Dies ist ein Archiv der ruprecht-Webseiten, wie sie bis zum 12.10.2013 bestanden. Die aktuelle Seite findet sich auf https://www.ruprecht.de

ruprecht-Logo Banner
ruprecht/Schlagloch-doppelkeks-Jubiläum
Am 13.10. feiern wir 25 Jahre ruprecht/Schlagloch und 10 Jahre doppelkeks [...mehr]
ruprecht auf Facebook
Der aktuelle ruprecht
ruprecht vor 10 Jahren
Andere Studizeitungen
ruprechts Liste von Studierendenzeitungen im deutschsprachigen Raum
ruprecht-RSS
ruprecht-Nachrichten per RSS-Feed
 Interview
09.12.2008

Im Kampf gegen die Schurken

Marianne Heuwagen setzt sich fĂĽr Menschenrechte ein

Marianne Heuwagen ist seit 2005 Leiterin des Human Rights Watch Büros in Berlin. Nach ihrem Germanistik- und Geschichtsstudium in Bonn ging sie an die Stanford-Universität in Kalifornien. Von dort berichtete sie als freie Journalistin für deutsche Medien.

Was genau macht Human Rights Watch?

Wir beobachten die Menschenrechtssituation in über siebzig Ländern, indem wir jährlich mehr als hundert Berichte veröffentlichen. Die Organisation beschreibt Missstände und gibt Empfehlungen an Politiker, wie diese Missstände abgeschafft werden können. Das tun wir unabhängig davon, ob es sich dabei um die USA, Russland, China, den Sudan oder ein europäisches Land handelt.

Wie ist die Organisation aufgebaut und wie kann HRW die Menschenrechtslage ĂĽberblicken?

Wir haben etwa 300 Mitarbeiter weltweit. Unsere Abteilungen sind in Regionen und Themen gegliedert. So gibt es zum Beispiel eine Kinderrechtsabteilung oder eine Abteilung für Strafjustiz. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf den Berichten, welche die Researcher vor Ort recherchieren. Diese befragen vor Ort Opfer und Augenzeugen. Tätig werden wir vor allem dann, wenn sich ein Muster an Menschenrechtsverletzungen herausstellt, also wenn sich Betroffene allein nicht wehren können und Gerichte nicht aktiv werden. Diese Berichte stellen wir nicht nur Journalisten und Medien vor, sondern schicken sie auch an Regierungen, die Internationale Gemeinschaft oder die EU, welche dann auch die Basis für unsere Lobbyarbeit darstellen. Zudem halten wir Kontakt zu einem weltweiten Netzwerk lokaler Menschenrechtsaktivisten.

Wo liegt der Unterschied zu anderen Organisationen wie Amnesty International?

Amnesty ist als Gefangenenhilfsorganisation gegründet worden und seine zahlreichen Mitglieder weltweit legen einen Schwerpunkt auf Kampagnen. Wir hingegen beobachten Menschenrechtsverletzungen in allen Erdteilen. Wir haben Komitees, die unsere Arbeit unterstützen, aber keine Mitglieder. Außerdem machen wir weniger Protestaktionen wie Demonstrationen oder Briefkampagnen, sondern versuchen die Politik zu beeinflussen. Dabei legen wir großen Wert auf Lobbyarbeit, die im Hintergrund stattfindet. Ein Beispiel: Unser Executive Director, Kenneth Roth, wurde als erster NGO-Vertreter 2007 als Teilnehmer zur Münchner Sicherheitskonferenz eingeladen und konnten dort Fragen an den russischen Präsidenten Putin oder den amerikanischen Verteidigungsminister Gates stellen. Ich meine, man kann auf der Straße demonstrieren, aber man kann auch versuchen, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen und ihnen kritische Fragen zu stellen, die zum Nachdenken anregen. Letzteres ist die von uns bevorzugte Methode.


Im November feierte HRW 30-jähriges Jubiläum. Wie entstand die Organisation?

