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Feuilleton
20.06.2013
Ohne Worte Comics halten Einzug in die Literaturszene. Spießer sehen rot Es sind die 19. Heidelberger Literaturtage. Wie jedes Jahr soll, da das Montpellierhaus Mitorganisator ist, ein Schriftsteller aus der südfranzösischen Stadt dabei sein. Doch nach 19 Jahren scheint das ganze Schriftstellerkontingent dort erschöpft. Das Ganze? Nein! Eine kleine Gruppe wurde bisher konsequent übersehen: die Comiczeichner. Das ist dieses Jahr anders. Mit Guy Delisle haben sich die Organisatoren nun endlich einen von ihnen ins Boot geholt. Da rümpft das bürgerliche Publikum kurz die Nase, was soll das denn nun, Comics sind für Kinder, oder doch zumindest Randgruppen. Oder kennt man das hier, dass sich erwachsene, seriöse Menschen in der Bahn kichernd über ihren Comic beugen? Warum eigentlich nicht? In anderen Ländern, Frankreich und Belgien allen voran, ist das längst gang und gäbe. Und auch hier scheint sich das Blatt langsam zu wenden. Comics heißen nun "Graphic Novels" und werden ernst genommen, man denke da nur an "Persepolis" und seinen phänomenalen Erfolg auch bei uns. Kunst mit politischer Botschaft sozusagen, das sieht man immer gern. Guy Delisle, der Mann des Abends, passt ganz gut in diese neue Generation "erwachsener" Comiczeichner (obwohl inzwischen jeder wissen sollte: auch "Asterix und Obelix" sind nicht nur interessant für Kinder). Der gebürtige Frankokanadier hatte eigentlich plastische Kunst in Toronto studiert, bevor er begann, für ein Animationsstudio zu arbeiten. Berühmt wurde er mit etwas anderem. Comics. "Shenzhen", "Pjöngjang" und "Birma", sind Reiseberichte in gezeichneter Form. Sein letztes Ziel: Jerusalem, wo er ein Jahr mit Frau und Kind lebte. Für diese "Aufzeichnungen" bekam er 2012 auf dem großen Comicfestival in Angoulême den Preis für den besten Comic. Viel mehr kann man nicht erreichen als Zeichner. Der Vorteil Delisles: Er reist nicht, um einen Comic daraus zu machen. Nach China und Nordkorea kam er der Arbeit wegen, nach Birma und Jerusalem mit seiner Frau, die bei Ärzte ohne Grenzen arbeitet. Das sei viel besser, sagt er. Er könne bloß leben, beobachten, fragen, ohne den Druck eines Journalisten. "Ich muss nichts produzieren und wenn es doch dazu kommt, ist es schön." Meist weiß er im Vorhinein sehr wenig über die Länder, in die erreist. So kann er unvoreingenommen fragen, und weil er kein Journalist ist, und noch dazu, wie in Birma oder Israel, ein Kind dabei hat, erzählen die Leute gern. Sogar in Pjöngjang, so sagt er, sei man einigermaßen offen gewesen. Natürlich nicht in Bezug auf Politik. Aber als Kollegen beginnen, Fotos zu machen und Videos zu drehen, hält sie keiner davon ab. Delisle macht keine Fotos. Er beobachtet lieber. Von einem Freund schaut er sich ab, Notizen zu seinen Tagen zu machen. "Er konnte mir immer sagen, schau, an dem Tag haben wir dies und das gemacht, ich hatte alles vergessen. Sogar die größeren Sachen. Von meiner ersten Reise nach China war kaum etwas übrig geblieben." Er fängt an, seine Tage in Stichworten zu beschreiben und denkt sich: Das könnte man auch zeichnen. Sehr gut sogar. So funktioniert es seitdem: Im Ausland schreibt er, zu Hause beginnt er zu zeichnen. Mit der Hand, eine Seite pro Tag. Fotos macht er inzwischen auch, aber wenige. Meist, um sich kleine Details an Gebäuden zu merken, die in der Endfassung nur im Hintergrund auftauchen. Menschen fotografiert Delisle nie, das verkrampfe das Gespräch sehr schnell, sagt er. Dass all die Länder, über die Delisle bisher Comics gemacht hat, Länder mit politisch schwierigen Situationen, ja teilweise sogar Diktaturen sind, ist nicht der Grund, weshalb er sie beschreibt. Er zeichnet, was er interessant findet, und das ist oft eben einfach: der Alltag. Die Kontrolle am Flughafen, die Klos. Aber auch: Drogenabhängige in Birma, die unendlichen Mauern und Zäune, die Jerusalem durchziehen. Jetzt, da er nicht mehr im Ausland lebt, weil die Kinder zu groß sind, zeichnet er sie einfach. Das ist kein bisschen weniger interessant oder amüsant als seine Reiseberichte, kuriose Situationen gebe es überall. Da bietet er seinem Sohn die Kettensäge an oder mokiert sich über die stümperhaften Zeichnungen seiner kleinen Tochter: "Und du sollst mein Erbe antreten?!" – "Anleitung für schlechte Väter" nennt sich das Ganze dann. Texte und Zeichnungen sind ihm gleichermaßen wichtig. Während die Comics über seinen Sohn Louis ganz ohne Worte auskommen, schwallt er seine Kinder in der "Anleitung für schlechte Väter" mit ganzen Wortwasserfällen zu. Auf das Zusammenspiel komme es an, sagt er, das mache den Comic schließlich interessant. Es ist ein Glück, dass Montpellier nicht genug Romanschriftsteller hat, um die Literaturtage auf ewig zu füllen. So kommen die Comiczeichner zu Wort. |