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Heidelberg


Oh Qual der Wahl!

Die etwas anderen Kandidaten der diesjährigen OB-Wahl

Sommerzeit ist Wahlkampfzeit - und das nicht nur im Bund, sondern auch in Heidelberg, wo am 18. Oktober, just drei Wochen nach der Bundestagswahl, der neue Oberbürgermeister gewählt wird. Mit im Rennen sind diesmal nicht nur Weber, Fürniß und Co., sondern auch zwei Außenseiterkandidaten: Oliver Beßler, der selbsternannte "Vertreter der kleinen Leute", und Peter Alexander Plattmann vom Autonomen Zentrum (AZ); beide spekulieren nicht zuletzt auf Studi-Stimmen. Grund genug für den ruprecht, die beiden mal genauer unter die Lupe zu nehmen...

Bei Oliver Beßler stößt man da allerdings auf Schwierigkeiten: leider im Moment nicht in Heidelberg, außerdem generell nicht telefonisch zu erreichen, ließ "Wahlkampforganisator" Achim F. verlauten. Und damit taucht schon ein weiteres Problem auf: Wer steht eigentlich hinter Oliver Beßler? Laut Mensa-Flugblatt handelt es sich dabei um das unabhängige "Bürgerkomitee Anderes Heidelberg"; das wird wiederum unterstützt von der "Freien Arbeiter Union/Anarchistische Partei" (FAU/AP), deren studentischer Ableger "FAUST" dem aufmerksamen Mensagänger ebenfalls durch einige Flugblätter bekannt sein dürfte.

Fragt man nach den genaueren Hintergründen, gibt sich Achim F., der Kopf der Heidelberger FAU/AP, äußerst konspirativ: "Mitgliederzahlen sind nicht interessant", Komiteemitglieder sind ebensowenig zu sprechen, entweder verreist oder nicht erreichbar. Im Team des AZ-Kandidaten Plattmann munkelt man schon, daß hinter Bürgerkomitee, FAU/AP und FAUST ohnehin nur einer stehe: Achim F., Vorsitzender, Fußvolk und Organisator in Personalunion. Oliver Beßler also nur ein Scheinkandidat? Immerhin hat er, so Achim F., "das Wahlprogramm gelesen".

Das Wahlprogramm indes macht sich besonders für eines stark: für eine "gewaltsame sozialistische Revolution, denn das System hat keine Fehler - es ist der Fehler". Konkrete kommunalpolitische Vorschläge finden sich kaum (außer z.B. die "Beschlagnahmung von Verbindungs-Villen zugunsten Wohnungssuchender"), Forderungen wie die "Verbesserung der sozialen Lage der armen und arbeitenden Bevölkerung" müßten eigentlich eher an die Bundespolitik gestellt werden. Warum engagiert sich die FAU/AP dann in der Kommunalpolitik, und vor allem: warum stellt sie sich zur Wahl in einem System auf, das es doch zu beseitigen gelte? Um die Aufmerksamkeit der Bürger zu gewinnen, meint Achim F.; und gerade für Studenten sei der 35jährige Beßler mit seiner "für Heidelberg typischen Biographie" (erst Student, dann arbeitslos) genau der richtige Kandidat. Was das Verhältnis zum "System" angeht, hält Achim F. sich an Lenins Grundsatz "so legal wie möglich, so illegal wie nötig".

