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 Interview
28.04.2009

Selber denken macht schlau

Wissenschaftskabarettist Vince Ebert im ruprecht-Interview

Vince Ebert, der "lustigste Physiker Deutschlands", macht Kabarett zum Mitdenken. Im ruprecht-Interview spricht er über Wissenschaft in den Medien, den Klimanwandel und sein aktuelles Buch "Denken Sie selbst! – sonst tun es andere für Sie".

Vince Ebert, Jahrgang 1968, begann seine Karriere als Kabarettist 1998. Inzwischen ist er regelmäßig  bei Ottis Schlachthof, dem Quatsch Comedy Club und TV Total zu Gast. Bei Galileo erklärt der "lustigste Physiker Deutschlands" in hirngerechten Wissenshappen Phänomene des Alltags. Sein aktuelles Buch mit dem Titel "Denken Sie selbst! – sonst tun es andere für Sie" hält sich seit mittlerweile 29 Wochen hartnäckig auf der Bestsellerliste des Spiegel.

ruprecht: Herr Ebert, Sie haben ein Diplom in Physik – also einen Studienabschluss, mit dem man nicht nur was anfangen, sondern sogar Geld verdienen kann. Warum haben Sie sich für die Kleinkunstbühne entschieden?

Vince Ebert: Als ich meinen Abschluss gemacht habe, das war 1994, sah es noch gar nicht so rosig aus mit einem Physik-Diplom. Mittlerweile ist es aber, glaube ich, ganz lukrativ.
Aber das war nicht der Grund. Während der Diplomarbeit habe ich erkannt: im Labor herumsitzen bei gedimmtem Laserlicht und an etwas forschen, das weltweit vielleicht dreißig oder vierzig Leute interessiert, das war nicht mein Fall. Ich wäre sicher ein schlechter Wissenschaftler geworden.  

Trotzdem ging es danach nicht direkt auf die Bühne, sondern erst mal in ein anderes Spezialistentum.

Puuh, ja, ich habe dann erst mal als Unternehmensberater angefangen. Das war eher eine Notlösung. Ich wusste, ich will irgendwas mit Kommunikation machen, und Unternehmensberatungen nehmen nun mal gerne Naturwissenschaftler. Als Physiker versteht man von Beratung zwar genauso wenig wie ein BWLer, dafür aber in der Hälfte der Zeit.
Auch da habe ich schnell gemerkt, dass mir die Sache nicht liegt, habe nach einigen Jahren gekündigt und mich auf der Bühne probiert. Als letzte Chance, quasi. Jetzt mache ich endlich, was ich eigentlich schon immer machen wollte: Wissenschaft mit Humor zu verbinden.

Die meisten Physiker sind ja schon aus Prinzip allergisch gegen Auswendiglernen, und leiten sich eine Formel bei Bedarf lieber noch mal schnell her. Wie schaffen Sie da die Vorbereitung auf ein abendfüllendes Kabarettprogramm?

Ich sträube mich da auch. Die ersten paar Vorstellungen sind bei mir immer eine Katastrophe. Wenn ich ein neues Programm aufführe, habe ich am Anfang Karteikarten als Gedächtnisstütze dabei.
Ich brauche dann zwanzig bis dreißig Vorstellungen, bis ich das Programm im Schlaf kann. Es ist allerdings leichter, einen Text den man selbst geschrieben hat auswendig zu lernen als etwas Vorgegebenes. Mit einem Hamlet täte ich mir schwerer als mit meinen eigenen Gedanken.

"Denken Sie selbst!" heißt Ihr neues Buch – aber letzendlich denken Sie Ihrem Publikum doch auch nur was vor. Testen Sie zwischendurch, ob auch alle brav am Ball bleiben?

Ja auf jeden Fall! Zum Beispiel kommt am Anfang der Show eine Durchsage mit bizarren Sicherheitshinweisen. In die habe ich einen kleinen physikalischen Fehler eingebaut, und bin immer sehr gespannt, ob in der Pause Leute kommen und mich darauf hinweisen. Ich habe ein sehr aufmerksames Publikum, darunter sind auch viele Professoren und Studenten. Bei meinen Texten bin ich ganz akribisch, und freue mich über Hinweise von Lesern und Zuschauern. Das ist ja auch der Grundgedanke von Wissenschaft: Dinge öffentlich machen, in der Hoffnung, dass keiner darauf kommt, sie zu widerlegen...

