13.06.2010
Ärztliche Redepflicht
Prüfungsamt darf Krankheitsdetails verlangen
Um "Scheinattesten" vorzubeugen dürfen Prüfungsämter jeden unter die Lupe nehmen, die sich für Prüfung krankschreiben lassen. Dafür kann es sogar nötig werden, den Attest ausstellenden Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden.
Um „Scheinattesten“ vorzubeugen dürfen Prüfungsämter jeden unter die Lupe nehmen, die krankheitsbedingt nicht an einer Prüfung teilnehmen konnten. Dafür kann es sogar nötig werden, seinen Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden.
Wer sich bisher darauf verlassen hat, dass es ausreicht, sich mit einem einfachen Attest für eine nicht abgelegte Prüfung zu entschuldigen, liegt falsch. Prüfungsämter können die Offenlegung sensibler medizinischer Daten verlangen, um abzuwägen, ob ein Student wirklich so krank war, dass er die Prüfung nicht hätte ablegen können.
Das bedeutet, dass nicht der Arzt, sondern das Prüfungsamt und somit die Hochschule darüber entscheidet, wer prüfungstauglich ist und wer nicht. Dafür kann sogar die Entbindung des Arztes von seiner Schweigepflicht nötig sein.
Das Wissenschaftsministerium hält diese Regelung für rechtmäßig und angemessen. Dem Arzt stehe lediglich die Beschreibung der Krankheit sowie die Darlegung der Auswirkungen auf die Prüfungsfähigkeit zu. Die letztendliche
Entscheidung, ob die angegebenen Gründe ausreichen, um eine Prüfungsunfähigkeit zu bescheinigen, müsse das jeweilige Prüfungsamt eigenverantwortlich treffen. Dafür sei eine detaillierte Angabe der Krankheit nötig.
Mit dieser Vorgehensweise möchte man unter anderem Scheinatteste verhindern. Norbert Winter, Sozialreferent der Fachschaftskonferenz (FSK), hält dies für fragwürdig und eine rechtliche Grauzone. "Hierbei wird oftmals außer Acht gelassen, dass durch den zunehmenden Leistungsdruck psychische, also nicht unbedingt offensichtliche Erkrankungen zunehmen und auch attestiert werden sollten", erklärt Winter. "An der Universität gibt es eine zunehmende Tendenz dazu, Studierende immer mehr zu kontrollieren," fügt er hinzu.
Heiko Jakubzik, Leiter des Prüfungsamtes der Philosophischen und Neuphilologischen Fakultät, weiß bisher von keinem Fall, in dem die Symptombeschreibung eines Arztes nicht ausreichte. Zudem hält er diese Regelung für nicht praktikabel. Sollte ein begründeter Verdachtsfall einer vorgetäuschten Erkrankung bestehen, würde dieser Student ohnehin zum Amtsarzt überwiesen.
Ziel sei es, ein gleiches und gerechtes Prüfungsverfahren für jeden Prüfungskandidaten zu ermöglichen. Die Einsicht in sensible medizinische Daten stelle keine zusätzliche Hilfe dar, wenn ein Arzt die Prüfungsunfähigkeit eines Studenten bereits mit ausreichender Begründung attestiert.
Laut Marietta Fuhrmann-Koch, Pressesprecherin der Universität Heidelberg, solle es auch nicht der Regelfall sein, dass ärztliche Atteste bezüglich ihrer Glaubwürdigkeit hinterfragt werden. Das Dezernat für Studium und Lehre rät sogar allen Prüfungsämtern davon ab, Daten zum Krankheitsbild eines Prüflings zu erheben. "Mitglieder des Prüfungsausschusses haben meist nicht den Sachverstand, sachgerecht und zuverlässig zu überprüfen, ob ein
Prüfling wirklich krank ist“, erklärt Matthias Roth, Referent beim Landesdatenschutzbeauftragten.
Ärzte seien als Sachverständige wesentlich besser geeignet, eine Prüfungsunfähigkeit festzustellen. Dabei solle jedoch darauf geachtet werden, dass so wenige Daten wie möglich erhoben werden.
Die Studenten am Institut für Bildungswissenschaften müssen sich wegen dieser Praktik ohnehin nicht sorgen: "Bisher haben wir jedes Attest akzeptiert und maßen uns nicht an, beurteilen zu können, ob ein Student tatsächlich prüfungsunfähig war oder nicht,“ heißt es von ihrem Prüfungsamt.
von Stefanie Müller und Christoph Straub