08.12.2008
Auf schnellstem Wege von der Grundlagenforschung zum Patienten
Der Krebsforscher Professor Andreas Trumpp im ruprecht-Interview
ruprecht: Professor Trumpp, Sie forschen schon seit vielen Jahren mit Stammzellen. Was sind Ihre wichtigsten Ergebnisse in diesem Feld?
Andreas Trumpp: Wir interessieren uns für die molekularen und zellulären Funktionen adulter Stammzellen, insbesondere Blutstammzellen. Eines unserer jüngsten Ergebnisse ist die Entdeckung eines Zytokins, mit dessen Hilfe man die schlafenden Tumorstammzellen „wecken“ kann, um sie dann für Krebstherapien empfindlicher zu machen. Der entscheidende Punkt ist, dass Krebszelle nicht gleich Krebszelle ist. Vielmehr sind Tumore heterogene Gebilde, die oft hierarchisch aufgebaut sind: ganz oben befinden sich die Krebsstammzellen, die über das Wachstum des Tumors entscheiden und die sich nur selten teilen.
Die Hauptmasse des Tumors bilden dann die sich schnell teilenden mehr differenzierten Krebszellen. Wenn man also mit einer Therapie diese sich schnell vermehrenden Zellen tötet, schrumpft der Tumor, das eigentliche Problem ist aber nicht gelöst, da die wenigen Krebsstammzellen resistent sind und intakt bleiben um dann über kurz oder lang den Tumor (oft aggressiver als vorher) neu zu bilden.
Wie kam man auf die Idee mit den Tumorstammzellen?
Zuerst hat man das Tumorstammzellkonzept Mitte der 90er Jahre an Leukämie-Patienten zeigen können. Ein Beispiel für das Konzept ist die Wirkung des Medikaments Gleevec, das von Novartis 2002 zur Behandlung von Chronischer Myeloischer Leukämie (CML) entwickelt wurde. Gleevec wurde schnell als „Wundermittel“ betrachtet und revolutionierte die Behandlung von CML Patienten. Der Wirkstoff Imatinib ist ein Kinase-Inhibitor, der die nur in den CML Tumorzellen enthaltene Kinase BCR-ABL blockiert. Es handelt sich also um ein „intelligent drug“, welche nur Tumorzellen, aber nicht normale Zellen hemmt. Bei allen CML Patienten, die das Medikament nehmen, bildet sich der Tumor zurück. Wenn man dieses aber absetzt, wächst der Tumor schnell wieder nach.
Die Erklärung mit dem Tumorstammzellkonzept ist einfach: Die wenigen ruhenden Krebsstammzellen im Tumor sind resistent gegenüber den Wirkstoff und sobald keine Inhibition der Kinase mehr erfolgt, kann der Tumor wieder nachwachsen. Die Patienten sind also auf die lebenslange Einnahme des Medikamentes angewiesen. Um die Patienten dauerhaft heilen zu können, müsste man die Krebsstammzellen aus ihrem Ruhezustand wecken. Wir hoffen, dass dies mit dem von uns entdeckten Zytokin möglich sein wird.
Entsteht eine Krebsstammzelle immer aus einer Stammzelle?
Nicht alle Krebsstammzellen stammen von Stammzellen ab. Der Name soll lediglich auf die Selbsterneuerungskapazität dieser Zellen hindeuten. Krebsstammzellen können sich aus Stammzellen oder auch aus sich schnell teilenden Vorläuferzellen entwickeln. Viele, aber nicht alle Tumore sind hierarchisch aufgebaut. Ob und wie viele Krebsstammzellen sich in einem Tumor befinden, hängt von vielen Faktoren ab, wie dem Tumortyp und der Aggressivität. Es sind eher die Tumore im Frühstadium die von wenigen Krebsstammzellen kontrolliert werden, Spätstadien wie metastasierte Tumoren enthalten wahrscheinlich einen höheren Anteil von Krebsstammzellen.
Hat sich das Tumorstammzellkonzept in der Onkologie schon durchgesetzt?
Mit allen neuen Theorien und Ideen verhält es sich ähnlich: am Anfang werden sie stark kritisiert. Das Tumorstammzellkonzept wird zwar immer noch heftig diskutiert, dennoch hat sich das Prinzip inzwischen weitgehend durchgesetzt, wenn auch die Details natürlich noch ständig im Fluss sind. Auch die Industrie springt seit ein zwei Jahren vehement auf dieses Thema auf, wir beginnen auf diesem Gebiet eine Kollaboration mit Merck-Serono in Darmstadt.
Die eigentliche Stammzellforschung ist nicht besonders alt. Wie beurteilen Sie den jetzigen Stand der Forschung?
Ich persönlich finde die Stammzellforschung äußerst faszinierend. Wir können auch zeigen, dass klassische unmutierte Krebsgene auch wichtige Funktionen in unseren Stammzellen kontrollieren. Die Stammzellforschung war, ist und wird weiterhin ein großer Schub für die gesamte Biomedizin sein. Biologische Grundlagenforschung und translationale klinische Forschung lassen sich in diesem Feld hervorragend mit der Biotechnologie und großen Pharmakonzernen zusammenführen.