Auch das Ziel von Peter Plattmanns Wahlkampf ist in erster Linie die öffentliche Aufmerksamkeit, allerdings für ein sehr konkretes Problem: Die AZler sehen über ihrem Haus in der Alten Bergheimer Straße schon die Abrißbirne kreisen, und seit im letzten Herbst die Verhandlungen mit der Stadt gescheitert sind, steht auch kein Ausweichquartier in Aussicht. Die bisher eher aggressiven Proteststrategien scheinen ausgereizt, und so gilt nun die Devise "if you can't beat them, join them" - Wahlkampf ganz wie in der großen Politik, mit uneinlösbaren Wahlversprechen und jeder Menge Schwachsinn: Peter - übrigens Mathestudent - geriert sich als "Kandidat der extremen Mitte", zur Lösung der Verkehrsprobleme plädiert er für den Einsatz von Sänften, und um die Umwelt zu schonen, sollen "Politiker mit besonderer Ausstrahlung" in "Kasperbehältern" untergebracht werden. Nur ein "lächerlicher Spaßwahlkampf", wie Achim F. von der FAU/AP schimpft? "Vor allem möchten wir Beate Webers Schmusewahlkampf stören", heißt es im AZ: Die Oberbürgermeisterin soll sich nicht damit schmücken können, den "Krisenherd AZ" vermeintlich befriedet zu haben. Herbert Braun, persönlicher Referent von OB Weber, hat allerdings keine Angst vor Gegenkandidat Plattmann, und überhaupt wehrt er sich gegen einseitige Schuldzuweisungen: "Die AZler haben sich die Gespräche mit der Stadt selber abgeschnitten" - ein Vorwurf, den das AZ gerne zurückgibt.

Aber wo bleibt bei all den um Studi-Stimmen werbenden Kandidaten die Studi-Liste? "Im Moment sind wir einfach zu überlastet, um einen OB-Kandidaten aufzustellen", meint Christian Weiss, der für die Studi-Liste im Gemeinderat sitzt. Ohnehin hält er die Bundestagswahl auch aus kommunalpolitischer Sicht für wichtiger, da - so weiß er aus seiner Gemeinderatserfahrung - die Bundespolitik den finanziellen Spielraum der Kommunen immer mehr begrenze. Im OB-Wahlkampf müsse man vor allem gegen den geplanten Neckarufer-Tunnel vorgehen; denn der beanspruche so große Summen, daß darunter jeder andere Bereich leiden müsse, insbesondere der für Studenten besonders wichtige Ausbau des ÖPNV - ein Problem, das keiner der beiden Außenseiterkandidaten auch nur erwähnt.

Wen also wählen - "Phantom" Oliver Beßler oder Peter Alexander Plattmann, der in seiner Wahlkampfbroschüre bittet: "Wählt misch bloß nett"? Oh Qual der Wahl. (kebi)


Ich mache mir die Welt, widiwidiwie sie mir gefällt

Zum Kongreß "Weisen der Welterzeugung": Was Pipi Langstrumpf und die Konstruktivisten gemeinsam haben

Alte Fragen, neue Antworten. Beim Kongreß "Weisen der Welterzeugung" ging es am ersten Maiwochenende in der Stadthalle um die grundsätzlichen Probleme, die die Menschen zu jedem Zeitalter grübeln ließen und die stets rauchende Köpfe zurücklassen. "Konstruktivismus" lautet nun die Losung, unter der seit einigen Jahren Wissenschaftler verschiedener Richtungen Vorschläge zur Beantwortung der Frage liefern, was denn Wirklichkeit überhaupt ist und wie sie entsteht.

Den etwa 1200 Teilnehmern, die der Einladung der Kongreßveranstalter gefolgt waren, war der Ansatz gemein, die Antwort auf diese Frage beim erkennenden Subjekt, dem Beobachter der Welt selbst zu suchen. Über drei Tage hinweg referierten und diskutierten Wissenschaftler und interessierte Laien über verschiedene Möglichkeiten der Erschaffung von Wirklichkeiten. Dabei wurde schnell deutlich, daß es mittlerweile fast ebensoviele Spielarten von Konstruktivismus gibt wie einzelne Wissenschaftler. Während man sich in praktisch allen Disziplinen prinzipiell darüber einig ist, daß der Mensch Wirklichkeit konstruiert, ist es dafür umso umstrittener, wie sich dies genau abspielt.

Bei allen Unterschieden ist den Konstruktivisten das gemeinsam, was man das Prinzip der Selbstbezüglichkeit nennen könnte: Wenn man über Wirklichkeit redet, kann man immer nur über seine eigene Wirklichkeit reden, weil man nie die Möglichkeit hat, einen Vergleich zur "objektiven", noch nicht erlebten Wirklichkeit anzustellen. In dem Moment, wo ich etwas wahrnehme, habe ich es bereits zu meiner Wirklichkeit gemacht und kann nichts mehr darüber sagen, wie der Sachverhalt wohl gewesen wäre, wenn ich ihn nicht wahrgenommen hätte.

