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 Interview
29.01.2008

„Wenn nicht ich, wer sonst?“

Werner Franke über seinen Kampf gegen kriminelle Dopingpraktiken

Seit Jahrzehnten kämpft Werner Franke, Professor für Zellbiologie am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ), gegen Doping im Leistungssport. Mit uns sprach er über seine Motivation, korrupte Wissenschafter und neue Dopingpraktiken.

Seit Jahrzehnten führt Werner Franke, Professor für Zellbiologie am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ), einen Kampf gegen Doping im Leistungssport. Mit dem ruprecht sprach er über seine Motivation, korrupte Wissenschafter und neue Dopingpraktiken.


ruprecht: Herr Franke, Sie wurden mit dem Preis „Hochschullehrer des Jahres“ ausgezeichnet für Ihre Zivilcourage und den Kampf gegen kriminelle Dopingpraktiken. Erfüllt Sie die Auszeichnung mit etwas Stolz?

Werner Franke: Stolz liegt mir fern, in meinem Alter sowieso. Aber ich freue mich, dass ich nun zum Helmholtz-Senior-Professor berufen wurde und weiter als Hochschullehrer forschen kann. Ich forsche weiter, solange es geht, die Lust da ist und das Geld da ist.

ruprecht: Wie sind Sie dazu gekommen, sich mit dem Thema Doping auseinanderzusetzen?

Werner Franke: Über meine Frau. Ich war 1967/68 ihr Trainer beim USC Heidelberg und sie hatte bei den Olympischen Spielen in Mexiko City im Herbst 1968 bemerkt, dass offenbar das Doping mit androgenen-anabolen Steroidhormonen nun auch den Frauenspitzensport – wenigstens in einigen Ostblock-Staaten – erreicht hatte. Da war offensichtlich eine große Hemmschwelle gefallen – „der Rubikon überschritten“, wie sie es nannte: „Warum macht ihr Wissenschaftler unseren Sport kaputt?“ Als Sportlehrerin hier am Hölderlin- Gymnasium war das für sie die Kriegserklärung der Gesellschaft. „Wenn es dazugehört, stillschweigend junge Mädchen zu virilisieren, muss ich wenigstens öffentlich dagegen kämpfen!“ Und das hat sie dann ja auch getan – in Presse, Fernsehen, Diskussionsrunden und auf Ärzte-Meetings. Aber in der Gesellschaft wurde das totgeschwiegen – im Osten sowieso und im Westen aus schlechtem Gewissen und um auch ein paar Medaillen zu haben! Ich habe meine Frau wissenschaftlich beraten.

ruprecht: Wie haben sich die Nachweismethoden entwickelt?

Werner Franke: 1967 bis 1973 war ich in Freiburg. Damals verkündeten Sportmediziner: Geht leider nicht nachzuweisen! Unfug: Ich hatte die Methoden im Labor,kannte massenspektrometrische und immunologische Nachweisverfahren! Ich hatte auch die Literatur. Nun – seit 1974 gibt es Wettkampfkontrollen, seit den 80ern sind Doping-Tests gang und gäbe.

ruprecht: Mit welchen Methoden gehen Sportler heute Kontrollen aus dem Weg?

Werner Franke: Das Allerneueste ist, dass alle jetzt gelernt haben, was die Nachweis-Grenzen sind, zum Beispiel 50 beim Hämatokrit-Wert. Da finden Sie plötzlich eine Hallenweltmeisterin über 200 Meter, Michelle Collins, mehrfach mit normalen Kontrollwerten zwischen 48 und 50. Bei so einer Frau würde man im Flachland vielleicht höchstens einen Hämatokrit von 42 erwarten. Die haben das also gelernt, an die jeweiligen Grenzwerte „heranzudopen“. Entsprechendes gilt auch für den Testosteron/Epitestosteron-Quotienten. Die Sportler können sich auf solche Werte einstellen, sind von korrupten Medizinern fachlich beraten und sind so abgesichert. Wenn ein Überraschungstest abgesiansteht, dann wird der Kontrolleur hingehalten: „Ich glaube, der Sportler ist grad was einkaufen.“ Dann wird noch schnell mit großen Trinkmengen verdünnt, oder es wird das Präparat „Polvos rojos“ – so die spanische Bezeichnung des Madrider Dopingarztes Eufemanio Fuentes – gelöst und dann vom kleinen Finger in den Urin tropfen gelassen: ein Protease-Präparat, das alle Proteine im Urin spaltet.

ruprecht: Haben sich die Motive für Doping geändert?

Werner Franke: Bis 1990 wurde Sport als weltanschaulicher Kriegsersatz-Schauplatz genutzt. Doping geschieht heute mehr und mehr aus anderen Motiven. Der Sport wurde, wie andere Bereiche des Lebens auch, „kapitalisiert“. Sportarten wie der Radrennsport sind übrigens finanziell aberwitzig hochgeschraubt. Was meinen Sie, wie viel ein Jan Ullrich pro Jahr verdient hat? 2,5 Millionen Basisvertrag, dazu Werbeeinnahmen und so weiter. Und nur für „Interview-Bereitschaft“ wurden ihm von der ARD noch fast 200 000 Euro in den Arsch geschoben: unsere öffentlich-rechtlichen Fernsehgebühren!

ruprecht: Welche neuen Wirkstoffklassen gibt es?

