<< >> Title Contents Contents


Meinung


point&counterpoint

Soll die "Prinzhornsammlung" in Heidelberg verbleiben?

Die "Prinzhorn-Sammlung" ist eine einzigartige Kollektion von über 5000 Kunstwerken geistig Behinderter, die in Heidelberg gesammelt wurde. Die Universität Heidelberg will für die Bilder in der Voßstraße ein Museum einrichten. Allerdings meldet der Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener (BPE) ebenfalls Ansprüche an: dieser plant, in Berlin ein Museum "Haus des Eigensinns" mit Exponaten der Kollektion aufzubauen.

"Nein"

Prof. Dr. Peter Raue
Freundeskreis des Museums "Haus des Eigensinns"

Die Verantwortung für die "Prinzhornsammlung" soll nicht bei der Universität Heidelberg liegen. Die Sammlung gehört in die Hände des Bundesverbandes Psychiatrie-Erfahrener e.V. (BPE), der angekündigt hat, die Sammlung einem eigens hierfür in Berlin errichteten Museum zur Verfügung zu stellen, das zugleich als Mahnmal für die vom Nationalsozialismus unter dem Stichwort "Euthanasie" begangenen Verbrechen dienen wird.

Erstens: Weder die Universität Heidelberg noch das Land Baden-Württemberg sind Eigentümer der Werke der "Prinzhornsammlung". Sämtliche Werke waren Eigentum ihrer Schöpfer, konnten aber von diesen wegen fehlender Geschäftsfähigkeit oder Entmündigung nicht rechtsgeschäftlich übereignet werden. Dies war den Ärzten, die sich die Bilder aushändigen ließen, bekannt. Weil die Ärzte der Uni Heidelberg somit bei Besitzbegründung bösgläubig waren, konnte auch kein späterer Eigentumserwerb durch Ersitzung stattfinden. Eigentümer der Sammlung sind deshalb die Erben der Künstler bzw. - wenn solche fehlen - die Bundesländer, in denen die Künstler zum Zeitpunkt ihres Todes gelebt haben.

Zweitens und wichtiger: Der BPE ist, wie H. Friedlander formuliert hat, die "legitime Stimme der Psychiatriepatienten in allen sie betreffenden Fragen". Dies gilt auch für die "Prinzhornsammlung", weil die Künstler, die die Werke dieser Sammlung hergestellt haben, Psychiatriepatienten waren und niemand anderes für sie gesprochen hat und sprechen kann. Gerade die Psychiatriepatienten gehören indes zu den Opfern des NS. So wie Opfer jüdischen Glaubens durch kollektive Interessenvertretungen ihre Stimme für die Opfer erheben können, muß dies auch für den BPE gelten. So wie die Jewish Claims Conference vermögensrechtliche Ansprüche für erbenlose jüdische Opfer im eigenen Namen geltend machen kann, so muß auch der BPE einen legitimen Anspruch auf Werke von Psychatriepatienten erheben können.

Drittens: Bei der Beurteilung des "Standortes" Heidelberg für die Aufbewahrung der Werke ist auch zu bedenken, daß die Psychiatrisch-Neurologische Fakultät der Universität mit ihrem Protagonisten Carl Schneider eine herausragende Rolle bei der Konzeption und Durchführung des Euthanasieprogramms gespielt hat. Es kommt nicht darauf an, ob der Universität nach 1945 eine überzeugende Aufarbeitung der seinerzeit begangenen Greueltaten gelungen ist. Entscheidend ist, daß die Betroffenen, deren Erben und deren "Leidensgenossen" eine Ausstellung der Werke an diesem Ort des Schreckens nicht wünschen. Dies sollten Baden-Württemberg und die Universität respektieren.

Viertens: Der Alleinbesitz- und -vertretungsanspruch der Universität demütigt die Betroffenen. Die Würde der heutigen Opfervertreter wird verletzt, weil sie keinerlei Mitspracherecht bei der Verwendung der Sammlung haben sollen und man sie mit absurden Argumenten abspeist, wonach die Sammlung Teil der "Patientenunterlagen" der psychiatrischen Fakultät sein soll.