Aus dieser (übrigens Jahrtausende alten) philosophischen Einsicht leiten die Einzelwissenschaften zunehmend verschiedenste Methoden zur Bearbeitung von Problemen ab. Allen voran beschäftigt sich die Neurobiologie mit Möglichkeiten der Wirklichkeitskonstruktion durch das Gehirn, indem erforscht wird, wie das Hirn Daten verändert, ergänzt oder gar selbst hervorbringt. Dasselbe Problem auf ganz anderer Ebene bearbeiten in den letzten Jahren auch Psychotherapeuten, Linguisten, Medienwissenschaftler, Soziologen oder auch Historiker. In seinem Vortrag "Constructing Pasts" stellte der bekannte amerikanische Historiker Hayden White die Frage, auf welchen Grundlagen man überhaupt dazu kommt, anzunehmen, daß es in der Vergangenheit Kulturen gab, die der unsrigen prinzipiell ähnlich waren und so historischer Forschung zugänglich sind. Seine These lautet, daß Geschichtswissenschaft eine weit literarischere Tätigkeit sei, als man gemeinhin zugeben würde. Man findet in der Geschichte vor allem das, was man selbst in sie hineintut, und der Unterschied zwischen Fiktion und Wahrheit ist nur graduell.

Konstruktivismus hat den Anspruch, daß nur das wahr ist, was sich in der Praxis bewährt.Wirklich ist, was funktioniert. Er selbst versteht sich lediglich als methodischer Vorschlag, wie man Probleme besser als bisher lösen könnte. Trotzdem ist der Konstruktivismus auch eine Weltanschauung, die vor allem im Bereich der Philosophie mit anderen in Konflikt kommt.Auch Konstruktivisten pflegen ihre Feindbilder. Mitveranstalter Prof. Siegfried J. Schmidt vom Siegener L.u.m.i.s.-Institut räumt ein, daß der Konstruktivismus noch eine biologistische und relativistische Schlagseite besitzt, die es auszuräumen gilt. Aber es ist zweifellos faszinierend, daß man einer noch sehr jungen Richtung in der Wissenschaft bei der Entwicklung zuschauen kann, während man es im Studium ja häufig mit bereits abgeschlossenen Epochen zu tun hat.

Daß Konstruktivismus in ist, darüber besteht auch bei Kritikern kein Zweifel. Laut Schmidt ist es kein Zufall, daß diese Richtung, die ja auf uralten Einsichten beruht, ausgerechnet in einer postmodernen Mediengesellschaft zum Durchbruch kommt. Zwischen Ilona Christen, CNN und Cybersex kann man schon mal ins Schwimmen kommen, was jetzt zur Hölle eigentlich noch real ist. Statt schlicht "go with the flow" zu verkünden, kann der Konstruktivismus etwa fragen, wie wir eigentlich dazu gekommen sind, eine Gesellschaft zu konstruieren, in der (Ex-) Pfarrer mit Aufklebern bewaffnet an Tankstellen Wahlkampf machen können und sich nicht die gesamte Nation geschlossen an den Kopf greift. Ein Konstruktivist kann sich jedenfalls nicht damit entschuldigen, daß die Welt eben so sei, wie sie sei. Das ist sie nämlich nicht. (jba)


Brauner Heidelbürger

Hitlers Architekt Albert Speer

In der Nacht vom 16. auf den 17. Oktober 1946 wurden im Nürnberger Gefängnis zehn Nazigrößen gehenkt, die zuvor im Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß zum Tode verurteilt worden waren. Der zeitweise zweitmächtigste Mann in Hitlers Staat war seltsamerweise nicht darunter: Albert Speer.

