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Interview
10.12.2012
„Das ist Betrug am Leser“ Der Blogger Hardy Prothmann über die Zukunft des Lokaljournalismus Bratwurstjournalismus, kaum Recherche und mangelhafte Analyse: Der Blogger Hardy Prothmann übt heftige Kritik an der Rhein-Neckar-Zeitung und dem Mannheimer Morgen und erklärt, warum die Blogs die Zukunft der lokalen Berichterstattung sind. Das Gespräch führten Ziad-Emanuel Farag und Annika Kasties ruprecht: Herr Prothmann, in Medienkreisen herrscht das Vorurteil, Blogs könnten dem Qualitätsjournalismus der Printmedien nie das Wasser reichen. Wie stehen Sie dazu? Hardy Prothmann: Ich vermute mal, dass Zeitungsjournalisten dieses Vorurteil bewusst schüren, weil sie Angst vor dem Internet haben. Sie hingegen werfen den hiesigen Lokalzeitungen „Bratwurstjournalismus“ vor. Was meinen Sie damit? Auf das Wort bin ich gekommen, als ich eines Morgens den Mannheimer Morgen gelesen habe. Da war so eine Bla-Bla-Berichterstattung über ein Fest, vollkommen aufgebläht mit den typischen Phrasen wie „Der Wettergott war den Gästen gnädig“, „Der kühle Gerstensaft floss in Strömen“ und „Die Luft war gefüllt vom Duft leckerer Bratwürste“. Ich habe mich darüber aufgeregt, denn der Informationsgehalt war gleich Null. Da die Bratwurst etwas ist, was diese Feste ausmacht, war das somit für mich Bratwurstjournalismus. Warum äußern Sie gegenüber Medien wie der Rhein-Neckar-Zeitung und dem Mannheimer Morgen öffentlich Ihre Verachtung? Das hat damit zu tun, dass ich Opfer von Zeitungen bin, von anderen Journalisten, die nicht sauber arbeiten. Das ist eine Art Selbstverteidigung. Ich möchte den Menschen draußen klarmachen, dass ich als Journalist nicht nur den Bürgermeister oder Amtsinhaber anderer Art beobachte, sondern auch die Medien, weil sie Teil der öffentlichen Meinung sind. Wenn zum Beispiel bei der Rhein-Neckar-Zeitung ein Redakteur den Text eines CDU-Politikers von der Homepage nimmt, den ein wenig umschreibt und dann seinen Namen drüber setzt, hat der Spaß ein Ende. Das ist Betrug am Leser! Sie sagen über sich und Ihren Lokalblog: „Ich bin die Zukunft.“ Wie kommen Sie zu dieser selbstbewussten Aussage? Ich sehe die Zukunft des Lokaljournalismus deshalb in Blogs oder Internetzeitungen, weil wir in Deutschland einen monopolisierten Zeitungsmarkt haben, der nach dem Krieg strukturiert wurde und sich seitdem nicht ausdifferenziert hat. Aus ehemals über 700 Zeitungsverlagen sind nur noch 350 übrig geblieben. Es gibt außer in den Großstädten keine journalistische Konkurrenz. Und Konkurrenz belebt das Geschäft. Dieses für eine Gesellschaft sehr wichtige Element der Meinungsfreiheit und vor allem auch die Kontrolle von Politik, Wirtschaft, Institutionen, Ämtern und Vereinen werden durch zusätzliche Akteure am Markt belebt. Das ist etwas, das gefehlt hat und das mit viel Freude von den Menschen angenommen wird.
Sie haben 2009 das Heddesheimblog gegründet. Wie kam es dazu? Ich war ein frustrierter Zeitungsleser. In Heddesheim wurde über ein Logistikprojekt berichtet: bis zu tausend Arbeitsplätze, unglaubliche Gewerbesteuern, die Zukunft Heddesheims sei gerettet durch Investitionen von angeblich 100 Millionen Euro und einem bebauten Grundstück von 200.000 Quadratmetern. Ich habe bezweifelt, dass tausend Arbeitsplätze dort entstehen, ebenso wie ich bezweifelt habe, dass riesige Gewerbesteuern fließen. Die Zeitungen haben nur „Hurra“-Berichterstattung gemacht. Es fand keine Recherche, keine Analyse statt. Ich bin dann ins Archiv des Mannheimer Morgen gegangen und habe dort drei Dutzend Artikel über das Unternehmen gefunden, alle negativ. In der Zeitung habe ich davon nichts mehr gelesen, obwohl die Berichterstattung nur sechs Jahre zurück lag. Das haben sie entweder bewusst ignoriert, dann ist es schlechter Journalismus. Oder sie haben sich gar nicht darum gekümmert, dann ist es auch schlechter Journalismus. Ich hab aus den Artikeln eine Zusammenfassung geschrieben und diese ins Internet gestellt. Das sollte einfach nur eine Information für meine Mitbürger sein. Und aus dieser Information ist das Heddesheimblog entstanden. Genau. Wir sind mittlerweile ein Netzwerk von 30 sehr eng zusammenarbeitenden und 40 weiteren Blogs oder Internetzeitungen. Die sitzen zum Beispiel in Berlin, Hamburg und am Tegernsee und bauen dort mit großem Interesse der Öffentlichkeit ihre Blogs auf. Alles sehr klein, alles sehr bescheiden. Die Zeitungen sollen uns ruhig weiterhin nicht ernst nehmen. Denn irgendwann werden sie versuchen anzugreifen, das ist ganz klar. Irgendwann sind sie so weit, dass sie kommen und zubeißen. Dann werden sie ihre Juristen losschicken, dann werden irgendwelche anderen Sachen passieren. Aber im Moment ist es noch relativ ruhig. Wir nutzen die Zeit, um uns zu etablieren. Sie haben bewusst den Weg vom überregionalen