11.07.2011
Politischer Kampf aus dem Exil
Bei Ling ist Biograph und Freund des Nobelpreisträgers Liu Xiaobo
Bei Ling
Zeitgleich zur Verleihung des Friedensnobelpreises 2010 an den abwesenden Liu Xiaobo publizierte Bei Ling die Biographie seines Freundes. Nun reist er durch die Welt, erzählt von seinem Buch und dabei vom Leben in einem autoritären Apparat.
Das Gespräch führte Xiaolei Mu
ruprecht: Ist das Ihr erster Besuch in Heidelberg? Was halten Sie von der Stadt?
Bei Ling: Heidelberg ist eine Stadt mit einer reichen Geschichte. In meiner Erinnerung hat sie eine berühmte Universität, aus der einflussreiche Philosophen kamen. Deshalb ist sie für mich die deutsche Stadt, die in meinem Bewusstsein die größte Präsenz hat.
ruprecht: Sie haben Liu Xiaobos Biographie innerhalb weniger Wochen nach Bekanntgabe des Nobelkomitees publiziert, obwohl er durch den Nobelpreis bereits internationale Aufmerksamkeit erregt hatte. Was wollen Sie mit dieser Biographie bezwecken?
Bei Ling: Erst einmal sind wir Freunde. Wir haben den Chinese PEN-Club gegründet und kennen uns seit 25 Jahren. Wenn ich eine Biographie über ihn verfasse, fließt auch ein gutes Stück meines eigenen Lebens ein. Das Buch handelt von den letzten 35 Jahren, beginnt also nicht wie eine typische Biographie mit seiner Geburt. Stattdessen starte ich mit seiner Zeit an der Gesamtschule und verfolge von dort Stationen in seinem Leben, wozu unter anderem sein Einfluss als Literaturkritiker oder seine 20-jährige Tätigkeit als politischer Aktivist gehörten.
ruprecht: Diese Biographie dürfte in China überhaupt nicht publizierbar sein, oder?
Bei Ling: Völlig unmöglich. Dieses Buch ist in China verboten.
ruprecht: Ist es Chinesen überhaupt bekannt, dass diese Biographie existiert?
Bei Ling: Die Öffentlichkeit weiß nichts über diese Biographie. Vielleicht gibt es einige Leute, die über das Internet davon erfahren haben. Schließlich sind sogar einige Kapitel auf meiner Website einsehbar. Aber wie man weiß, gibt es in China eine strenge Zensur. Menschen fürchten sich davor, über Liu Xiaobo zu reden. Sie fürchten sich davor, seine Werke zu lesen.
ruprecht: Ich habe in den deutschen Medien gelesen, dass Liu Xiaobo nicht einmal davon weiß, dass er den Nobelpreis erhalten hat. Hat sich an der Situation irgendetwas geändert?
Bei Ling: Nein. Seit der Bekanntgabe des Nobelkomitees ist die Informationssperre in China immer strenger geworden. Die Regierung ist sauer und versucht jeglichen Kontakt, den Liu Xiaobo mit der Außenwelt hat, zu unterbinden. Weder seine Familie noch seine Ehefrau können ihn im Gefängnis besuchen. Seine Frau steht ja mittlerweile unter Hausarrest.
ruprecht: Sie sind ein sogenannter Untergrundpoet in Beijing gewesen. Wie sind Sie damit umgegangen?
Bei Ling: Für meine Generation bin ich ein ziemlich unüblicher Fall gewesen. Die meisten meiner Schulkameraden sind heute Parteifunktionäre. Einer von ihnen ist sogar ein hohes Tier in der Regierung. Kontakt mit der Bewegung der Untergrundpoeten hatte ich als Student Ende der 70er Jahre. In den 80er Jahren hatte sie ihren stärksten Einfluss. Wir besaßen damals eine Stimme abseits der regierungsfreundlichen Medien, mit der wir viele Menschen erreichen konnten. Entsprechend unbeliebt waren wir bei der Kommunistischen Partei.