Vor dem Strang gerettet hat ihn wahrscheinlich die Tatsache, daß die Anklage keine klaren Beweise für Speers direkte Beteiligung an nationalsozialistischen Verbrechen vorlegen konnte und Speer als einziger Angeklagter seine eingeschränkte Schuld als Regierungsmitglied bekannte. So wurde er wegen seiner Mitwirkung am Zwangsarbeitssystem nur zu zwanzig Jahren Haft verurteilt, die er im Spandauer Gefängnis verbüßte.

Eine fast ebensolange Zeit verweilte Albert Speer in Heidelberg, wo er fünf Jahre lang die Schule besuchte und 1923 Abitur machte. Im Jahre 1918 war er als Dreizehnjähriger mit seiner Familie von Mannheim nach Heidelberg umgesiedelt, in eine große Villa im Schloßwolfsbrunnenweg. Auf dem Schulweg hinunter in die Altstadt lernte Speer auch seine spätere Frau Magret kennen, Tochter eines Heidelberger Tischlers und Mitglied des Stadtrates.

Nach seiner Schulzeit studierte Speer auf Wunsch des Vaters Architektur in Karlsruhe, München und Berlin. Im Dezember 1930 hörte er auf einer Großveranstaltung in Berlin zum ersten Mal Hitler sprechen, der sich vor seinen größtenteils akademischen Zuhörern als ruhiger und vernünftiger Redner gab. Der unpolitische Speer erlebte diese Rede als Bekehrung und trat bereits drei Monate später, im März 1931, in die NSDAP ein. Ein Jahr später machte er sich als Architekt selbständig und erhielt durch seine NS-Beziehungen viele Aufträge. So wurde auch Hitler, der selbst ein starkes Interesse an Architektur hatte, auf Speer aufmerksam und vertraute ihm immer mehr Projekte an (Reichskanzlei, Parteitag 1937). Speer gehörte schnell zur künstlerischen Gefolgschaft Hitlers und verlegte seinen Wohnsitz an den Obersalzberg. 1938 schließlich wurde Speer von Hitler zum Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt (GBI) ernannt. Er entwarf Pläne für den gigantischen Umbau Berlins, der neuen Reichshauptstadt "Germania".

Als 1942 Fritz Todt bei einem mysteriösen Flugzeugabsturz ums Leben kam, wurde Speer, dessen herausragendes Organisationstalent Hitler schon früh erkannt hatte, Todts Nachfolger in allen Ämtern, darunter das Reichsministerium für Bewaffnung und Munition. In diesem Amt hatte Speer europaweit rund 70.000 Mitarbeiter unter sich und sorgte durch die gnadenlose Ausnutzung der Zwangsarbeiter für einen deutlichen Anstieg der Rüstungsproduktion selbst noch im vorletzten Kriegsjahr. Als er Anfang 1945 die Niederlage kommen sah, schmiedete er abenteuerliche Fluchtpläne, die aber alle scheiterten.

Nach seiner Verurteilung verbrachte Speer die Jahre 1946 bis 1966 im Spandauer Gefängnis. Während dieser Zeit beschäftigte er sich intensiv mit seiner Vergangenheit, seine Aufzeichnungen wurden später Grundlage seiner "Erinnerungen"(1969) und der "Spandauer Tagebücher"(1975). 1966 kehrte Speer nach Heidelberg in sein Elternhaus zurück. Er empfing zahlreiche Besucher und gab Interviews, um die in seinen Büchern dargelegte Version seiner Beteiligung an den nationalsozialistischen Verbrechen zu verteidigen. Nach Speers Tod 1981 erschienen jedoch zwei Biographien, die nachweisen konnten, daß Speer weitaus stärker in die Verbrechen des NS-Regimes verstrickt war, als er zugeben wollte. Im Schloßwolfsbrunnenweg wohnt heute Speers Sohn Ernst, ebenfalls Architekt . (col)


Alltäglich anders

Die Fotoausstellung "Selbstbestimmtes Leben"

Was macht eine Kleinwüchsige, die ihre Wäsche aufhängen will? Wo geht ein Körperbehinderter ins Kino? Wie sieht es aus, wenn sich eine Blinde ein Kleid kauft?

