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Interview
25.12.2010
Kein Hort des Widerstands Eckart Conze über die NS-Vergangenheit des Auswärtigen Amtes Eckart Conze, Professor für Neuere Geschichte in Marburg, ist Mitglied der Unabhängigen Historikerkommission, die den Bericht „Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik“ veröffentlichte. Der Professor für Neuere Geschichte an der Universität Marburg, ist Mitglied der Unabhängigen Historikerkommission, die den Bericht „Das Amt und die Vergangenheit: Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik“ veröffentlichte. ruprecht: Herr Conze, Konrad Adenauer wird oft der Satz in den Mund gelegt: „Ich schütte kein dreckiges Wasser weg, wenn ich kein sauberes habe.“ Hatte er legitime Gründe, vorbelastete Beamte wieder in das Auswärtige Amt aufzunehmen? Eckart Conze: Es gab natürlich Handlungszwänge. Aber es hätte auch Möglichkeiten gegeben, anderes Personal zu rekrutieren. Adenauer selbst hatte ja zunächst die feste Absicht, gerade nicht das alte Personal wieder einzustellen, weil er genau wusste, um wen es sich handelte. Die Äußerung Adenauers über das „schmutzige Wasser“ spiegelt bereits eine spätere Entwicklung wider und verweist auf den Einfluss, den die alten Eliten in der Bundesrepublik wenige Jahre nach 1949 wieder gewonnen hatten. Das gilt im übrigen nicht nur für den diplomatischen Dienst. In vielen Bereichen war man der Ansicht, auf die Kompetenzen, die Expertise und die Erfahrungen der alten Eliten angewiesen zu sein. Das ist ein Grund für die hohe personelle Kontinuität im Auswärtigen Amt. Ist das eine Entschuldigung? Es geht nicht um Entschuldigungen. Der Historiker sucht nach Erklärungen, nach Gründen für die personelle Kontinuität und die hohen Positionen, die zum Teil schwer belastetes NS-Personal im Auswärtigen Amt der Bundesrepublik inne hatten. Ihre These ist „Das Auswärtige Amt hat sich an den NS-Verbrechen mit schuldig gemacht.“ Wie ist das zu verstehen? Das Auswärtige Amt war an der verbrecherischen Politik des Nationalsozialismus beteiligt, und zwar vom 30. Januar 1933 an. Diese Beteiligung war aber nicht nur ein passives Mitvollziehen, sondern immer wieder auch ein Aktiv- Werden, nicht selten ein Initiativ- Werden. In diesem Sinne waren deutsche Diplomaten an den Verbrechen des Nationalsozialismus beteiligt. Es geht nicht um das Auswärtige Amt im Dritten Reich, sondern um das Auswärtige Amt des Dritten Reiches. Mehrere Historiker haben bereits Bücher über die Verbrechen des Auswärtigen Amtes veröffentlicht. Weshalb hat das Thema bisher so wenig Interesse in der Öffentlichkeit erregt? Die entscheidende Frage ist, was eine Gesellschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt über ihre Geschichte wissen will. Die deutsche Gesellschaft wollte nach 1945 und insbesondere in den fünfziger Jahren nichts von der breiten Beteiligung der Eliten und der gesamten Bürokratie an der Gewaltpolitik des Nationalsozialismus wissen. Weite Teile der deutschen Gesellschaft hatten den Nationalsozialismus unterstützt, und die deutsche Gesellschaft war 1945 nicht ausgetauscht worden. Es entlastete, führende Nazis als verantwortlich zu bezeichnen und im Übrigen auf die vielen „Mitläufer“ zu verweisen. Alles andere wurde in den fünfziger Jahren verdrängt und marginalisiert. In diesem Klima entwickelten sich öffentliche Geschichtsbilder, die es auch in späterer Zeit schwer machten, dass noch so klare wissenschaftliche Untersuchungen so aufgenommen und bewertet wurden, wie es unserem Buch jetzt – 65 Jahre nach Kriegsende – widerfährt. Heute scheint die Gesellschaft in einem ganz anderen Maße bereit zu sein, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen. Das hat sicher auch mit dem Generationswechsel und der zunehmenden Distanz zum Nationalsozialismus zu tun. Brauchten wir einen Joschka Fischer, um die Ereignisse aufzuarbeiten? arbeiten? Oder ist das Thema nur wegen der „Nachrufaffäre“ angegangen worden? Ja, es bedurfte eines Auslösers. Und dieser Auslöser war die „Nachrufaffäre“, die 2003 mit dem Brief von Marga Henseler an Herr Fischer begann. Vermutlich kann man die Auseinandersetzung über die Nachrufe auch als Teil eines Generationenkonflikts verstehen. Fischer gehört einer Generation mit einem anderen Blick auf den Nationalsozialismus an und steht für einen anderen Umgang mit der NS-Vergangenheit nach 1945, als die „Mumien“, die ehemaligen Diplomaten, die ihn angriffen. Das ist ein wichtiger Grund dafür, dass Fischer eine Unabhängige Historikerkommission eingesetzt hat, deren Buch jetzt vorliegt. Ihre Arbeit ist mit der Untersuchung des Auswärtigen Amtes nicht beendet. Es geht erst los. Was die exemplarische Untersuchung des Auswärtigen Amtes noch einmal deutlich gemacht hat, ist die breite Beteiligung aller Institutionen und aller Behörden an der verbrecherischen Maschinerie, dem verbrecherischen Apparat des Dritten Reiches. Das hat uns als Historiker kaum überrascht, denn anders konnte ein solches Räderwerk der Gewalt nicht funktionieren. Aber