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 ProContra
03.06.2008

Sind drei Jahre Bachelor zu kurz?

Der Konflikt zwischen Mobilität und Vielfalt

95 Prozent der deutschen Bachelorstudiengänge dauern in der Regel drei Jahre. In den USA dauert der Bachelor jedoch oft sieben oder acht Semester. Will ein Student dort seinen Master anschließen, kann es Probleme geben.

Über 95 Prozent der deutschen Bachelorstudiengänge haben eine Regelstudienzeit von drei Jahren. In anderen Ländern wie den USA dauert der Bachelor jedoch oft sieben oder acht Semester. Will ein Student dort seinen Master anschließen, kann es Probleme geben: Sein Abschluss erfüllt nicht die Zulassungsvoraussetzungen. Ist der deutsche Bachelor also zu kurz? Die Universitäten stehen hier vor Inter­essenkonflikten: Flexibilisierung oder Standardisierung, in Studiendauer oder -inhalten, für mehr Inlands- oder mehr Auslandsmobilität?

 

Ja

Dr. Peter A. Zervakis, Leiter des Bologna-Zentrums der HRK

(Quelle Foto: HRK)

Deutschland hat sich verpflichtet, bis 2010 die Ziele der Bologna-Erklärung von 1999 umzusetzen, um so einen gemeinsamen Europäischen Hochschulraums zu schaffen. Neun Jahre danach ist der Begriff „Bologna“ zu einer Chiffre für einen beispiellosen Reformprozess geworden. Seit den Humboldtschen Reformen im 19. Jahrhundert hat es keine vergleichbare Umwälzung gegeben.

Die deutschen Hochschulen haben diese Studienreform als eine Modernisierungsoption aller ihrer Studienangebote angenommen, um zu international verständlichen, transparenten und vergleichbaren Studienabschlüssen zu kommen. Die Einsicht in einen Wandel von Studium und Lehre hat sich durchgesetzt, weil sie die Qualität der Studienangebote nachhaltig verbessern wird.

Die Resultate fallen beeindruckend aus, obwohl die Umstellung im laufenden Betrieb vollzogen wird und ohne zusätzliche finanzielle Unterstützung auskommt. Nach den Daten der Hochschulrektorenkonferenz gibt es beinahe 8.000 Bachelor- und Masterstudiengänge, was einer Umstellungsquote von fast 70 Prozent entspricht. Fast die Hälfte der Erstsemester schreibt sich in einen „neuen“ Studiengang ein und jeder fünfte Studierende befindet sich in einem Bachelor- oder Masterstudiengang.

Aufgrund der komplexen Wandlungsprozesse bleiben praktische Anpassungsdefizite in der Übergangszeit nicht aus. So steht zum Beispiel die starre Auslegung mit überwiegend sechs Semestern für ein Bachelor-Studium in der Kritik. Der Bachelor wird fälschlicherweise oft als ein Kurzstudium missverstanden, um Grundwissen anzusammeln und erst die sich daran anschließende Masterphase gilt als eigentliche „Kür“, die zum Beruf führt.

Der „Bologna-Rahmen“ gibt aber insgesamt fünf Jahre Spielraum vor. In diesem Kontext trifft die Hochschulen der Vorwurf, das vorherrschende 3+2-Modell vorauseilend gegenüber den Sparwünschen der Länder eingeführt zu haben, ohne ausreichend von der im übrigen Europa durchaus realisierten zeitlichen Vielfalt Gebrauch zu machen (3,5+1,5, 4+1). Folglich kommt es im Bachelor-Studium wegen übervoller Studienpläne häufig zu einem Rückgang der Auslandsmobilität.

Die Hochschulen sind dabei, für ihre Studiengänge die Konzentration auf den sechssemestrigen Bachelor zu überprüfen. Sie werden in Abstimmung mit ihren Zielen feststellen, wo ein sieben- oder achtsemestriger Bachelor Sinn macht, um etwa Praxisanteile oder Auslandssemester zu integrieren oder allgemeiner, die Studienpläne zu entzerren. Dagegen haben mittlerweile viele der dreijährigen deutschen Bachelorprogramme aufgrund ihrer inhaltlichen Qualität mehrheitlich große Akzeptanz in der Anerkennung im Ausland erfahren. Ihre Absolventen werden den übrigen Bewerbern für ein Masterprogramm gleichgestellt.