Begegnungen zwischen Menschen mit und ohne Behinderung finden in den meisten Fällen eher kurz und zufällig in der Fußgängerzone oder in der Mensa statt, kaum ein Nichtbehinderter macht sich jedoch eine Vorstellung davon, wie behinderte Menschen tagtäglich ihren Alltag bewältigen.

Den Blick hinter die Kulissen ermöglicht die Fotoausstellung "Selbstbestimmtes Leben", deren Schirmherrschaft Oberbürgermeisterin Beate Weber übernommen hat.

In über vierzig berührenden Bildern dokumentieren behinderte Menschen und ihre Angehörigen positive Beispiele aus ihrem Leben, wobei auch Themen wie Sexualität und die Gleichberechtigung der Frau nicht ausgelassen werden.

Behinderte Menschen haben immer noch mit zahlreichen Benachteiligungen in der Gesellschaft zu kämpfen: Nicht alle öffentlichen Gebäude sind rollstuhlgerecht, behinderte Kinder haben Probleme, in normale Schulen integriert zu werden, und viele Möglichkeiten der Freizeitgestaltung kommen für Behinderte einfach nicht in Frage.

Die Fotoausstellung möchte jedoch nicht anklagend auf diese Mißstände hinweisen, sondern zeigen, daß mittlerweile ein soziales Klima möglich ist, in dem behinderte Menschen ihr Leben unabhängig und selbstbestimmt gestalten können. (et, stw)

Die Ausstellung "Selbstbestimmtes Leben" kann noch bis zum 25. 5. an Werktagen von 8 bis 16 Uhr auf zwei Etagen des Gesundheitsamtes bewundert werden. Kontakt: Heidelberger Selbsthilfe- und Projektebüro, Tel. 06221/ 184290


Heidelberger Profile: Der Doktor und das arme Vieh?

Der neue Direktor des Heidelberger Zoos

Keine leichte Aufgabe erwartet den neuen Direktor des Heidelberger Zoos, Dr. Klaus Wünnemann. Kritiker beanstanden schon seit einiger Zeit, der Tierpark erfülle längst nicht mehr alle Kriterien moderner Tierhaltung. Ein amerikanischer Reiseführer geht gar so weit, ihn als KZ für Tiere zu beschreiben.

Dr. Wünnemanns Büro liegt direkt neben der Nordseevoliere, einem Vorzeigegehege aus der Zeit des alten Zoodirektors Poley, und noch bei geschlossenen Fenstern sind die Rufe der Seevögel zu hören. Kein Grund für den neuen Direktor, sich von der Arbeit abhalten zu lassen, schließlich gab es davon in dem einen Monat, den er jetzt hier ist, wahrlich genug. Da blieb auch noch keine Zeit, das große Büro neu einzurichten, das in all seiner schmucklosen Kargheit an das Primatenhaus des Zoos erinnert, nicht zuletzt durch die Affenköpfe aus Ton auf der Fensterbank, die wie das Antilopenfell auf dem Fußboden wohl ebenfalls noch von Wünnemanns Vorgänger stammen.

1962 in Duisburg geboren und in Mühlheim an der Ruhr aufgewachsen, hatte Wünnemann schon immer großes Interesse an Tieren. So war er überglücklich, als seine Familie aus der kleinen Etagenwohnung in ein Haus zog und er einen Hund geschenkt bekam. Während sich seine Freunde mit Fußball und Bob Marley beschäftigten, las er Lorenz und schaute die Tierfilme von Sielmann. Er träumte von einer Karriere als Verhaltensforscher oder Tierfilmer: "Ich wollte nie Lokomotivführer oder sowas werden." So entschied er sich nach dem Abitur für ein Studium der Tiermedizin, das ihm praxisorientierter schien als etwa das der Biologie. Ersten Kontakt zum Zoo bekam er durch seine Doktorarbeit: Er studierte das Verhalten von Raubtieren wie Malaienbär und Riesenotter ("faszinierende Tiere!") in verschiedenen Zoos und kam so schließlich zum renommierten Tierpark Hagenbeck in Hamburg. Auf persönlichen Wunsch von Dr. Hagenbeck übernahm er dort verschiedene Aufgaben und blieb zwei Jahre. Danach fand er eine Stelle im Magdeburger Zoo, in dem er für fünfeinhalb Jahre die Leitung der Säugetierpflege übernahm.