Nach den KSZE-Verträgen (Anm. d. Red.: Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) in Helsinki 1975, die auch Russland unterschrieben hatte, dachten einige Schriftsteller in Moskau: „Wunderbar, Menschenrechte gelten auch für uns. Jetzt können wir demonstrieren.“ Sie kamen sofort ins Gefängnis. Deren Verleger in New York hat dann eine Art Komitee gegründet, um ihnen und ihren Familien zu helfen. Daraus entstand das sogenannte „Helsinki Watch Komitee“. Dieses hat sich zunächst den Demokratiebewegungen in Polen oder der Tschechoslowakei zugewandt. In den 80er Jahren entstanden America Watch, Asia Watch, und Africa Watch, die sich 1988 zu HRW zusammenschlossen. Das war wichtig für die Schlagkraft der Organisation.

Warum hat HRW vor drei Jahren ein Büro in Deutschland eröffnet?

Die US-Administration unter George W. Bush war kein Garant mehr für die Durchsetzung der Menschenrechte. Abgesehen davon wird die Welt immer multipolarer. Wir haben uns daher verstärkt um europäische Unterstützung bemüht und gefordert, dass Europa dieses Vakuum ausfüllt und die Menschenrechte weltweit stärker vertreten muss. Unsere europäischen Büros in London, Paris, Brüssel, Genf und Berlin versuchen, auf die Außenpolitik der jeweiligen Länder einzuwirken.

Ist es nicht schwierig einen Kompromiss mit der EU, UN oder den einzelnen Regierungen zu finden?


Die EU fällt leider in der Menschenrechtspolitik hinter ihren Möglichkeiten zurück und einigt sich oft nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Das geschieht auch deshalb, weil sich Nationen wie Deutschland, Frankreich oder Großbritannien sich innerhalb der UN zu wenig dafür engagieren. Man hört stattdessen oft, dass man sich erst mit den EU-Partnern abstimmen müsse. Europa könnte sich viel mehr weltweit für die Menschenrechte einsetzen.

Es scheint, als läge alles in den Händen der Regierungen. Kann die Öffentlichkeit nichts tun?

Doch. Es gab vor einiger Zeit eine Studie über die Stellung der Menschenrechte in der Politik. Das Ergebnis war, dass sich viele Politiker nicht dafür einsetzen, weil sie glauben, dass es den Wähler nicht interessiert. Jeder sollte seine Politiker bei der Wahl damit konfrontieren, sie zu fragen, was sie für die Menschenrechte tun oder warum sie es nicht tun. Die Politiker müssen merken, dass die Menschenrechte ein Anliegen der Menschen sind. Und dass sie sich deshalb dafür einsetzen müssen, weil sie auch dem Wähler verantwortlich sind.

Wie zufrieden sind sie mit dem UN-Menschenrechtsrat?

Wir haben uns mit Amnesty International für den Menschenrechtsrat eingesetzt, weil wir der Meinung waren, dass die Menschenrechtskommission – wo einmal im Jahr die Schurken aufmarschierten – nicht effektiv war. In dem Rat müssen sich die Mitglieder für ihre Menschenrechtspolitik verantworten und werden zur Rechenschaft gezogen. Es ist gut, dass die „Universal Periodic Review“ alle Staaten auf den Prüfstand stellt. Im Februar 2009 ist Deutschland gemeinsam mit China und Russland dran.

Warum tritt die EU so leise auf?


Oft gibt es strategische und wirtschaftliche Interessen. Usbekistan ist so ein Fall, was die deutsche Außenpolitik betrifft. Nach dem Massaker in Andischan 2005 hat die EU Sanktionen erlassen, wie das Verbot von Waffenhandel oder ein Reiseverbot für Regierungsmitglieder nach Europa. Die Bundesregierung unterhält aber einen Militärstützpunkt im Land, um Soldaten und Flugzeuge nach Afghanistan zu transportieren. Das ist ein wichtiges strategisches Interesse. Aber ist das ein Grund, Menschenrechtsverletzungen in Usbekistan durchgehen zu lassen? Deutschland hat mit anderen Nationen dafür gesorgt, die Sanktionen wieder aufzuheben. Kurz danach kam der usbekische Geheimdienstchef nach Deutschland, um mit dem BND über eine islamistische Terrororganisation zu reden. Dieser Mann hat Blut an den Händen. Die Bundesregierung betrachtet die Menschenrechtslage in Usbekistan durch die rosarote Brille – aus strategischen Gründen.