Journalismus ins Lokale gewählt. Was ist für Sie der Reiz des Lokalen? Das Lokale hat den großen Vorteil, dass man es hier überwiegend noch mit normalen Menschen zu tun hat. Ich will die anderen nicht abwerten. Berufspolitiker, Geschäftsführer von großen Unternehmen, Berufssportler und Schauspieler sind alles interessante Persönlichkeiten, aber es sind auch Profis. Das ist nicht das wirkliche Leben. Im Lokalen erreicht man die Menschen direkt. Man ist in einem sehr engen Austausch. Das ist super spannend. Und die Themenfülle ist viel größer. Ich mache heute Wirtschaft, morgen was mit Kultur, dann irgendwas mit Kindern oder Eltern und Erziehung. Im Journalismus ist die Meinung verbreitet, das Internet sei eine Bedrohung. Was sind denn die Chancen, die das Internet bietet? Natürlich kann ich viele etablierte Medien verstehen, insbesondere Zeitungen, die das Internet als Gefahr wahrnehmen. Es wird deutlich, dass es durch eine neue Konkurrenz mit der eigenen Monopolstellung nicht mehr so gut aussieht. Wir bewegen uns aber in einer freien Marktwirtschaft. Das heißt die Angebote, die in einem Markt erfolgreich agieren, werden den Markt auch bestimmen. Die Zeitungen werden da eine Weile noch mitmachen. Ich sehe keine Bedrohung des Journalismus. Ganz im Gegenteil. Journalisten können über das Internet viel besser recherchieren und haben die Möglichkeit, Nachrichten in die Welt zu bringen, die es vorher in dieser Form nicht gab. An der Qualität dieser Nachrichten kann man allerdings auch zweifeln. Ich halte dieses Rekurrieren auf den Qualitätsjournalismus für absolut lächerlich. Gucken Sie sich doch die Lokalzeitungen an. Die Mantelausgabe – sprich Politik und Wirtschaft – besteht fast ausschließlich aus Agenturmeldungen. Wenn Sie sich in einem Bahnhofskiosk die Lokalausgaben verschiedener baden-württembergischer Zeitungen angucken, können Sie die Logos und die Namen austauschen und der Rest ist gleich: die gleichen Fotos, die gleichen Überschriften, die gleichen Berichte, alles Agentur. Und im Lokalen, da, wo sie exklusiv sind, da, wo ihnen eigentlich niemand anderes reinfunken kann, da, wo sie die Nachrichten, die Personen, die Geschichten finden können, da gibt es eben diese Bratwurstberichterstattung. Aber die echte Recherche, die echte Analyse, das reflektierte Nachdenken und Übersetzen in starke Artikel ist in den meisten lokalen Ausgaben wirklich Mangelware. Ich sage das schon seit mehreren Jahren, auch auf Journalistenkongressen. Ich bin dafür teilweise sehr angefeindet worden, auch von Kollegen, wo es hieß, ich sei ein Nestbeschmutzer. Mittlerweile sind ganz viele aufgewacht und sagen: Ja, es stimmt. Wir müssen weg von diesem Bratwurstjournalismus. Wir müssen das Lokale stärken. Was würden Sie Ihren Kollegen raten? Ich bin schon ein paar Mal gefragt worden, was ich machen würde, wenn ich Zeitungschefredakteur oder Ressortleiter wäre. Ich würde den Mantel wegschmeißen. Spart Euch die Agenturen. Das ist alles schon im Netz gewesen bis es am nächsten Tag gedruckt ist. Stärkt das Lokale. Macht lokale Wirtschaftsberichterstattung. Macht lokale gute politische Berichterstattung. Die Feuilletonisten würde ich allesamt rauswerfen. Die kriegen sofort eine Kündigung. Und dann hol ich mir unter Umständen Blogger, die tatsächlich verständig über Popmusik, über Theater, über Film reden können, weil sie weltweit unterwegs sind, weil die Kontakte haben, weil die mit Machern im Austausch sind. Das ist etwas, was diese feinen Herren mit ihren roten Schals und weißen Haaren, die in ihrem Feuilleton nicht wissen, welchen Verriss sie heute schreiben sollen, gar nicht mehr hinbekommen. Das interessiert keinen Mensch, was die machen. Der Print ist also obsolet geworden? Der Print ist nach wie vor ein tolles Medium. Es gibt eine Sache, die das Internet überhaupt nicht in dieser Form anbieten kann und das ist die Opulenz, die Doppelseite. In Zeitungen kann man mit starken Fotos arbeiten. Das ist leider oft auch nicht mehr der Fall, gerade im Regionalen, weil die Fotografen nicht mehr bezahlt werden. Die professionellen Fotografen bekommen nur noch'n Appel und'n Ei für ihre Fotos und müssen von Termin zu Termin rasen, um wenigstens einigermaßen davon leben zu können. Da kann keine Qualität rauskommen. Wenn Sie allerdings auf Qualität setzen und das Foto haben, das die Geschichte erklärt, dazu einen guten Blattmacher, kann die Zeitung nach wie vor sehr informativ sein. Was sie heute nicht mehr sein kann ist aktuell. Das Rennen hat sie gegen das Internet verloren. Sie kann aber mit Ruhe, mit Zeit zur Besinnung, mit Analyse, mit Nachdenklichkeit sehr wohl Erfolg haben. Ich sehe allerdings, dass sich die meisten Tageszeitungen innerhalb der nächsten Jahre zu Wochenzeitungen entwickeln oder zu zweiwöchigen Ausgaben.
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