04.11.2008
„Diese Schärfe hatte ich nicht erwartet“
ZDF-Intendant Markus Schächter über Reich-Ranicki und Fernsehkultur
Nach dem Ranicki-Eklat beim Deutschen Fernsehpreis entbrannte die Debatte über das Qualitätsfernsehen von Neuem. Nun fürchtet der ZDF-Intendant auch politische Schranken, die die öffentlich-rechtliche Grundversorgung im Internet behindern.
Das Gespräch führten Andreas Hofem und Reinhard Lask
ruprecht: Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie den Eklat von Marcel Reich-Ranicki beim Fernsehpreis in der ersten Reihe miterlebten?
Markus Schächter: Der Unmut von Marcel Reich-Ranicki, der in meiner Nähe saß, war deutlich spürbar. Ich habe geahnt, dass es einen Eklat geben könnte und habe deshalb dafür gesorgt, dass Thomas Gottschalk Herrn Reich-Ranicki früher als geplant auf die Bühne ruft. Aber da war es schon zu spät.
Im Nachhinein bin ich sicher, wir hätten den Eklat vermeiden können, wenn Reich-Ranicki gleich am Anfang geehrt worden wäre. Wenn wir ihm die Strapazen eines solchen Abends mit den, aus seiner Sicht, schlechten Laudationen, Danksagungen und Darbietungen erspart hätten. Wir hätten einen großen, interessanten Kulturmenschen erlebt, der sich für die Möglichkeit, die er hatte, Literatur ins Fernsehen zu bringen, bedankt.
Hat Sie die Schärfe von Elke Heidenreichs Kritik nach dem Eklat überrascht?
Diese Schärfe hatte ich nicht erwartet. Vielleicht gab es auch noch einen anderen Grund. Ich las heute, dass sie einen Verlag gegründet hat, was zum Zeitpunkt des Eklats bereits feststand. Da hätte sich ohnehin die Frage gestellt, ob ZDF-Sendung und Verlagstätigkeit vereinbar sind. „Die Zeit“ vermutet, dass das ein Hintergedanke beim Forcieren des Eklats war. Es ist ärgerlich, wenn man im Unfrieden auseinandergeht, zumal wir vor sechs Jahren zusammen ihre Sendung „Lesen!“ konzipiert haben. Ich hätte mir einen besseren Ausgang gewünscht.
Halten Sie die Kritik von Elke Heidenreich für grundsätzlich falsch oder hat sie nur die falsche Form gewählt, als sie Thomas Gottschalk als „alt und müde“ bezeichnete?
Man darf Kollegen nicht öffentlich herabsetzen. Man kann den Sender, mit dem man fünfeinhalb Jahre erfolgreich und gut zusammenarbeitet, nicht plötzlich als einen Sender darstellen, für den man sich schämt. Nach diesen Attacken hätte Frau Heidenreich auf uns zu kommen müssen. Sie hat das nicht getan, sondern weiter öffentlich Öl ins Feuer gegossen. Damit war die Trennung am Ende alternativlos.
Wenn man das ZDF-Programm anschaut, findet man Sendungen wie „Wege zum Glück“ oder „Reich und schön“. Muss sich das ZDF nicht doch eine Qualitätsdiskussion gefallen lassen?
Darauf können Sie unser Angebot doch nicht ernsthaft reduzieren wollen. Schauen Sie sich diesen Dienstagabend (28. Oktober, Anm. d. Red.) an: Um 20:15 Uhr die historische Dokumentation „Die Deutschen: Heinrich IV.“, dann „Frontal 21“, das „Heute-Journal“ und schließlich „Neues aus der Anstalt“. „Reich und Schön“ läuft am Vormittag, wo man eher nebenbei fernsieht. Reden Sie außerdem die Unterhaltungssendungen nicht klein, auch dort ist Qualität möglich. Fernsehen ist nun mal auch ein Unterhaltungs- und Entspannungsmedium.
Also geht es nicht um Quote, sondern um Programmbreite?