Unser Einfluss ebbte jedoch in den 90er Jahren ab. Grund dafür waren zunehmende Kontrollmaßnahmen, die besonders im kulturellen Sektor eingeführt wurden. Ein anderer Grund mag die Gesellschaft selbst sein, die ihre Aufmerksamkeit zunehmend auf monetäre Werte richtet.
ruprecht: Was bedeutet es für Sie ein Dichter zu sein?
Bei Ling: In der Hinsicht gleiche ich wohl Liu Xiaobo oder dem Künstler Ai Weiwei. Mir würde es nicht ausreichen, mich bloß mit Lyrik oder Literatur oder Kunst zu befassen. Es gibt da eine Verantwortung, die mich dazu treibt, etwas sagen zu müssen; zum System, zur Politik, zur Regierung. Auch wenn ich mich dadurch der Verfolgung aussetze.
ruprecht: Was haben Sie und Liu Xiaobo während der Demonstrationen am Tian‘anmen gemacht?
Bei Ling: Unsere Priorität war es, die internationale Gemeinschaft darüber zu informieren, was in Beijing tatsächlich vor sich ging. Es war ja nicht nur der Tian‘anmen Platz, wo die Soldaten patrouillierten. Ganz Beijing war in einem Aufruhr und Menschen wurden auf offener Straße getötet. Zu der Zeit besaß die studentische Protestbewegung eine starke Unterstützung im Ausland. Als sie anfingen zu demonstrieren, wusste die Regierung, dass die Situation schlecht für sie war.
ruprecht: Hätten Sie damals gerechnet, dass die Soldaten tatsächlich das Feuer auf die Studenten eröffnen würden?
Bei Ling: Die Regierung hatte Angst. Die Situation war unglaublich angespannt und sie dachten, wenn sie diese Bewegung nicht niederschlagen würden, verlierten sie ihren Einfluss, ihre Glaubwürdigkeit oder ihr Gesicht. Zum Schluss waren beide Optionen nicht vorteilhaft. Die Weltöffentlichkeit hatte das Auge auf Tian‘an men gerichtet, weshalb das Massaker Chinas Ruf in den folgenden Jahren ungemein schadete. Viele aus der Protestbewegung setzten sich danach ins Ausland ab.
ruprecht: Sie lebten zuerst in den USA, mittlerweile aber in Taiwan. Sind die demokratischen Systeme in diesen Ländern sinnvolle Modelle für China?
Bei Ling: Auf alle Fälle. Dort sind Rechte wie Pressefreiheit, Meinungsfreiheit oder Freiheit der Kunst in der Verfassung verankert. In China wird jeder kritische Gedanke, jeder politische Aktionismus, der nicht der Linie entspricht, im Keim erstickt. Nach meiner Wahrnehmung ist die Zensur in China in den letzten Jahren noch stärker geworden, verglichen mit den 80er Jahren, als die Dichterbewegung noch sehr stark war. Es könnte sein, dass das Internet jetzt neue Räume schafft, wo sich Menschen frei austauschen können, aber das kann ich nicht so gut beurteilen.
ruprecht: Könnte sich China aufgrund seiner wirtschaftlichen Entwicklung doch noch zur Demokratie entwickeln?
Bei Ling: Ich weiß es nicht. Keiner weiß es. Aber ich bin mir nicht sicher, ob die bloße wirtschaftliche Entwicklung ausreicht. Es bildet sich in China eine starke Mittelschicht, die nicht mehr ignoriert werden kann. Gleichzeitig wird die Partei und ihre Zensur immer paranoider. Ich habe allerdings das Gefühl, dass dieses Land und diese Regierung sich bald ernsten Problemen stellen muss.
ruprecht: Vielen Dank für das Gespräch.
Bei Ling: „Der Freiheit geopfert“, riva Verlag, 208 Seiten, 19,95 Euro