es ist wichtig, dass solche Erkenntnisse auch eine breitere Öffentlichkeit erreichen. Es liegt in der Logik dieser Entwicklung, dass nun auch andere Behörden und Ministerien ihre Geschichte untersuchen lassen werden. Ich nenne nur das Finanzministerium, den BND oder den Verfassungsschutz. Andere werden folgen. Deutlich wird, dass unsere gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus nicht an ihr Ende gelangt ist, sondern dass sie sich fortsetzt und neue thematische Horizonte findet. Jede Generation muss neu ihre Fragen an diese Geschichte stellen. Es ist ein wichtiger Teil der politischen Kultur der Bundesrepublik geworden, sich immer wieder mit der Geschichte des Nationalsozialismus auseinanderzusetzen, auch als Teil ihrer gesellschaftlichen Selbstverständigung. Deshalb wehre ich mich dagegen, Schlusspunkte zu setzen. Auch unser Buch über das Auswärtige Amt ist kein Schlusspunkt. Müssen die Geschichtsbücher nun umgeschrieben werden? Die Verantwortung und das Versagen der Eliten werden schon deutlich dargestellt. Vielleicht sollte man eher darüber nachdenken, wie man verdeutlichen kann, wie es immer wieder – und nicht nur im deutschen Falle – passieren konnte und kann, dass Eliten und Bürokratien mit verbrecherischen Regimen kooperieren, und zwar auch im Sinne aktiver Beteiligung. Sie räumen mit der Legende auf, das Auswärtige Amt sei ein Hort des Widerstands gewesen. Wie stand es um die Opposition? Es gab Oppositionelle. Aber es waren einzelne Personen, die aus individuellen Motiven heraus Widerstand leisteten. Dieser Widerstand konnte ganz unterschiedliche Formen annehmen. Da sind diejenigen aus dem Umfeld des 20. Juli 1944, die den Staatsstreich und die Beseitigung Hitlers planten. Aber auch Leute, wie Fritz Kolbe, der den Amerikanern geheime Dokumente lieferten. Oder andere wie Gerhart Feine, der 1944 Juden in Ungarn vor der Vernichtung rettete. Das zeigt: Spielräume für oppositionelles Handeln hat es gegeben. Aber es bleibt zu betonen, dass das Auswärtige Amt als Institution kein Hort des Widerstandes war. Ernst von Weizsäcker wird in der Geschichte sehr unterschiedlich bewertet. Wie sehen Sie seine Rolle? Weizsäcker ist eine ausgesprochen schwierige Figur. Es ist nicht zu bestreiten, dass er insbesondere in den Jahren 1938/39 mit einer Gruppe von Diplomaten in seinem Umkreis versuchte, den „Großen Krieg“ zu verhindern. Das gelang bekanntermaßen nicht. Der gleiche Weizsäcker vertrat jedoch von 1933 an die Politik des Nationalsozialismus. Er steht geradezu paradigmatisch für das Versagen der deutschen politischen Funktionseliten. Auch Weizsäcker hat die antisemitische Politik des Nationalsozialismus unterstützt, er hielt sie für nachvollziehbar und hat sie nach außen dargestellt und legitimiert. Später, als Staatssekretär, hat er seinen Anteil daran gehabt, dass die Vernichtungspolitik reibungslos durchgeführt werden konnte. Für sein Verbleiben im Amt wird ihm das Motiv zugeschrieben, er habe von innen, aus dem Amt heraus, Sand ins Getriebe des Regimes streuen und Schlimmeres verhindern wollen. Doch was ist denn an Schlimmerem verhindert worden? Deutschland entfesselte einen Eroberungs- und Vernichtungskrieg, sechs Millionen Juden wurden ermordet. Ist es ein beachtlicher Schritt gewesen, dass das Auswärtige Amt 2005 diese Untersuchung initiierte, oder ist dies viel zu spät geschehen? Es war nicht zu spät. Es war zwar ein seit langem notwendiger Schritt, aber völlig unabhängig vom Zeitpunkt war es ein wichtiges Signal des Auswärtigen Amtes, diese Untersuchung in Auftrag gegeben und sie unterstützt zu haben. Das spricht für das Geschichts- und das Selbstbewusstsein des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik. Das Auswärtige Amt der Bundesrepublik, fast 60 Jahre alt, hat es nicht nötig, das Auswärtige Amt des Dritten Reiches in seine Traditionsbildung mit einzubeziehen. Es gibt gute Gründe, sich auf einzelne Oppositionelle in der Zeit des Nationalsozialismus zu beziehen. Das ist nachvollziehbar und legitim, aber es gibt keinen Grund, heute eine Ehrenrettung des Auswärtigen Amtes des Dritten Reiches zu betreiben. Das Auswärtige Amt der Bundesrepublik steht für 60 Jahre einer erfolgreichen Politik. Es steht als zentrale Institution für ein freiheitliches, demokratisches Gemeinwesen. Da bedarf es keiner Traditionsbildung, die das verbrecherische Amt des Dritten Reiches mit einbezieht. Stimmen Sie Außenminister Guido Westerwelle zu, dass Ihr Buch fester Bestandteil der Diplomatenausbildung werden sollte? Ich halte das für eine wichtige Maßnahme. Sie ist ja eine der ersten Konsequenzen, die im Auswärtigen Amt aus der Veröffentlichung unserer Studie gezogen worden ist. Denn unser Buch thematisiert, jenseits seines konkreten Gegenstandes, ganz prinzipiell die Frage nach dem Handeln und der Verantwortung von Funktionseliten. Und das ist ein Thema, mit dem sich zukünftige Diplomaten, aber auch Angehörige anderer politischer und gesellschaftlicher Funktionseliten, gründlich auseinandersetzen sollten. |