Aber es ist nicht nur der Krebs: auch degenerative Krankheiten wie Diabetes mellitus stehen im Mittelpunkt des Interesses von Stammzellforschern. Hoffentlich werden wir eines Tages tatsächlich dauerhaft Insulin-produzierende Zellen in Diabetes-Patienten einsetzen können.
Sie klingen sehr optimistisch.
Natürlich bin ich optimistisch, als Forscher kann man, glaube ich, nur optimistisch sein.
Der Schutz der Menschenwürde sowie das Recht auf Leben und die Freiheit der Forschung geraten mit der Stammzellfrage anscheinend in Konflikt. Wie beurteilen Sie im Hinblick auf dieses Problem das Stammzellgesetz?
Gut, dass Sie „anscheinend“ erwähnt haben. Wo kommt denn in meiner Forschung irgendwas in Konflikt? Das Stammzellfeld ist riesig. Die Arbeit mit humanen embryonalen Stammzellen ist nur ein ganz kleiner Teil davon und gleichzeitig auch der einzige Teil, der möglicherweise ethisch nicht ganz unproblematisch ist. Dies wird in der Politik und der Öffentlichkeit oft unglücklich wiedergespiegelt: Stammzellforschung ist nicht gleichzusetzen mit Experimenten mit humanen embryonalen Stammzellen! Wir und dutzende anderer Gruppen weltweit forschen mit Stammzellen aus Tieren, oder mit menschlichen adulten Stammzellen sowie Tumorstammzellen, da gibt es solche ethischen Probleme nicht.
Ja, aber wenn man die Maus schon gut verstanden hat, will man doch wissen, wie es beim Menschen aussieht, oder?
Selbstverständlich, die Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen ist auch nötig. Aber der Anteil der humanen ES-Zellen, die ursprünglich einmal aus Embryonen gewonnen wurden, wird eigentlich immer kleiner. Immer mehr Forscher arbeiten mit iPS-Zellen, diese unterscheiden sich kaum von ES-Zellen sind aber aus adultem Gewebe mittels Einführung einiger Gene zu ES-Zellen reprogrammiert worden.
Das deutsche Stammzellgesetz stellt meiner Meinung nach trotzdem eine Behinderung für die Forschung dar. Ich komme ja aus der Schweiz, wo man eine ganz klare öffentliche Stellung zu dem Thema hat: Zwei Drittel der Bevölkerung stimmte bei der Volksabstimmung für die Forschung mit humanen ES-Zellen und das Schweizerische Gesetz erlaubt sogar ihre Herstellung.
Sie haben das 5. Internationale Heinrich-Behr-Symposium mit organisiert. Welches waren die Hauptthemen des Symposiums?
Es wurden Pankreaskarzinom-Daten diskutiert, da sieht es nun auch so aus, dass sie von speziellen Krebsstammzellen getrieben werden, die sich gegenüber herkömmlichen Krebsmedikamenten resistent zeigen. Weiterhin waren Marker die Krebsstammzellen identifizieren helfen ein wichtiges Thema: Es werden bessere und mehr Marker benötigt. Bei normalen Blut-Stammzellen in der Maus hat man in 15 Jahren Forschung 13 Marker identifiziert, mit denen man ein bis zu 50 Prozent reines Stammzellensemble aus dem Knochenmark heraussortieren kann. Bei den Krebsstammzellen sind wir heute erst bei ein bis zwei Markern und das reicht noch lange nicht aus, um mit ausreichender Sicherheit „reine“ Krebsstammzellen isolieren und damit molekular charakterisieren zu können.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Metastasierung. Es wurde schon lange vermutet, dass die Metastasierung durch die Blutzirkulation erfolgen kann. Jetzt konnte in Brustkrebspatientinnen nachgewiesen werden, dass funktionellen Tumorstammzellen in der Blutbahn zirkulieren. Metastasen sind das wirklich gefährliche beim Krebs, meistens nicht der Primärtumor. Gegen Primärtumoren gibt es doch inzwischen recht wirksame Therapien, diese kommen aber schnell an ihre Grenzen, wenn Metastasierung bereits eingetreten ist. Daher ist auch die Früherkennung so wichtig.
Was sind Ihre Pläne für die weitere Forschung hier in Heidelberg?
Der Biotechnologie-Cluster Rhein-Neckar hat den deutschen Spitzencluster-Wettbewerb gewonnen. Das BioRN Stammzell-Netzwerk ist ein Schwerpunkt dieses Clusters, in dessen Rahmen ein Zentrum für Stammzellforschung namens HI-STEM gegründet wurde. HI-STEM hat das Ziel die Ergebnisse aus der Grundlagen- und Klinischer Forschung zu bündeln und in Patenten zu sichern um dieses Wissen in Zusammenarbeit mit der Biotech und Pharma Industrie rasch in neue Medikamente gegen Tumoren und Metastasen zu verwandeln um Krebs-Patienten in der Zukunft erfolgreicher behandeln zu können.
Herr Professor Trumpp, vielen Dank für dieses Gespräch!
von Anikó Udvarhelyi