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 Heidelberg
20.01.2009

Der ewig Unterschätzte

Anspruch, Ruf und Wirklichkeit des Emmertsgrunds

Betonburg, sozialer Brennpunkt, Unterschichten-Ghetto? Der am wenigsten romantische Teil Heidelbergs ist besser als sein Ruf. Der ruprecht hat sich auf dem Berg umgehört und festgestellt, dass die sich Bewohner des Emmertsgrund dort erstaunlich wohl fühlen.

Der Emmertsgrund ist eine Trabantenstadt. Doch die Geschichte der Betonschluchten an den südlich gelegenen Berghängen ist eng mit der Geschichte des Psychoanalytikers und Schriftstellers Alexander Mitscherlich verknüpft.

Wo heute Hochhäuser in den Heidelberger Himmel ragen, befand sich vorher ein Schießstand der Deutschen Wehrmacht. Ende der 60er Jahre plante die Stadt eine Großwohnsiedlung mit rund 3500 Wohnungseinheiten für etwa 11.000 Menschen (heute leben hier ungefähr 7000 Menschen), um den damaligen Wohnraummangel zu bekämpfen.

Die Architektur der Hochhäuser galt in den 60ern als modern und praktisch. Der neue Stadtteil Emmertsgrund sollte eine neuartige Stätte des Zusammenlebens vieler Personen auf engem Raum sein.

Mitscherlich, Mitglied der Gutachterkommission des neuen Stadtteils, war für die sozialen Aspekte der Planung verantwortlich. Der Psychoanalytiker wollte die künftigen Bewohner des Emmertsgrunds als Partner in die Planung miteinbeziehen. Zentraler Aspekt sollte der Mensch sein.

Doch wer den Emmertsgrund heute besucht, kommt sich inmitten der Häuserschluchten verloren vor. Auf den ersten Blick wirkt die Architektur steril und anonym, also gar nicht in Mitscherlichs Sinne, der den Menschen im Mittelpunkt des Stadtteil sah. Doch trotz der eisigen Kälte sind auf den Straßen Leute zu sehen, die sich grüßen und hier und da ein kurzes Schwätzchen miteinander halten. Um aus dem Emmertsgrund keine anonyme Satellitenstadt zu machen, plante Mitscherlich sich kreuzende Fußwege, damit sich die Menschen begegnen. Auch die Aufzüge in den Hochhäusern sah Mitscherlich als „Begegnungsstätte“.

Elisabeth Dolhus* lebt seit gut 25 Jahren im Emmertsgrund. „Ich fühle mich nicht einsam“, sagt sie. „Ich treffe mich regelmäßig mit meinen Freundinnen“, erklärt die rüstige, etwa 80jährige Dame. Offenbar haben die Ideen des Psychoanalytikers etwas bewirkt.

Mit knapp 20 Prozent hat der Emmertsgrund einen überdurchschnittlich hohen Ausländeranteil für einen Heidelberger Stadtteil. Das trägt zu dem negativen Image bei, das viele Leute unterhalb des Hangs vom Emmertsgrund haben. „Obwohl hier Menschen wohnen, die aus den verschiedensten Ecken der Erde stammen, gibt es kaum Gewalt“, berichtet dagegen ein 34-jähriger Passant, der seit seiner Kindheit in der Satellitenstadt lebt. „Manche Jugendliche schmieren aus Langeweile die Wände und Aufzüge in den Häusern voll. Ansonsten ist es aber friedlich hier.“ Eine verblüffende Feststellung für einen Stadtteil, der außerhalb meist als Ghetto wahrgenommen wird. Woher das kommt, glaubt der Freund des Passanten zu wissen: „Leute, die noch nie im Emmertsgrund waren, haben Vorurteile gegenüber dem Viertel und seinen Bewohnern“, meint er.

Dabei hat gerade die Lage des jüngsten Heidelberger Stadtteils einige besondere Vorteile: „Immer wenn ich von der Innenstadt zur Arbeit hoch in den Emmertsgrund fahre, kann ich diese frische saubere Luft einatmen“, schwärmt eine Angestellte der Sparkasse Emmertsgrund. Die Mischung aus Natur und Beton hat auch von der Lage her ganz praktische Vorteile. „Von der Wohnung im 13. Stock ist man innerhalb von wenigen Minuten im Wald“, erklärt eine andere Anwohnerin.

Ist also Mitscherlichs Idee des im Zentrum stehenden Menschen im Emmertsgrund doch aufgegangen? Es scheint so, da sich die Bewohner in ihrem „verrufenen“ Stadtteil durchaus wohl fühlen. „Man kann sich ohne Furcht auch nach 22 Uhr auf der Straße aufhalten“, versichert Petra Bergen*. Sicher sei der Emmertsgrund auch ein sozialer Brennpunkt. Tatsächlich wohnen hier Menschen aus über zehn Nationen und verschieden Kulturen. „Da gibt es immer ein Potenzial für Konflikte“, meint eine ältere Dame, die im unteren Teil des Emmertsgrunds, wo sich die Reihen- und Einfamilienhäuser befinden, wohnt.

Doch ein Erfolgsgeheimnis des Emmertsgrunds scheint gerade die bunte Mischung zu sein: Hier leben neben Familien mit Migrationshintergrund auch Akademiker und Geschäftsleute. „Viele Kinder von ehemaligen Bewohnern ziehen wieder zurück in den Emmertsgrund, weil sie sich hier wohlfühlen“, weiß Erika Matthies*, eine der ersten Bewohnerinnen des Hangs. Seltsam ist jedoch, dass die meisten hier gerne wohnen, aber darauf bestehen, dass ihre Namen im Rahmen dieses Beitrags nicht veröffentlicht werden. Warum? Vielleicht mangelt es (noch) am Selbstbewusstsein der Bewohner, sich als Emmertsgrundler zu outen. (*Namen geändert)

von Michael Bachmann
   

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