Die deutschen Hochschulen werden ihre neue Gestaltungsfreiheit stärker als bisher zur eigenen Profilbildung nutzen und die Struktur und Dauer der Studiengänge ebenso wie die Lehr- und Prüfungsformen sinnvoll flexibilisieren. Einzelne, lernintensive Fächer könnten ihr Angebot auf dreieinhalb oder vier Jahre ausdehnen, auch gegen die grundsätzlich richtige Entwicklung zur Studienzeitverkürzung. Denn ein etwas längerer Bachelor würde es den Studierenden ermöglichen, sich ausreichend Grundlagenwissen anzueignen und ihre Sprachkenntnisse im Ausland zu erweitern bzw. genügend lange Berufserfahrungen zu sammeln, um sich besser qualifiziert auf dem Arbeitsmarkt zu bewähren, ohne dabei genügend Zeit für das Selbststudium zu verlieren. Das Ziel einer verkürzten, kompetenzorientierten ersten Ausbildungsstufe wäre dadurch nicht gefährdet.



 

 

 

Nein

Dr. Martin Winter, Institut für Hochschulforschung HoF Wittenberg

(Quelle Foto: privat)

2516 der 2637 Bachelor-Studiengänge an Universitäten weisen eine Regelstudienzeit von sechs Semestern auf. Diese Information der Hochschulrektorenkonferenz deutet auf ein erstaunliches Phänomen hin. Wie konnte es zu dieser Standardisierung kommen, wo doch die Kultusministerkonferenz einen Rahmen von sechs bis acht Semestern vorgab, es ansonsten aber keine weiteren (gesetzlichen) Vorgaben gab? Vielleicht mag die Überlegung auch eine Rolle gespielt haben, dass kaum eine Universität eine sieben- oder acht-semestrige Regelstudienzeit einführen wollte, wo man an den meisten anderen Universitäten des Landes einen ähnlichen Abschluss bereits nach sechs Semestern erhalten kann.

Eine andere Frage ist, ob diese Standardisierung auch Sinn ergibt. Und hier sind wir bei einem Kerndilemma der deutschen Bologna-Studienstrukturreform angelangt. Die Studienstrukturreform möchte zwei Ziele unter einen Hut bringen, die prinzipiell nicht miteinander vereinbar sind. Zum einen sollte eine neue Vielfalt an Studiengängen im Hochschulwesen im Sinne einer Profilbildung in Studium und Lehre geschaffen werden. Die Hochschulen waren hierbei, abgesehen von den formalen Vorgaben der Kultusministerkonferenz und – wenn vorhanden – den jeweiligen Landesvorgaben, relativ frei in der Gestaltung; Rahmenprüfungsordnungen waren nicht mehr zu beachten. Das Ergebnis ist eine differenzierte, aber auch unübersichtliche „Studienlandschaft“ in der Republik und auch in Europa.

Zum anderen sollte „Bologna“ auch die Mobilität der Studierenden innerhalb Europas (und damit eigentlich auch innerhalb Deutschlands) erleichtern. Mobilität benötigt jedoch Standardisierung. Je stärker die Studiengänge nicht nur hinsichtlich ihrer Studiendauer, sondern auch der Module und ihrer Leistungsanforderungen bundes- wie europaweit standardisiert sind, desto einfacher gelingt der Hochschulwechsel.

Maximale Standardisierung ermöglicht also maximale Mobilität; die Konsequenz wären europäische oder gar globale Studien- und Prüfungsordnungen für einzelne Studiengänge. Weil überall gleich gestrickt, könnten Module dann ohne Probleme beim Wechsel von der aufnehmenden Hochschule anerkannt werden.

Die sich aufdrängende Frage ist nun, in welchen Bereichen und in welchem Ausmaß standardisierte oder unterschiedliche Lösungen zugelassen werden sollten. Hierbei sind zwei Dimensionen der Standardisierung zu unterscheiden: die formale, dazu zählen Abschlussarten, Vorgaben zur Regelstudienzeit, zur Modulgröße und inhaltliche Vorgaben zu den Kompetenzen, die im Studium zu erwerben sind. Gewisse formale Standardisierungen können durchaus zum Zweck der Studierbarkeit oder auch der Erleichterung von Mobilität hilfreich sein; heikler sind dagegen inhaltliche Vorgaben, weil sie die Freiheit der Hochschulen und ihrer Mitglieder tangieren.

Nach einer liberalen Phase im Studienreformprozess droht das Pendel langsam wieder Richtung inhaltliche Standardisierung auszuschlagen. Dies lassen Bemühungen um fachspezifische Qualifikationsrahmen zur inhaltlichen Festlegung von Studiengängen und gemeinsame inhaltliche Anforderungen der Kultusministerkonferenz für die Fächer im Lehrerstudium befürchten. Dies mag sicherlich auch die Mobilität erleichtern – nur: zu welchem Preis?

von Ellen Holder
   

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