Das Denken lässt sich ja nicht wirklich abschalten, jedenfalls nicht dauerhaft. Worum geht es Ihnen also mit dem Appell an unsere grauen Zellen?

Im Grunde geht es um das aufklärerische Prinzip: Denken heißt, nicht glauben zu müssen, was andere sagen!
Ich erkläre das immer an einem Kühlschrank: Wenn ich vermute, im Kühlschrank könnte Bier sein, und schaue nach, dann betreibe ich schon eine Vorform von Wissenschaft. Wenn ich nur sage, es ist Bier drin, ohne das zu überprüfen, dann bin ich Theologe. Und wenn ich nachschaue, nichts finde, und trotzdem noch behaupte, dass im Kühlschrank Bier ist, dann ist das Esoterik.
Das ist das Kernthema des Buches und auch meines Bühnenprogramms: wenn ich wissen will, ob an einer Aussage was dran ist oder nicht, komme ich an einer Überprüfung nicht vorbei.

Reicht dazu der gesunde Skeptizismus, den Sie propagieren, aus? Ein Laie hat eben keine Mittel und Wege, bestimmte Aussagen selbst zu überprüfen, und ist darauf angewiesen, einem Experten zu glauben – egal, ob es dabei um den Klimawandel geht, die Finanzkrise oder um grüne Gentechnik.

Ich erlebe immer wieder, dass die Nichtakademiker den besseren Riecher haben als die sogenannten Akademiker. Trotzdem stimmt das – gerade wenn es um emotional und ideologisch aufgeheizte Themen wie die Gentechnik geht, hat man kaum Möglichkeiten, an wirklich objektive, fundierte Meinungen heranzukommen.
Ich betone immer wieder, dass wir eigentlich die allerwenigsten Dinge wirklich ganz sicher wissen. Daher ist jeder, der mir eine absolute Wahrheit verkaufen will, verdächtig. Wenn einer sagt: So und so ist es und das steht hundertprozentig fest, dann sollte man stutzig werden.

Warum sind wir so denkfaul? Sind die Dinge schlicht zu kompliziert geworden oder taugen unsere Schulen nichts?

Meiner Meinung nach fehlt im Studium und auch in der Schule ein Fach, und zwar die Wissenschaftstheorie. Dort lernt man, wie man Vermutungen richtig überprüft. Wie muss ein Experiment oder eine Studie aufgebaut sein, um falsche Schlüsse zu vermeiden?  

Das klingt so, als sollte naturwissenschaftliches Denken auch in den Geisteswissenschaften Schule machen.

Es geht ja hier nicht direkt um Naturwissenschaft, sondern erst mal um den gesunden Menschenverstand.

Trotzdem ist das Überprüfen von Annahmen in den wenigsten Geisteswissenschaften zuhause.

In den Geisteswissenschaften kann man manche Dinge per se nicht falsifizieren. Leider macht man sich allerdings oft auch bei den Dingen, bei denen das möglich wäre, nicht die Mühe.
 
In Ihrem Buch zitieren Sie einen einzelnen Satz aus dem IPCC und stellen damit die gesamte Klimaforschung in Frage. Wie passt das zum aufklärerischen Anspruch Ihres Programms?

Das ist eine rein mathematische Aussage. Klimamodelle beruhen auf nichtlinearen Gleichungssystemen, und solche Systeme haben nun mal die unschöne Eigenschaft, dass der Fehler innerhalb kürzester Zeit so groß wird, dass Voraussagen für die Zukunft große Probleme machen. Und das steht so auch im IPCC, jedenfalls in der Version von 2001. In der neuesten Version hat man diese Passage gestrichen, was aber an der Mathematik nichts ändert.

Die Kernaussage des IPCC ist aber eine andere.