Der US-Präsident Obama will das Gefangenenlager Guantanamo schließen. Was erwarten Sie sich?

Wir erwarten, dass das Lager geschlossen wird und die Häftlinge vor zivilen Gerichten angeklagt werden. Es muss klargestellt werden, dass Folter sowie Geheimgefängnisse nicht in Frage kommen. Die USA muss sich dazu verpflichten, diese Völkerrechtsverletzungen in Zukunft zu unterlassen. Wir hoffen auch, dass die europäischen Staaten bereit sind den USA zu helfen indem sie nachweislich unschuldige Guantanamo-Häftlinge aufnehmen. 30 Personen können wegen der Anti-Folter-Konvention nicht in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt werden. Wir erhoffen uns von der neuen US-Regierung einige Fortschritte im Bereich der Menschenrechte, beispielsweise die Mitarbeit im Menschenrechtsrat oder die Anerkennung des Internationalen Strafgerichtshofes.

Wo liegen denn momentan ihre Schwerpunkte?

Einer davon ist die Streubombenkampagne. Im Georgien-Konflikt stellten vier Researcher von uns fest, dass dort Streubomben eingesetzt wurden – sowohl von Russen als auch Georgiern. Hinterher haben sich beide Parteien bezichtigt, Streubomben abgeworfen zu haben. Das Problem dieser Munition ist, dass es viele Blindgänger gibt, die sich in Bäumen verfangen oder auf dem Boden liegen bleiben. Kinder oder erntende Bauern greifen sie auf und werden schwer verletzt oder getötet. Streubomben haben eine langwierige Wirkung und treffen immer Zivilisten, was nach dem humanitären Völkerrecht verboten ist.

2008 war das Olympia-Jahr. Wie sieht Ihre Bilanz aus?


Wir haben uns gegen einen Boykott der Spiele ausgesprochen und sie als Chance genutzt, um auf Menschenrechtsverletzungen aufmerksam zu machen. Wir haben Berichte über die Lage der Wanderarbeiter, Rechtsanwälte und Medien veröffentlicht. Eine Verbesserung war die Pressefreiheit für ausländische Journalisten, die sogar über die Spiele hinaus bestehen bleibt. Ein großer Fehler des Internationalen Olympischen Komitees war es jedoch, zu akzeptieren, dass chinesische Journalisten von der Pressefreiheit ausgenommen sind, die die Charta des Komitees fordert. Die Lage in Tibet hat sich seit den Aufständen leider verschlimmert, da viele Menschenrechtsaktivisten inhaftiert worden sind. China hat noch einen weiten Weg zurückzulegen, bevor sich die Menschenrechtslage dort verbessert.

Abgesehen von China, wie ist das allgemeine ResĂĽmee fĂĽr 2008?


Es gibt viel zu tun im Einsatz für die Menschenrechte. Als man Mary Robinson, die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte fragte, was man für die Menschenrechte tun könne, sagte sie: „Umsetzen! Umsetzen! Umsetzen!“ Dieses Jahr feiern wir 60 Jahre Geburtstag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und sollten uns dessen wieder bewusst werden.

Vielen Dank für dieses Gespräch.



Marianne Heuwagen ist seit 2005 Leiterin des Human Rights Watch Büros in Berlin. Nach ihrem Germanistik- und Geschichtsstudium in Bonn ging sie an die Stanford-Universität in Kalifornien. Von dort berichtete sie als freie Journalistin für deutsche Medien. Zuletzt arbeitete sie für die Süddeutsche Zeitung.

von Stefanie Fetz, Karla Kelp
   

Archiv Interview 2024 | 2023 | 2022 | 2021 | 2020 | 2019 | 2018 | 2017 | 2016 | 2015 | 2014 | 2013 | 2012 | 2011 | 2010 | 2009 | 2008 | 2007 | 2006 | 2005 | 2004