Fünftens: Als Kunst der Opfer hat die Sammlung Anspruch auf einen authentischen Platz der Ausstellung und des Gedenkens. Das geplante Museum in Berlin bietet hierzu nicht nur eine erheblich größere Fläche, sondern ermöglicht zugleich eine parallele Ausstellung zum Gedenken an die Euthanasieopfer. Damit entsteht erst der Raum für den Menschen, der als Künstler und Opfer wahrnehmbar gemacht werden muß, um die Dimension des Versagens menschlicher und ärztlicher Ethik und des Wertes und des Leides der Betroffenen während der Nazi-Herrschaft deutlich zu machen. Dies kann nicht durch die Uni Heidelberg geschehen, sondern nur in einem von den Vertretern der Betroffenen geschaffenen Ort.

Die Sammlung sollte der Universität Heidelberg nicht dazu dienen, mit der Vergangenheit überzeugender abzurechnen, sondern dazu, die Würde der Künstler und Patienten wiederherzustellen.

"Ja"

Prof. Dr. Wolfgang U. Eckart
Direktor des Instituts für Geschichte der Medizin, Heidelberg

Soll die "Prinzhorn-Sammlung" in Heidelberg verbleiben? Diese Frage wird heftig diskutiert und sie darf mit einem überzeugten "Ja" beantwortet werden. Die einzigartige Sammlung von Bildern, Skulpturen und Texten aus psychiatrischen Anstalten der ersten zwei Jahrzehnte unseres Jahrhunderts ist zwischen 1919 und 1921 in Heidelberg zusammengetragen, gepflegt und erschlossen worden. Sie befindet sich in Landesbesitz und wird in Heidelberg im Hörsaal der alten Neurologie einen würdigen Ort der Aufbewahrung, Bearbeitung und Präsentation erhalten.

Die Gegner einer solchen Unterbringung halten nun dagegen, daß die Universität Heidelberg keine würdige Pflegestätte der "Prinzhorn-Sammlung" sei, weil der "biologistische Ansatz" Prinzhorns "in den Taten des Nachfolgers von Herrn Professor Wilmanns, Herrn Professor Carl Schneider", seine Vollendung gefunden habe. Auch stehe der geplante Aufbewahrungsort im Zusammenhang mit der verbrecherischen Hirnforschung Carl Schneiders.

Zweifellos ist die führende Beteiligung Schneiders an den Anstaltsmorden der Nationalsozialisten nicht abzustreiten. Aber was hat sie mit der "Prinzhorn-Sammlung" zu tun?

Als Hans Prinzhorn im Alter von 32 Jahren, am 30. Januar 1919, Assistent der Heidelberger Psychiatrischen Universitätsklinik wurde, beauftragte ihn der damalige Klinikleiter, Professor Karl Wilmanns, mit der Fortführung und wissenschaftlichen Betreuung einer von ihm begonnenen Sammlung von Patientenarbeiten. Dieser Aufgabe hat sich Prinzhorn sogleich mit tiefem Interesse am künstlerischen Schaffen Geisteskranker gewidmet. Als er bereits am 15. Juli 1921 Heidelberg wieder verließ, war die Sammlung auf annährend 5000 Objekte angewachsen.

Hatte man zuvor das künstlerische Schaffen Geisteskranker eher als Kuriosität, die einer wissenschaftlichen Durchdringung nicht würdig war, erachtet, so änderte sich diese Auffassung durch Prinzhorn grundlegend. Ihm ging es darum, bei Geisteskranken "die Wurzeln des Formtriebes aufzuspüren, die sich in der sichtbaren Betätigung offenbaren".

Dabei kam es ihm darauf an, künstlerische Äußerungen meist schizophrener Psychiatriepatienten als Äußerungen eines allgemein menschlichen Gestaltungsdranges zu erfassen und zu deuten. Wir müssen uns, so schreibt er, "entschlossen dem fremden Sinn hingeben, uns damit erfüllen lassen und erst dann Wort und Satz dafür suchen - anstatt vorsichtig von außen mit wohlerprobten Kategorien heranzutreten".

Ein solches wissenschaftliches Vorgehen war geprägt von der einfühlsamen, unvoreingenommenen Aufmerksamkeit des auch psychologisch phänomenologisch vergleichenden Psychiaters der Bleulerschen Schule.

