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28.04.2009

Entspannt im Holzbus

Im pazifischen Inselstaat Samoa gilt die "Island Time"

In eurozentrischen Atlanten wird man Samoa selten finden: Auf der Landkarte ganz rechts außen, mitten im Pazifk gelegen, hat sich auf Samoa eine ganz eigene Lebensweise zwischen "Laissez-faire" und Christentum etabliert.

In eurozentrischen Atlanten wird man Samoa selten finden: Auf der Landkarte ganz rechts außen, mitten im Pazifk gelegen, hat sich auf Samoa eine ganz eigene Lebensweise zwischen "Laissez-faire" und Christentum etabliert.

Aus Samoa berichtet Julia Lenders

Um neun Uhr morgens ist schon alles gelaufen. Nachdem wir zwanzig Minuten an der Hafenmauer aus Beton an Apias Wasserfront entlang gelaufen sind, steht uns das Wasser in den Schuhen. Bereits am frühen Morgen sind es um die 35 Grad mit einer Luftfeuchtigkeit von über 90 Prozent. Man ist eindeutig in der Südsee. Kein Wunder, dass Samoaner immer noch gerne "Lava-Lava" tragen: große Baumwolltücher in leuchtenden Farben, die um die Hüfte gewickelt werden und selbst Teil der offiziellen Polizeiuniform sind. Männer knoten vorne, Frauen an der Seite.

Von 1899 bis Anfang des Ersten Weltkriegs war Samoa deutsche Kolonie, danach unter neuseeländischer Verwaltung. Erst 1962 bekam es formale Unabhängigkeit. Apia, die Hauptstadt von Samoa auf der Insel Upolu, ist mit etwa 60.000 Bewohnern die größte Stadt. Hier fließt alles zusammen, was Samoa ausmacht. Und während auf den Dörfern viele Häuser noch traditionell gebaut sind, gibt es in Apia durchaus einige Hochhäuser.

An wenigen Orten liegen arm und reich so nah beieinander wie in der Hauptstadt. Holzhütten mit löcherigen Dächern und zugemüllten Matschplätzen stehen in direkter Nachbarschaft zu riesigen Villen aus Beton, gebaut im Stil "Samoa trifft englisches Herrenhaus", mit riesigen, wunderschönen Gärten voller Blumen und Bäume.

Als Europäer, der an Pünktlichkeit und Busfahrpläne gewöhnt ist, muss man sich schnell anpassen: Island Time bedeutet mit anderen Worten "alles zu seiner Zeit". Auch aufgrund der Hitze passieren viele Dinge in Samoa schon vor dem Mittag. Frühmorgens fahren Samoaner aus den umliegenden Dörfern mit den Bussen nach Apia, um zu arbeiten. Die Busse sind eines der auffälligsten Dinge im Straßenbild.

Sie sind aus Holz und da den Busfahrern ihre Busse oft selbst gehören, dürfen sie diese nach Belieben gestalten. So sind die Busse in allen Regenbogenfarben bemalt. Abfahrt ist am "Marketi Fou", dem täglichen Markt im Herzen der Stadt, wo man nicht nur Taro, Kokosnüsse und pflückfrische Ananas bekommt, sondern auch Schmuck jeder Art, und wo sich die Chiefs zum Kava trinken und reden treffen.

Einmal im Bus Platz genommen - oft zwischen Körben voller Brennholz und dem ein oder anderen Huhn - ist man noch lange nicht auf dem Weg. Der Bus fährt so lange zwischen dem Markt und dem Busbahnhof am Hafen hin und her, bis genug Leute zusammen gekommen sind, damit sich die Fahrt auch lohnt. Das kann mitunter bis zu zwei Stunden dauern, auch wenn die Zahl der zugelassenen Passagiere (33 plus Busfahrer) schon überstiegen ist. Am Ende sitzen Menschen auf anderer Menschen Schoß. Fremde Kinder werden einem in den Arm gedrückt. Alles findet mit einem Lachen auf den Lippen statt und man teilt nicht nur den Platz, sondern auch Cola oder Erdnüsse, die von Straßenverkäufern durch die Fenster angeboten werden. Wenn man nett fragt, hält der Fahrer auf dem Weg schon mal an einem Supermarkt an. Es gibt kaum Bushaltestellen. Wer aussteigen möchte, klopft an die Decke oder klatscht laut in die Hände.

98 Prozent aller Samoaner sind Christen. Somit steht sonntags alles still. Früh morgens gehen die Samoaner in eine der imposanten Kirchen, die das Bild der Inseln prägen. In blütenweißen Lava-Lava und Blusen mit Fächern aus Bananenblättern erdulden die Einwohner bis zu vier Stunden lange Gottesdienste. Der Rest des Tages ist der Familie gewidmet.

Mittags isst man ein riesiges Festmahl, abends nur noch eine Süßspeise aus Kakao, Kokosmilch und Reis. Eine für westliche Augen makaber anmutende Angewohnheit ist, seine verstorben Verwandten im Garten zu begraben. Die Verstorbenen sind Teil des alltäglichen Lebens und die Gräber werden mit bunten Plastikblumen geschmückt. Auf den Gräbern spielen die Kinder, völlig unbefangen.

In Samoa hat der "fa’a Samoa", die traditionelle Samoanische Lebensweise, immer noch höchsten Stellenwert. In Verbindung mit dem starken Christentum entwickelte sich eine relativ strenge Lebensweise: So hat die Jungfräulichkeit der Mädchen einen hohen Stellenwert und es werden viele politische und private Entscheidungen von den Chiefs in den Dörfern getroffen. Gleichzeitig sind Samoaner extrem gastfreundlich und lustig und sie lieben Kinder. So laufen zu jeder Tages- und Nachtzeit hunderte Kinder jeglichen Alters in den Straßen herum. Sie spielen mit Schweinen und Hühnern und schwimmen in den "Felsenpools", die bei Flut mit Meerwasser voll laufen. Die Älteren passen dabei auf die Jüngeren auf.

Familiensinn beweisen Samoaner auch beim Hausbau. Die meisten Häuser, "Fale" genannt, sind an allen Seiten offen. Nur durch Rollos aus Bananenblättern oder ähnlichem kann man sich in der Regenzeit vor dem Wetter schützen. Fernseher und teure Stereoanlagen stehen für jedermann zugänglich herum. Wenn ein Samoaner heim kommt und etwas verschwunden ist, wird dies ganz selbstverständlich akzeptiert. Freigiebigkeit und Großzügigkeit sind oberstes Gebot.

Samoa ist ein Land, das es trotz langer Kolonialgeschichte geschafft hat, viele Traditionen zu erhalten und zu stärken. Die "Fa’a Samoa" hat sich viele westliche Eigenarten einverleibt und etwas eigenes daraus gemacht – Island Time eben.

von Julia Lenders
   

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