Seit April herrscht er nun über ein eigenes kleines Reich: den Heidelberger Zoo. Gegründet 1934, beherbergte dieser schon früh die typischen Tierarten, die auf die Masse anziehend wirken. Trotz einiger baulicher Veränderungen hat sich dieses Konzept bis heute nicht grundlegend verändert: Zugunsten der ausgestellten Vielfalt blieb oft eine moderne, der jeweiligen Tierart entgegenkommenden Haltung auf der Strecke. Vielleicht ein Grund für den Rückgang der Besucherzahlen in den letzten Jahren?

Kritikern ist der Zoo seit langem ein Dorn im Auge. Für sie stellt sich die Frage nach der Notwendigkeit eines eigenen Tierparks in Heidelberg, bedenkt man die Nähe zu Frankfurt oder Stuttgart.

Mit Hoffnung wird deshalb von dem Neuen eine andere und zeitgemäßere Schwerpunktsetzung erwartet; eine große Last, die da auf Wünnemanns Schultern liegt. "Meine Aufgabe ist es, dazu jeweils Konzepte zu entwickeln, die sämtliche tierhalterische Anforderungen erfüllen, und auf der anderen Seite möglichst auch noch attraktiv aussehen, und die drittens nicht zuviel kosten."

Für die Familie, so Wünnemann, sei der Zoo eine wichtige Institution, aber auch Forschung, Bildung und Arterhaltung stellten heute wichtige Aufgabenfelder eines Tierparks dar. "Das Live-Erlebnis Zoo ist besser als Fernsehen."

Doch wie sieht es mit den Bedürfnissen der Tiere aus? "Bei vielen Tieren haben wir Menschen eine bestimmte Vorstellung davon, was für diese Tiere gut ist. Tierhaltung hat auch für die Tiere positive Aspekte. Die unendlichen Weiten braucht eigentlich wirklich kein Tier." (Ob das wirklich richtig ist, seht ihr, wenn das Tier ausbricht...)

Aber auch Dr. Wünnemann räumt ein, daß es durchaus Untergrenzen gibt: In Heidelberg entsprächen die Haltungsbedingungen von Affen und Elefanten nicht länger den Ansprüchen artgerechter Tierhaltung. Hier setzt der neue Direktor seine Schwerpunkte für die nächste Zeit, doch es dürfte noch eine Weile dauern, bis er auf seinem Schreibtisch keine Briefe voller Kritik mehr findet: "Ich möchte durch diesen Zoo gehen können mit dem Gefühl: Okay, so ist es gut. Das werde ich wohl mit Sicherheit erst ganz spät erreichen, weil sowas Zeit braucht. Aber wenn man sieht, daß es Schritt für Schritt vorangeht, dann ist das schon etwas, und ich möchte, daß unsere Besucher das möglichst bald auch sehen." (stw,st)

Dr. Wünnemann plant , eine Gruppe von Studenten zusammenzustellen, denen es Spaß machen würde, ehrenamtlich als "Zoopädagogen" zu arbeiten. Wer Interesse hat, melde sich bitte bei Stefanie Wegener und Esther Schallott, Tel. HD 619981.


Kongreß der Bundesverbandes der Altphilologen in Heidelberg

Kaum kehrt man aus den Semesterferien zurück und will an dem so lange vermißten Ort des Wissens den Geist des Großen bestaunen und seine innere Ruhe finden, so wird man auch wieder schnell auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt: In der Neuen Uni herrscht , eher ungewöhnlich für die Ferienzeit, lebhaftes Treiben.

Doch nicht Studenten findet man, eher ältere Semester dominieren das Erscheinungsbild: "verschrobene Typen", wie sie sich selber bezeichnen. Wir wollen sie mit ihrem konkreten Namen titulieren: Latein- und Griechischlehrer. Anlaß: der Kongreß des Deutschen Altphilologenverbandes vom 14. bis 18. April in Heidelberg. Das Motto: Die Wurzeln unserer Kultur - Latein und Griechisch für die Jugend Europas.