Ich bezweifle nicht, dass sich die globale Temperatur erhöht, und ich glaube auch, dass der Mensch daran einen Anteil hat. Aber in der wissenschaftlichen Welt gibt es keineswegs einen Konsens darüber, wie groß dieser Anteil ist, noch was bei einer Reduktion der CO2-Emissionen passieren wird.
Im IPCC-Panel gibt es Leute, die unter dem Deckmantel des Wissenschaftlers politisch agieren, die ihren Doktortitel missbrauchen, um politische Ziele zu verfolgen. Klimaforscher sind auch nur Menschen, und ich wehre mich dagegen zu sagen, nur weil sie für eine gute Sache eintreten sind sie frei von jeder Kritik.

Genug vom Klimawandel – in den letzten Jahren haben immer mehr Wissensmagazine, ob gedruckt oder im Fernsehen, immer mehr Leser und Zuschauer erobert. Jedes Lokalblättchen hat inzwischen eine Wissenschaftsseite. Können die Deutschen gar nicht mehr genug bekommen von der Wissenschaft?

Grundsätzlich finde ich dieses Interesse super, ich profitiere ja auch davon. Trotzdem gibt es auch viele Sendungen, bei denen es bloß um den Knalleffekt geht. Das hat nichts mit Wissenschaft zu tun.
Ich glaube, es gehört mehr dazu, die Leute für Wissenschaft zu begeistern, als einfach ein Experiment aufzubauen, bei dem irgendwas in die Luft fliegt. Natürlich mache ich auch Experimente vor und gehe ab und zu aufs Klischee. Ich versuche aber, weiter zu gehen und den Leuten das Wesen der Wissenschaft näher zu bringen. Das fehlt mir bei Wissenssendungen oft.

Ist Wissen im Fernsehen eine Mogelpackung, nur "Bild und Bunte mit Intelligenzanstrich"?

Das trifft es nicht ganz. Aber viele Leute sagen, Wissenschaftler seien arrogant und glaubten immer alles zu wissen. Das ist genau das Gegenteil dessen, was Wissenschaft eigentlich ist. Kein Mensch weiß so genau, wie wenig man eigentlich weiß, wie der Wissenschaftler.
Dass Wissenschaft bedeutet, mit Unsicherheiten leben zu müssen, dass Wissenschaft, wenn sie seriös betrieben wird, eine ganz große Bescheidenheit und Demut mit sich bringt, das kommt mir in vielen Formaten zu wenig raus.
 
Was überwiegt denn nun bei Ihnen: Sind Sie eher ein Unterhalter, bei der man auch was lernen kann, oder sind Sie im Herzen doch Pädagoge und Aufklärer?

Ich muss selber oft aufpassen, dass ich nicht zu ernst werde oder die Gäule mit mir durchgehen. Ich versuche den Humor zu benutzen, um den Leuten dieses Wissen von der Wissenschaft näher zu bringen. Das liegt mir wirklich sehr am Herzen, vor allem wenn ich sehe, von welchem Blödsinn die Leute zum Teil fest überzeugt sind.
Damit meine ich gar nicht die einfachen Leuten, sondern gerade die gebildeten Schichten. Die holen sich Feng-Shui-Berater ins Haus oder schleppen ihr krankes Kind zum Wunderheiler statt zum Schulmediziner. Viele legen eine grundsätzliche Fortschrittsfeindlichkeit an den Tag, und ignorieren dabei, dass sie die Tatsache, dass es für fast jedes kleine und große Wehwehchen eine Medizin gibt, letztlich der Wissenschaft verdanken. Das geht mir einfach tierisch auf den Geist.

Ihre Comedy lebt davon, derartige Denkfehler zu entlarven. Wenn Sie damit erfolgreich sind, haben Sie bald kein Publikum mehr, oder?

Ich glaube, es war Voltaire, der schon vor 200 Jahren geglaubt hat, es könne nur noch wenige Jahre dauern, bis die Menschheit die Aufklärung so verinnerlicht hat, dass Aberglauben und Mystik verschwinden. Wenn ich mir anschaue, an was die Leute in unserer so gebildeten Zeit alles glauben – das ist wohl unausrottbar.

Herr Ebert, vielen Dank für das Gespräch!


Weitere Informationen und Tourtermine unter: www.vince-ebert.de

von Helga Rietz
   

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