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StudiLeben
03.02.2012
Mehr Vielfalt für das Öko-System Studierende wollen die Volkswirtschaftslehre reformieren Krisenzeiten verleihen kritischen Ansätzen in den Wirtschaftswissenschaften wieder Aufschwung. Anstatt sich abstrakten Formelwelten hinzugeben, fordern Studierende der Politischen Ökonomik mehr Realitätsbezug in ihrem Fach und ernten damit nicht nur Applaus. Rund sechzig Interessierte folgen Professor Angelika Zahrnt aufmerksam, während sie von der Postwachstumsgesellschaft spricht und erklärt, wie diese dazu beitragen könnte, die vielfältigen Probleme unserer Zeit zu überwinden. Die Veranstaltung ist Teil der jährlichen Vortragsreihe des Arbeitskreises Real World Economics. In der Krise haben alternative Ansätze Konjunktur. Doch der Arbeitskreis wurde bereits 2003 von Studierenden in Heidelberg unter dem Namen „Postautistische Ökonomie“ gegründet. Damit schlossen sie sich einer internationalen Bewegung in der Volkswirtschaftslehre (VWL) an, die im Jahr 2000 in Frankreich entstand und zum Ziel hatte, den mathematischen „Traumwelten“ der Neoklassiker zu entkommen, welche die Wirtschaftswissenschaft zunehmend „autistischer“ werden ließen. Entsprechend forderte man eine „postautistische Ökonomie“ mit mehr Realitätsbezug. Weil es in letzter Zeit zu Missverständnissen mit dem psychologischen Begriff „Autismus“ kam, bevorzugt man inzwischen die Bezeichnung „Real World Economics“. Außer dem Namen und immer mehr Hochschulgruppen, hat sich bis heute wenig geändert. Selektierende Journal-Redaktionen, Lehrstuhlgerangel und einseitig besetzte Berufungskommissionen sorgen noch immer für eine monotone Ausrichtung der VWL. Die Ignoranz gegenüber nicht Mainstream konformen Lehrinhalten habe jedoch dazu geführt, dass nun sinnvolle Konzepte fehlten, um den Staaten aus ihrem Schuldendilemma zu helfen, meint Christoph Gran, Vorstandmitglied des Arbeitskreises. Der Schlüssel liege in einer pluralistischen Wissenschaft. „Wenn man sich nicht mit unterschiedlichen Theorien auseinandersetzt, kann man den Lehrstoff geschichtlich nicht einordnen und in Relation setzen“, meint Konstantin Geiger. Dies sei aber notwendig, denn Geschichte bedeute immer auch Wandel, fügt Resgar Beraderi hinzu, und der werde bei der aktuellen Marktwirtschaft nicht enden. Angesichts dessen sei es merkwürdig, warum am traditionsreichen Alfred-Weber-Insitut für Wirtschaftswissenschaften in Heidelberg der Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte 2002 abgeschafft wurde. Daher fordert der Arbeitskreis, dass neben der Neoklassik auch die Ökologische und Feministische Ökonomik, Postkeynesianismus, marxistische und institutionell-evolutorische Theorien behandelt werden. Dazu sollten Fächer wie Wirtschaftsgeschichte, Wirtschaftsethik, Wissenschaftstheorie und Geschichte des ökonomischen Denkens fester Bestandteil des Lehrplans werden. Letztgenanntes wird in Heidelberg dank des Engagements der AK-Mitglieder seit 2009 angeboten und findet regen Anklang nicht nur innerhalb des Fachs, sondern auch bei Studierenden der Soziologie und Politikwissenschaft. Wer sich beim Arbeitskreis Real World Economics trifft, schätzt kritische Reflexion und belebte Diskussionen. Die Antwort auf die Krise haben sie noch nicht gefunden, aber zur Generation TINA zählt sich hier niemand. „There Is No Alternative“ lassen sie sich nicht einreden. Geduldig hinterfragen sie althergebrachte Konzepte wie die Selbstregulierung des Marktes und erörtern neue Ansätze. Bringt mehr Wachstum auch mehr Zufriedenheit? Wie verhält sich der nationale Wohlfahrtsindex zum Bruttoinlandsprodukt? Wie würde stattdessen ein Bruttoglücksprodukt funktionieren? Ein international angesagtes Thema ist das Postwachstum. So titelte die US-amerikanische Zeitschrift Miller-McCune erst im Dezember: „The Growth of Degrowth Economics“. Unter Postwachstum versteht man den Übergang in eine solidarische Ökonomie mit einem sozial verträglichen Wirtschaftswachstum, in der man verantwortlich mit den natürlichen Ressourcen umgeht. Skeptische Wirschaftsexperten bezeichnen die Postwachstums-Theorie gerne als Science-Fiction-Makroökonomie, weil sie sich nicht vorstellen können, dass weniger Wachstum mit ausreichend Wohlstand vereinbar ist. Andere halten den Real World Economists vor, dass sie den Schwarzen Peter zu leichtfertig der Finanzwirtschaft zuspielen. Dazu sei es Aufgabe der Wissenschaft, lediglich vergleichend zu analysieren. Ökonomen seien also nicht verantwortlich für fehlende Lösungsansätze. Schließlich stecke nicht die Wissenschaft in der Krise, sondern die Wirtschaft. Mit „Die Scheuklappen der Wirtschaftswissenschaft“ erschien 2006 die erste deutschsprachige Publikation über Real World Economics. Im Katalog der UB Heidelberg genießt das Buch einen seltenen Status: vermisst. Dies zeigt, wie motiviert Studierende inzwischen nach Antworten suchen. |