Verlage belagerten mit ihren Lagerbeständen das Foyer der Neuen Uni, auch die erste Etage blieb nicht von mannigfachen Ausgaben der Reden Ciceros und Cäsars verschont. Konkret diskutiert wurde aber auch - die Themen bezogen sich vor allem auf die Probleme der Vermittlung der alten Sprachen an den Schulen in unserer Zeit. Ein Arbeitskreis zu "Lernen durch Lehren im Lateinunterricht" wurde ebenso angeboten wie "Ars nova vel alternativa linguam Latinam docendi. Latine loquamur de institutione linguae Latinae" (Häh?).

Wer an der Schule den berühmt-berüchtigten Abl. Abs. (so gesprochen, wie er geschrieben wird) kennengelernt hat und dessen Träume die Struktur eines Hendiadyoins hatten, der wird sich fragen, wie man mit so viel Begeisterung an die Sache gehen kann. Doch gefiel es den Teilnehmern offensichtlich: Die Stimmung war - so wirkte es auf einen Unbeteiligten jedenfalls - durchgehend gut.

Nach drei Tagen war nun endlich die beste Übersetzungsmöglichkeit für ein Gerundiv gefunden und man kam zum Höhepunkt der Veranstaltung: Die Verleihung des Humanismuspreises an Altbundespräsident Richard von Weizsäcker.

Die Aula war voll, obwohl die Kunde von dem Festakt in der Stadt - auch gerade unter Studenten - nicht die ihm gebührende Verbreitung gefunden hatte. Schade eigentlich. Es lohnte wirklich.

Nach einleitenden Worten rezitierte die Schauspielgruppe des Seminars für Klassische Philologie die Parodes aus Aischylos Agamemnon. Man hätte sich in das Stück hineinversetzt fühlen, am Geist der alten Zeit schnuppern können, wenn, ja wenn man des Altgriechischen mächtig gewesen wäre. Ohne Zweifel klang es gut: Diphtong folgte auf Diphtong, und es gab auch, soweit der Autor dies beurteilen kann, keinen größeren Patzer. Das Publikum war scheinbar des Griechischen kundig, man schlug die Seiten der ausgehändigten Textvorlage jedenfalls immer zur gleichen Zeit um. Ob hier auch eine Portion Gruppenzwang im Spiel war, oder ob auch die, die die Vorlage zunächst falsch herum hielten, alles verstanden haben, darüber wollen wir uns hier kein Urteil erlauben.

Die Laudatio auf Richard von Weizsäcker hielt der Stuttgarter Ex-Oberbürgermeister Manfred Rommel. Dieser machte seinem Ruf als hervorragender Redner alle Ehre. Er wolle nicht dem zu Lobenden unter besonderer Betonung der schulischen Leistungen seinen Lebenslauf vortragen, so Rommel zu Ende seiner Rede. Vielmehr führte er dem Publikum auf sehr unterhaltsame Art seine eigenen Erfahrungen mit den alten Sprachen aus. Beruhigend, daß auch andere in diesem Gebiet nicht die Hellsten waren.

Wirklich beeindruckend wurde es, als Richard von Weizsäcker ans Mikrofon trat. Einfach ein faszinierender Mensch und Politiker. Nach eigenen Worten war er nicht der Beste in Latein, dafür war Griechisch eher sein Fach. Er bekannte sich zu den alten Sprachen und ihrer wichtigen Funktion in der Schule. Ein wenig mehr Humanismus könne in unserer heutigen schnellebigen Zeit nicht schaden: "Humanismus ist kein Luxus, sondern eine unersetzliche Hilfe bei der Erfahrung mit unserer Existenz." (Dies können auch die Teilnehmer eines Lateincrashkurses bestätigen.) Erwartungsgemäß gab esnach seiner Rede langanhaltenden Beifall.

Schwierig, nun ein Schlußwort zu finden. Normalerweise würde man schreiben: Eine gelungene Veranstaltung fand hiermit ihr Ende. Eigentlich war es ja auch so. Also. Abschalten. (mg)


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