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28.01.2013

Keine Angst vor Selbstbestimmung

Die Schotten entscheiden 2014 über ihre Unabhängigkeit

Vor historischer Kulisse des Schlosses in Edinburgh: eine pro-Unabhängigkeitsdemonstration im Herbst 2012. / Foto: Samuel Rieth

Katalonien, Québec und neuerdings sogar Texas – überall grassiert das Unabhängigkeitsfieber. Auch in Schottland, das seit Jahrhunderten in einer Art Hassliebe mit England verbunden ist – aus dem Vereinigten könnte also bald ein geteiltes Königreich werden.

Edinburgh an einem nebligen Novembermorgen. Neben der Universitätsbibliothek sitzt eine kleine Gruppe von Studenten, die es sich hinter einem Klapptisch bequem gemacht hat. Vor dem Tisch hängt eine schon von Weitem sichtbare überdimensionale schottische Flagge (ein weißes Andreaskreuz auf blauem Grund), an der Wand dahinter ein Plakat mit einem denkbar simplen Slogan: „Yes“.

Die Leute, die sich an diesem Morgen hinter ihrem Informations-stand versammelt haben, sind Mitglieder der Edinburgh University Scottish Nationalist Association (EUSNA), einer studentischen Interessengemeinschaft, die sich für die Unabhängigkeit Schottlands vom Rest Großbritanniens einsetzt. Geduldig erklären sie interessierten Passanten, warum Schottland als eigener Staat besser dastehen würde als jetzt und warum die Schotten dafür unbedingt ihr Kreuzchen hinter dem „Yes“ machen müssen. Seit letztem Jahr steht nämlich fest: Im Herbst 2014 wird es eine Volksabstimmung geben, bei der sich die rund fünf Millionen Schotten für die Unabhängigkeit und damit für das Ende der politischen und ökonomischen Verbindung mit Großbritannien entscheiden könnten.

Dass die meisten Mitglieder der Society nicht älter als Mitte zwanzig und ihre Zielgruppe hauptsächlich gleichaltrige Studenten sind, täuscht darüber hinweg, dass der zugrundeliegende Konflikt schon Jahrhunderte alt ist. Mit den Acts of Union im Jahr 1707 gab Schottland sein eigenes Parlament auf und wurde zusammen mit England und Wales zum Königreich Großbritannien. In der Folge dieses Zusammenschlusses kam es immer wieder zu häufig konfessionell motivierten Aufständen gegen die von vielen Schotten als englische Fremdherrschaft empfundene Union. Der Erfolg der irischen Unabhängigkeitsbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts führte in Schottland erneut zu einer Stärkung der Separationsbestrebungen. Die Scottish National Party (SNP), der sich auch die EUSNA zurechnet, gründete sich 1934. Nach einem ersten erfolglosen Referendum über eine mögliche Devolution (die Übertragung von legislativen Kompetenzen an eine schottische Regionalregierung) Ende der siebziger Jahre, löste die Labour Party unter Tony Blair nach ihrem Wahlsieg 1997 das Versprechen ein, den Schotten ihr eigenes Parlament zurückzugeben. Von der Labour Party ursprünglich als Standortsicherung gedacht, entwickelte sich die Wiedereinsetzung des schottischen Parlaments im Laufe der Jahre zu einer Steilvorlage für die linksliberale SNP, die bei den Parlamentswahlen 2007 zur stärksten Fraktion wurde und 2011 mit einem Unabhängigkeitsreferendum als zentralem Wahlversprechen sogar die absolute Mehrheit im Abgeordnetenhaus in Edinburgh errang.

Wirtschaftliche und politische Themen sind Teil der Debatte

Auf die Frage, warum Schottland nach mehr als dreihundert Jahren wieder zu einem eigenen Staat werden soll, antwortet Lucas McGregor, der Präsident der EUSNA, folgendes: „Wenn wir erst einmal unabhängig sind, können wir unsere eigenen Ressourcen nutzen, um aus Schottland eine gerechtere und erfolgreichere Gesellschaft zu machen,“ sagt er und macht damit deutlich, wie stark die „Yes Scotland“-Kampagne dem wohlfahrtsstaatlich ausgerichteten Programm der SNP verpflichtet ist, die ihre Popularität besonders ihrem Eintreten für kostenfreie Leistungen in den Bereichen Gesundheit und Bildung zu verdanken hat.