Unser Programm besteht zur Hälfte aus dem Anspruchsvollsten, was es gibt: Information. Wir wissen, dass unsere Dokumentation „Die Deutschen“ dienstags um 20:15 Uhr gegen vier beliebte Serien antritt, aber wir senden sie trotzdem gerade dort, im großen Schaufenster der Primetime.
Sind Volksmusiksendungen denn keine Quotenbringer mehr?
Es gibt weiterhin viele Menschen, die diese Sendungen lieben. Aber die Nachfrage ist nicht mehr so groß wie früher. Rund drei Prozent des ZDF-Programms sind musikalische Sendungen. Das sind „Marianne und Michael“, der „Grand Prix der Volksmusik“, André Rieu, aber auch Klassiksendungen wie die „Echo“-Preisverleihung. Früher lag der Anteil der Musiksendungen bei knapp zehn Prozent.
Besteht die Qualitätsdebatte also nur aus Klischees?
Nein, aber sie ist überzogen und oft realitätsfern. Und neu ist sie auch nicht. Ich erinnere mich noch gut an die sogenannte Qualitätsdebatte nach dem ersten Tatort 1971 „Taxi nach Leipzig“. Der später hoch dekorierte Regisseur Peter Schulze-Rohr hatte angeblich „das Ende des Erzählfernsehens“ eingeleitet. Zehn Jahre später war unsere Schwarzwaldklinik das „Ende des qualitativen Unterhaltens“. Sechs Jahre danach galt die US-Serie „Holocaust“ als „das Ende der Kultur des Erinnerns“. Jede Zeit hat ihre Schlagworte und ihre Vorstellungen von Qualität. In Sachen Vielfältigkeit und Anspruch ist das deutsche Fernsehen weltweit führend.
Das gesamte Fernsehen oder nur das Ă–ffentlich-Rechtliche?
Ich unterscheide nicht hochmütig zwischen denen, die vor allem Unterhaltung bringen müssen, um sich zu refinanzieren und uns, die wir mehr Vielfalt und Qualität bieten können. Im Neben- und Miteinander von Öffentlich-Rechtlichem und Kommerziellem, ist das deutsche Fernsehen eines der Vielfältigsten und Interessantesten.
Wenn Sie heute amerikanische Serien, internationale Dokumentationen oder große Theaterinszenierungen im Fernsehen suchen, finden sie das alles im deutschen Fernsehen. Sie müssen es nur per Fernbedienung suchen. Sie finden ein Spektrum an Angeboten, wie ich es aus keinem anderen europäischen Land kenne und bestimmt auch nicht im amerikanischen Fernsehen finde.
Die Grundversorgung rechtfertigt, dass ARD und ZDF Gebühren einnehmen können. Wieso ist dann die Quote überhaupt wichtig?
Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Das Bundesverfassungsgericht sagt: „Nur weil es die Öffentlich-Rechtlichen gibt, kann es überhaupt Private geben.“ Wer Gebühren bekommt, muss die fünf Königsdisziplinen des öffentlichen Fernsehens bedienen: Aktualität, Hintergrundinformation und Dokumentation, fiktionale Umsetzung der Wirklichkeit, Kultur und ein anspruchsvolles, wertvolles Kinderprogramm. Und dann zur Quote: Ein öffentlich-rechtlich finanziertes Fernsehen braucht Akzeptanz. Wir werden von der Gemeinschaft finanziert und deshalb sind wir auch verpflichtet, ein Programm zu machen, das diese Menschen erreicht. Quote ist per se nichts Schlechtes. Sie zeigt, ob ein Angebot den Menschen gefällt. Aber auch der Satz gilt: „Quote ist nicht alles.“
Spielt da auch die Angst mit, dass das duale System wegen zu niedriger Quoten fallen könnte?
Das Thema kommt regelmäßig auf’s Tapet: Die Konjunktur der Häme über das öffentlich-rechtliche Fernsehen. „Denen laufen die Zuschauer davon“ ist die schlimmste Form der Kritik. „Die haben keine Kultur“ ruft es eher aus dem Feuilleton. Diese beiden Pole sind immer in Bewegung.
