Der „alte“ Terrorismus wollte, dass viele Menschen zuschauen, die „neuen“ religiösen Terroristen möchten viele Menschen töten. Hinzu kommt bei religiösen Terroristen auch die hohe transnationale Vernetzung.


Welche Rolle spielt die Opferzahl in Ihrer Untersuchung?
Unsere Studie berücksichtigt, wie sich Opferzahlen verändert haben. Es zeigt sich ein starker Anstieg der Opferzahlen um das Dreihundertfache, der sich jedoch etwas relativiert, wenn man den Irak hinausrechnet. Dennoch bleibt es offensichtlich, dass die Zahl der Opfer in den letzten fünf Jahren massiv gestiegen ist. Denn immer mehr Akte entfallen auf religiös motivierte Terrorgruppen. Deren Anschläge sind, wie gesagt, brutaler und haben höhere Opferzahlen.


Wird der islamistische Terrorismus trotz allem überbewertet?
Ja, denn wir haben in unserer Studie Terrorismus und politische Gewalt untersucht. Terrorismus ist nur eine spezifische Form politischer Gewalt. Denn die weitaus größere Zahl gewaltsam ausgetragener politischer Konflikte lässt sich nicht dem Terrorismus zuordnen.

Die Mehrheit der Opfer ist in klassischen Konflikten zu beobachten. Hierbei handelt es sich um Konflikte ethno-nationalistischer Art, Ressourcenkriege und ideologisch motivierte Konflikte, denen nicht Religion zu Grunde liegt. Aber die Zahl religiös motivierter Akteure und die Zahl ihrer Opfer steigt. Ein weiterer Grund für eine Überbewertung liegt in einer zu starken Fokussierung auf den islamistischen Terrorismus, wie er im Westen stattfindet. Die weitaus größte Zahl terroristischer Akte findet eben nicht im Westen statt, so tragisch 9/11 und die Anschläge von London und Madrid auch sind.


Sie beschreiben einen Krisengürtel von Nordafrika, Nahem Osten, Südasien und Südostasien – ist es Zufall, dass es sich dabei zumeist um islamische Länder handelt?
Nein, denn der religiöse Terrorismus wird immer wichtiger. Dieser Gürtel umfasst hauptsächlich islamische Länder, in denen diese Terroristen sowohl als Täter als auch hinsichtlich der verursachten Opfer eine Rolle spielen. Was auch kein Zufall ist, ist die Tatsache, dass bis auf den Irak alle diese Konflikt­herde nicht neu sind. Es sind alte Konflikte, in denen es teilweise neue Akteure gibt.


Daraus könnte man schließen, dass bestimmte Kulturen anfälliger sind für gewaltsame Austragung von Konflikten.

Könnte man schließen – muss man aber nicht. Denn es gibt noch weitere Faktoren, die diese Gesellschaften besonders anfällig für Terrorismus machen. Das Set der Faktoren reicht von fehlender ökonomischer Modernisierung über mangelnde politische Freiheit hin zur Delegitimation alter Ideologien, etwa des arabischen Nationalismus, in Ergänzung zu internationalen und regionalen Faktoren.

Die Frage, die wir uns stellen müssen: Stehen diese Faktoren in einem Bezug zur Religion? Dies wird momentan kontrovers diskutiert. Zu erklären ist, warum Akteure heute stärker Religion benutzen, um ihre Ziele zu erreichen.


Wie sollten sich liberale Demokratien, wenn sie sich nicht selbst aufgeben wollen, verhalten, um politischer Gewalt zu begegnen?

Mit einem Strategiemix. Sie sollten nicht überreagieren, aber auch nicht unterreagieren. Dieser Mix muss auf drei Ebenen ansetzen: Auf der politischen Ebene, auf der Ebene ökonomischer Entwicklung und natürlich auch auf der Sicherheitsebene.

Die Sicherheitsebene schließt polizeiliche, unter Umständen aber auch militärische Maßnahmen ein. In einer Demokratie ist es für Politiker aus verschiedenen, insbesondere elektoralen Gründen kaum möglich, bei einer wahrgenommenen Bedrohung nicht mit Sicherheitsmaßnahmen zu reagieren.
Um jedoch die Konfliktursache langfristig zu bekämpfen, helfen letztlich nur politische und ökonomische Maßnahmen.

von Jörn Basel, Marcel Bertsch
   

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