Werner Franke: Momentan in der Vorprüfung zur klinischen Anwendung sind die sogenannten Erythropoietin-(EPO-)Mimetika: Einige von ihnen sind dem EPO chemisch nicht verwandt, wirken aber genauso. Sie werden natürlich überhaupt nicht erkannt. Es gibt auch immer noch keinen validierten, im Sport zugelassenen Test auf das „Human growth hormone“ (HGH). Aber im Körper ist ja der eigentliche wirksamere Ligand vielfach der „Insulin-like growth factor 1“ (IGF-1). Und der ist jetzt auch in der klinischen Forschung. In geheimen Unterlagen, die ich habe, ist der nun auch schon aufgeführt, wurde z.B. von Dr. Fuentes bereits den Spitzen-Radsportlern gegeben. Sie sehen: Alles, was aus der Forschung rauskommt, wird auch schon missbraucht. Nicht, weil es dafür entwickelt worden wäre. Aber weil es halt einige Drecksäcke gibt, korrupte kriminelle Mediziner!

ruprecht: Aber welche Motive treiben Wissenschaftler, sich an Doping zu beteiligen, wie zum Beispiel die beiden Mediziner Heinrich und Schmid von der Uni Freiburg?

Werner Franke: Das hat immer damit zu tun, dass der Wissenschaftler korrumpierbar ist, und bei uns besonders. Für die Wissenschaft bei uns gibt es – im Gegensatz zu den USA – fast nur staatliche Förderung. Es gibt ein schönes Zitat aus dem Watergate-Film: „Just follow the money line“. Das ist aber nicht der einzige Grund. Für viele Mediziner und einige Wissenschaftler gilt: Die Augen leuchten, wenn ein von mir betreuter Sportler gewonnen hat! Die identifizieren sich dann mit der sportlichen Leistung des gedopten Sportlers. Das hat mal ein Sportmediziner so gesagt: „Wenn ich sehe, dass einer auf dem Siegertreppchen steht, der nicht so begabt ist, dann freue ich mich besonders, weil ich weiß, dass mein Anteil umso größer ist.“

ruprecht: Wie werden Wissenschaftler für Doping gewonnen?

Werner Franke: Das geht indirekt. Die werden zum Essen eingeladen und dabei werden sie dann gesprächsweise getestet. Sie werden vorher auch abgecheckt im Hintergrund, was man mit ihnen machen könnte. Und dann machen sie einen kleinen Vortest, da werden Sie mal auf ein Meeting eingeladen. Oder es wird gesagt „Hotel haben wir für Sie bezahlt“, und dann kommen Sie hin und sehen, das ist drei Klassen über Ihrem Standard. Das haben manche ja auch ganz gern. So rutscht man da hinein. Und es gibt „Förderung der Forschung“ dafür!

ruprecht: Und wie fließt das Geld?

Werner Franke: Telekom hat zum Beispiel an einen Arbeitskreis „Dopingfreier Sport“ bei Professor Keul in der Sportmedizin in Freiburg gespendet. Doping-Abwehr, da muss ich lachen: Denn wenn ich weiß, wie abgewehrt wird, weiß ich auch, wie man es macht. Die haben jährlich an die 450.000 Euro bekommen und haben damit Projekte finanziert. Das kann ja wohl nicht sein, dass ein Konzern an Doping-Betreuer spendet! Da hatte ich kürzlich Auseinandersetzungen mit Kollegen, die sagten. „Ja, ist doch normal, wenn die Uni Gelder kriegt. Da muss eben die Drittmittelstelle Unterlagen haben. Ärzte, Wissenschaftler, Trainer und dergleichen.

Der Umgang mit solchen heißen Informationen ist natürlich heikel. Ich habe mal einen Freund hier im Heidelberger Europäischen Molekularbiologie-Labor (EMBL) gefragt: Der hat den richtigen Rat gegeben: „Distribute it.“ Je mehr das früh verteilt ist, desto besser. „And then talk about it.“ Alles was wir haben, ist schön verstreut an verschiedenen Orten. In Baden-Württemberg war ich bei Notaren und habe alles beglaubigen lassen. Und ich habe es jedem erzählt. Denn dann machen Sie ihnen klar, dass es keinen Zweck hat, die Person auszuschalten, das Material ist überall. Das war in der Tat ein Schutz.

Kurz bevor das Buch meiner Frau „Doping: Von der Forschung zum Betrug“ erschien, wurde uns sehr mulmig, da haben sich seltsame Gestalten für das Freizeitverhalten unserer Kinder interessiert. Da hatte ich zwei Einladungen nach Israel, und da haben wir dann die entscheidenden Wochen gewohnt. Israel ist dafür empfehlenswert!

ruprecht: Würden Sie andere Hochschullehrer ermutigen, sich offen gegen Doping einzusetzen?

Werner Franke: Ich kann das einem jungen Professor nicht empfehlen. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass seine Karriere stoppt. Nicht, weil ein konkreter Anlass vorliegt, nein, es sind Bemerkungen wie „Ach wissen Sie, das ist doch ein schwieriger Mensch, dem hängt doch immer noch diese Sache an mit dem Doping im Sport.“ In Berufungskommissionen reichen ein oder zwei solcher Bemerkungen, um aus dem Spiel geschmissen zu werden.

Aber ich war in einer Situation, dass ich Farbe bekennen musste und das dann nicht mehr ethisch ablehnen konnte. Denn über einem C4-Professor ist bekanntlich nur noch der blaue Himmel. Ich musste handeln oder nicht. Oder in Abwandlung eines Handballschlagers: „Wenn nicht jetzt, wann dann?“ und „Wenn nicht ich, wer sonst?“

von Christian Graf, Victoria Keerl
   

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