02.06.2008
Schlafplatz auf der Parkbank
Schicksal Obdachlosigkeit: (Ăśber)leben auf Heidelbergs StraĂźen
„Dann hab ich bei euch an der Triplexmensa geschlafen.“ Morgens halb zehn in Deutschland, wir sitzen Hans-Georg Müller im Sozialdienst katholischer Männer gegenüber. Sein Glas Bier ist bereits halb leer.
„Dann hab ich bei euch an der Triplexmensa geschlafen.“ Morgens halb zehn in Deutschland, wir sitzen Hans-Georg Müller im Sozialdienst katholischer Männer (SKM) gegenüber. Sein Glas Bier ist bereits halb leer.
Mit Wohnungslosen ins Gespräch zu kommen, ist schwieriger als erwartet. Als wir in den SKM kommen, treffen wir Sozialarbeiter Jürgen Hofherr. Hofherr arbeitet seit 14 Jahren mit den Obdachlosen. Er ist mit den meisten per Du. Die Hälfte des Tages arbeitet er auf der Straße „um die Leute herzuholen.“ Laut Hofherr hat sich das Problem der wohnungslosen jungen Erwachsenen verschärft: „Diese Leute fallen durch alle Zuständigkeitsbereiche. Neulich stand hier eine hochschwangere 17-Jährige und wollte Hilfe.“
Insgesamt hat sich die Zahl der Bedürftigen in den letzten 15 Jahren fast verdreifacht. Im Jahr 2007 wurden 409 Personen vom SKM beraten. Mit steigender Arbeitslosenquote stieg um einige Zeit verzögert auch die Zahl der Wohnungslosen, sagt Hofherr. Dabei sind offensichtliche Faktoren wie Arbeitslosigkeit oder Sucht nicht die einzigen Ursachen dafür, dass Menschen ihre Wohnung verlieren. „Alle Menschen, die hierher kommen, haben eines gemeinsam: eine fehlende Problemlösungskompetenz. Sie fliehen vor Anforderungen, werfen Mahnungen in den Müll oder verlassen sogar die Stadt.“
Miete konnte er sich nicht mehr leisten
Durch Hofherr kommen wir mit zwei „Wohnungslosen“ ins Gespräch. Einer davon ist Hans-Georg Müller, der dieses Jahr seinen 65. Geburtstag feiert . In den Sechzigern kam er das erste Mal nach Heidelberg und arbeitete in Neckargemünd als Heizungsmonteur. 1970 zog er nach West-Berlin. „Dann hat das mit dem Trinken angefangen“, erzählt er.
Als er 2000 wieder nach Heidelberg kommt, arbeitet er nicht weiter. „Miete und Kaution konnte ich mir nicht leisten, da habe ich dann an der Uni geschlafen.“ Seit zwei Jahren hat er wieder eine Bleibe, vermittelt vom SKM. Als wir fragen, ob er sich in seinem Zimmer wohlfühle, meint Müller: „Nein. Ich muss da weg.“ Er hat seine Rente eingereicht und wartet auf den Bescheid.
Im Winter ist es sehr hart
Auch die 53-jährige Elmira Dienies ist häufig beim SKM anzutreffen. Wir fragen sie, ob sie mit dem Angebot zufrieden ist. „Ja“. Sie wohnt seit acht Jahren in Wieblingen und teilt sich mit drei Männern eine Wohnung, die Obdach e.V. vermittelt hatte. In schlechteren Zimmern sei sie auch schon untergekommen.
„Im Winter sei es sehr hart“, berichtet sie. Im vergangenen Winter verlor einen Zeh - er ist abgefroren. Nach der Schule begann Dienies eine Ausbildung zur Altenpflegerin. Als sie heiratete, brach sie die Ausbildung ab. Ihre Ehe scheiterte. „Ein spielsüchtiger Mann ist nicht zu gebrauchen“, seufzt sie. Nach der Scheidung verlies sie auch die gemeinsame Wohnung. Dienies hat fünf Kinder. Kontakt hat sie nur noch mit ihrer jüngsten Tochter: „Wer nicht will, der will eben nicht“, meint sie lapidar.
Im Park rumsitzen gehört zum Tagesablauf
Die ersten drei Jahre nach ihrer Scheidung schlug sie sich in Mannheim als Bedienung durch. Und dann? „Nichts mehr“, antwortet sie. „Sozialamt, melden, melden.“ Die finanzielle Hilfe ist gering, berichtet Dienies. Es bleibe nichts anderes übrig, als zu betteln. Wir erkundigen uns, wie ihr Tagesablauf aussieht: „Im Park rumsitzen“. Seit einiger Zeit ist Dienies verlobt. Die beiden suchen derzeit eine gemeinsame Bleibe. „Aber das ist nicht so einfach“, meint sie.
Der SKM ist die größte Anlaufstelle für Obdachlose in Heidelberg. Hier bekommen die Bedürftigen eine kostenlose warme Mahlzeit und Beratung. Weitere Unterstützung bietet die Bahnhofsmission (BM). Dort helfen 20 Mitarbeiter Reisenden egal welcher Herkunft und sozialen Status. Rentner Hartmut Mäurer ist Ehrenamtlicher BM-Mitarbeiter. Er erzählt: „Ein Mann wollte ohne Papiere und Geld nach Hamburg.
Ohne Ehrenamt gäbe es keine Bahnhofmsission
Er war aus einem Wohnstift abgehauen.“ Mäurer sorgte dafür, dass er abgeholt wurde. Auch Frau Lischke hilft. Sie sei selbst einmal sehr krank gewesen, weshalb sie nun andere unterstützen will. Ohne ehrenamtliche Helfer könnten Einrichtungen wie die BM nicht existieren.
Als wir Elmira Dienies fragen, was sie sich für die Zukunft wünscht, antwortet sie: „Dass es besser wird. Auch finanziell.“
von Lena Abushi, Julia Held