Dass es neben nationaler Identität und sozialer Gerechtigkeit auch um wirtschaftliche Interessen geht, bestreitet Lucas nicht. Mit Ressourcen meint er die enormen Ölvorkommen vor der schottischen Nordseeküste, von denen man sich im Fall einer Unabhängigkeit des Landes wirtschaftlichen Wohlstand verspricht. „It‘s Scotland‘s oil“, das ebenso simple wie eingängige Motto, das der SNP schon in den Siebzigerjahren Wählerstimmen bescherte, dürfte wohl auch dieses Mal seine Wirkung nicht verfehlen. Kritiker geben allerdings zu bedenken, die Einnahmen aus dem Ölgeschäft seien wegen ihrer Begrenztheit und ihrer Bindung an den internationalen Preismarkt als Hauptwirtschaftsfaktor nur eingeschränkt geeignet. Manch einer sagt gar den schottischen Staatsbankrott im Falle einer Unabhängigkeit voraus. Aber auch auf solche Einwände hat „Yes Scotland“ eine passende Antwort. „Wir haben das Potenzial, bis zu 25 Prozent der erneuerbaren Energie in der EU zu produzieren,“ sagt Lucas. Schon heute kämen rund 40 Prozent des britischen Ökostroms aus Schottland. Die Ölerträge, zusammen mit den Einnahmen aus Bioenergie und Tourismus, seien eine solide Basis für eine eigenständige schottische Wirtschaft.

Doch auch außen- und verteidigungspolitische Themen sind Teil der Unabhängigkeitsdebatte. Viele erhoffen sich von der Unabhängigkeit mehr Mitspracherecht in der Europäischen Union, obwohl noch nicht rechtlich geklärt ist, ob ein unabhängiges Schottland überhaupt automatisch Mitglied der EU werden würde. Die pazifistisch eingestellte SNP verlangt außerdem den Abzug aller britischen Atomwaffen von schottischem Gebiet und forderte noch bis vor kurzem den Austritt Schottlands aus der NATO.

Sollte Schottland 2014 tatsächlich unabhängig werden, bliebe eine Reihe weiterer Fragen zu klären, etwa die nach der Währungspolitik. Am liebsten wäre es wohl vielen Schotten, in einer Währungsunion mit dem Rest des Königreichs das Pfund als Zahlungsmittel zu behalten. Dass man aber auch gezwungen sein könnte, als potenzielles EU-Mitglied den Euro einzuführen, ist in Zeiten der Finanzkrise zu einem schlagenden Argument für die Unabhängigkeitsgegner geworden.

Doch so weit wird es vielleicht nicht kommen. Den aktuellen Umfragen zufolge kann sich die unionistische, von Konservativen, Liberalen und Sozialdemokraten gemeinsam geführte „Better Together“-Kampagne bei den Schotten einer größeren Unterstützung erfreuen. Zwar liegt der Anteil derer, die sich mehr Selbstbestimmung, etwa in Form von weitreichenderen legislativen Befugnissen des schottischen Parlaments, wünschen, bei bis zu 50 Prozent; für eine vollständige Unabhängigkeit würden derzeit aber nur rund ein Drittel der Wahlberechtigten stimmen. Auf die „Yes Scotland“-Kampagne dürfte daher in den nächsten anderthalb Jahren noch viel Arbeit zukommen.

Bei der EUSNA sieht man dem eher gelassen entgegen. In einer von der Society durchgeführten Probeabstimmung unter schottischen Studenten in Edinburgh sprachen sich mehr als 50 Prozent für eine Abspaltung Schottlands aus. Allerdings ist auch der EUSNA bekannt, dass dieses Wunschergebnis nicht sehr repräsentativ ist und dass es noch viel Überzeugungsarbeit bedarf. Es blieben noch fast zwei Jahre, um das „fear mongering“, die Angstmacherei der gegnerischen Kampagne, zu zerstreuen, sagt Lucas.

„Wenn wir jetzt gute Arbeit leisten, bin ich zuversichtlich, dass eine Mehrheit für die Unabhängigkeit mehr als wahrscheinlich ist. Wir haben keine Angst vor Selbstbestimmung.“

von Tim Sommer aus Edinburgh (Großbritannien)
   

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