Vor diesem Hintergrund eine Beziehung zwischen den Krankenmorden im Nationalsozialismus und der Aufbewahrung der "Prinzhorn-Sammlung" in Heidelberg mit dem Argument herzustellen, daß "ein Mörder niemals Eigentum am Eigentum seines Opfers" erlangen dürfe, ist historisch unhaltbar und ebenso absurd wie infam. Implizit wird so auch unterstellt, es gebe in Heidelberg keine kritische Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Medizin. Dies ist entschieden zurückzuweisen. Eine psychiatrische Arbeitsgruppe und auch die Heidelberger Medizingeschichte bemühen sich seit Jahren um die Erforschung der NS-Medizin, der Krankenmordaktion und der mit ihr verbundenen Rolle Carl Schneiders.

Am 8. Mai 1998 wurde vor dem Hauptgebäude der Heidelberger Psychiatrischen Universitätsklinik ein Mahnmal für die Opfer der nationalsozialistischen "Euthanasie" enthüllt, ein wissenschaftliches Symposium mit internationalen Referenten und Teilnehmern der Thematik gewidmet. Über den Streit um die "Prinzhorn-Sammlung" ist auch vergessen worden, daß Karl Wilmanns die Sammlung initiiert hat. Wilmanns aber entfernten die Nationalsozialisten am 30. Juni 1933 aus politischen Gründen aus dem Staatsdienst. Wenn wir heute mit allem Nachdruck für den Verbleib der "Prinzhorn-Sammlung" in Heidelberg eintreten, dann ist dies zugleich auch eine Hommage an Wilmanns und mahnendes Erinnern an die Opfer des Nationalsozialismus.

Red. "p/cp": gan


Kommentar

Fauler Zauber

von Patrick Palmer

Im Eilverfahren wird bis zum Wintersemester eine neue Prüfungsordnung für das Staatsexamen Lehramt erlassen, das ist ebenso wie sein Inhalt sicher. Und während man auf den ersten Blick positive Neuerungen zu erkennen glaubt, findet man bei eingehender Betrachtung zahlreiche Ungereimtheiten und Lücken: Begrüßenswert, wenn Studenten, die später einmal Lehrer werden wollen, noch im Studium ihren Berufswunsch überprüfen können. Sinnvoll, wenn diese Studenten verstärkt pädagogisch geschult werden. Unlauter aber, wenn all jenes so eingerichtet wird, daß es nur zu Frustration und damit leicht zum Studienabbruch führen kann. Es ist unerklärlich, daß ohne Vorbereitung und ohne pädagogische Schulung ein Semester an den Schulen unterrichtet werden soll. Denn die zusätzlichen pädogischen Veranstaltungen sollen ja erst im Hauptstudium besucht werden - also nach dem Praktikum.

Zudem wird man auch nicht lange auf die Flüche derer warten müssen, die wegen völlig überlasteter Schulen das Zwangspraktikum in weit entferten Gegenden ableisten müssen. Lange Reisewege werden unbotmäßige finanzielle Belastungen mit sich bringen, möglicherweise ist ein Umzug zwingend.

Und dann sind da noch die Erziehungswissenschaftler, die keine müde Mark und somit auch keine zusätzlichen Stellen für die zusätzlichen Seminare erhalten sollen. Wenn die bestehende Teilnehmerbeschränkung aufrecht erhalten wird, kommt auf die Studenten noch etwas anderes zu: Man könnte locker 15 Semester benötigen, um das pädagogische Begleitstudium vollenden zu können, da sich über die Wartelisten der Beginn und damit auch das Ende dieses Begleitstudiums stark verzögern wird. Hier wird es zu Auseinandersetzungen kommen, und am Ende wird wahrscheinlich die Erziehungswissenschaft zu einem Dienstleistungsbetrieb für Lehramtsstudenten umfunktioniert. Sie ist als Hauptfach ohnehin nicht gern gesehen bei Politikern, da schlüge man also zwei Fliegen mit einer Klappe.

Das Kultusministerium betreibt einmal mehr Augenwischerei. Es kommt den Forderungen von Eltern, Schulen und Hochschulen entgegen, die Lehrerausbildung zu verbessern. Zumindest wird die jetztige Reform so dargestellt. Tatsächlich handelt es sich um eine gut kalkulierte Sparmaßnahme. Gespart wird, da das Referendariat verkürzt werden kann, noch mehr Prüfungsdruck ist die Folge. Gespart wird, weil nach einem ungenügend vorbereiteten Praktikum sich viele umorientieren werden.

Sind unsere Politiker also einfach nur echte Schwaben? Nein, denn die sind zwar bekanntermaßen sparsam, aber dafür ehrlich.


<< >> Title Contents Contents