Die Balance zwischen Akzeptanz und Relevanz, also zwischen Quote und Qualität zu finden, ist die große Herausforderung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Wenn die öffentlich-rechtlichen Sender unter einen Marktanteil von unter zehn Prozent fielen, dann hätten wir ein Problem.
Der erste RTL-Chef, Dieter Thoma, hat in den 90ern prophezeit, dass es 2010 kein öffentlich-rechtliches Fernsehen mehr geben würde. Damit hat er das Ansehen der Berufsgruppe der Propheten nicht gerade gesteigert. Es ist ganz anders gekommen: Seit 2002 ist die Akzeptanz von ARD und ZDF gegenüber Sat1 und RTL wieder gestiegen.
Muss das so weit gehen, dass das ZDF auch reiĂźerische Boulevard-Formate von den Privaten kopiert?
Jede Tageszeitung pflegt ihre Boulevardseiten. Selbst Qualitätszeitungen, wie Süddeutsche oder FAZ räumen dem Boulevard unter dem Namen „Panorama“ eine ganze Seite ein. „Hallo Deutschland“ ist keine Imitation, sondern unsere Ausprägung eines etablierten Genres. Der Qualitäts- und Umsetzungsstandard „Hallo Deutschland“, „Brisant“ oder „Leute heute“ ist hoch professionell. Dass solche Sendungen wie Imitationen wirken, liegt wohl daran, dass die Privaten dieses Genre besonders intensiv bedienen.
Wie anspruchsvoll kann das ZDF überhaupt sein, um gleichzeitig noch vor vollen Häusern spielen?
Nehmen Sie unsere zehnteilige Dokumentation zur Geschichte der Deutschen. Die findet großen Zuspruch, weil sie gut und anspruchsvoll gemacht ist. Da kommen Qualität und Interessantheit zusammen. Da erzählen Historiker und Fernsehmacher gemeinsam entscheidende Episoden der deutschen Geschichte. Und Millionen hören und sehen zu. Ich bin sicher, dass viele der 6,5 Millionen Zuschauer der ersten Folge überhaupt zum ersten Mal mit Otto I. konfrontiert wurden. Dabei entsteht vielleicht ein neues Interesse an der Geschichte, werden Bücher gekauft. Das ist die große Herausforderung und Chance unseres Mediums.
Letzte Woche fiel die Entscheidung zur Frage: Wie weit darf das öffentlich-rechtliche Fernsehen im Internet vertreten sein? Jetzt soll geprüft werden, welche digitalen Angebote einen publizistischen Mehrwert besitzen. Was halten sie von dieser Lösung?
Wir haben jetzt die Vorgaben der EU und der Bundesländer, und an diese Vorgaben werden wir uns halten. In diesem Rahmen werden wir alles dafür tun, unseren Auftrag auf dem Schirm und im Netz auch künftig zu erfüllen. An einer Feststellung hat sich nichts geändert: Wer nicht im Netz ist hat keine Zukunft, wer nicht die Standards des Netzes bedient, der geht ins Museum.
Inwieweit schränkt sie die Regelung ein?
Wir werden mit einem erheblichen bürokratischen Aufwand belastet. Bei jedem Angebot muss der Bezug zu einer konkreten Sendung nachgewiesen werden. Es wird sehr viel schwerer als heute möglich, Beiträge über eine längere Zeit bereitzustellen.
In Frankreich ist das anders. Hier sagt der Staat den öffentlich-rechtlichen Medien: „Seid so erfolgreich im Netz wie ihr könnt.“ Doch ich jammere nicht. Ich weiß, dass wir mit den Zeitungen ein schwieriges Konkurrenzfeld haben und dass es ein Privileg ist, dass wir für unsere Arbeit Gebühren bekommen. Wir werden das Beste aus der Situation machen. Nicht für uns selbst, sondern für unsere Zuschauer und User.
Herr Schächter, vielen Dank für das Gespräch.
von Andreas Hofem und Reinhard Lask