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 Weltweit
29.06.2009

Manchmal ein bisschen Venedig

Vom Auslandsstudium an den Kanälen des niederländischen Leiden

Windmühlen und Wasserstraßen, Holzschuhe und Hollandrad, Käse, Tulpen, Heineken und Coffee Shops. Weltweit bekannt sind „Exportschlager“ der Niederlande. Doch das Land hat mehr zu bieten als seine Klischees.

Text und Fotos von Verena la Mela, aus Leiden, Niederlande

Spanien, Italien oder Frankreich haben, vor allem im Bezug auf das Wetter, ihre Berechtigung als beliebte Erasmus-Ziele. Doch die Niederlande stehen den südeuropäischen Staaten in nichts nach. Mit einer Fläche von 41.500 Quadratkilometern sind sie um einiges kleiner als Bayern. Um das Land einmal von Norden nach Süden mit dem Zug zu durchreisen, braucht man gerade mal viereinhalb Stunden.

Ganz besonders lieben sie ihre Königin Beatrix, die in Leiden Jura, Geschichte und Soziologie studiert hat. In tiefe Trauer fiel das Land, als dieses Jahr am "Königinnentag" ein Attentat auf die Königsfamilie verübt wurde. Partys im ganzen Land wurden abgesagt, lediglich in Amsterdam wurde weiter getanzt.

Gleichzeitig ist den Niederlande ein Liberalismus beheimatet, wie man ihn in kaum einem anderen europäischen Land findet. Das betrifft nicht nur die Drogenpolitik, auch das Einwanderungsrecht gilt als eines der freizügigsten in Europa. Doch seit der Regisseur Theo van Gogh von einem islamischen Fundamentalisten auf offener Straße erstochen wurde, sind wächst bei immer mehr Niederländer das Misstrauen gegenüber muslimischen Asylbewerbern. Mittlerweile hat der Staat das Einwanderungsrecht verschärft: Wer den Sprachtest nicht besteht und sich mit der Landeskultur nicht auskennt, wird abgewiesen.

Leiden: das Heidelberg der Niederlande

Bei meiner Ankunft in Leiden, einer 120.000 Einwohner zählenden Studentenstadt in der Prozinz Südholland, überkam mich ein ähnliches Gefühl wie damals, als ich nach Heidelberg zog. Leiden ist die älteste Studentenstadt des Landes und versprüht auch genauso viel internationalen Charme wie Heidelberg. Einen Großteil der ausländischen Studenten sind Deutsche. 2008 führten die Deutschen die Liste der ausländischen Studenten an – noch vor den Chinesen und den Belgiern. 

Belege seiner Internationalität liefert Leiden an beinahe jeder Ecke. "Das ist die Sehnsucht: Wohnen im Gewoge und keine Heimat haben in der Zeit", hinterließ ein Fan Rainer Maria Rilkes an einer Hauswand im Herensteeg. Aber auch chinesische Austauschstudenten heben regelmäßig verwundert ihre Köpfe, wenn sie ein Gedicht in geschwungener Kalligrafie auf dem Weg zur Uni sehen. 1992 sind zahlreiche Hauswände im Rahmen des "Leiden Mural Poem"-Projekts mit insgesamt 101 Gedichten versehen. Von Arabisch bis Spanisch sind Verse verschiedener Poeten in insgesamt dreißig Sprachen über die Stadt verteilt zu lesen. 

Auch ohne Schloss besitzt diese Kleinstadt eine gehörige Portion Attraktivität. Durchzogen von Kanälen und engen Pflastersteingassen, glänzt das nur wenige Kilometer vom Nordseestrand entfernte Leiden als Perle der Wissenschaft und Künste. Johannes Diderik van der Waals, Nobelpreisträger für Physik, und der niederländische Maler Rembrandt sind nur zwei der Koryphäen, die Leiden hervorgebracht hat. Die Stadt zeichnet sich außerdem durch exzellente Museen, wie beispielsweise das Museum für Völkerkunde aus. Dort ist derzeit die aufwendig gestaltete Ausstellung "Music in Motion" zu bestaunen.

Weitere Ähnlichkeit zu Heidelberg weist Leiden bei der Wohnungssituation auf. Das Angebot für Studenten ist ebenso knapp und teuer. Zwischen 450 und 550 Euro kostet ein Einzelzimmer mit gemeinsamer Bad- und Küchenutzung im Stadtzentrum.

Nicht nur kulinarische Offenheit

Doch wer Leiden im Frühjahr und Sommer besucht, merkt dass die Menschen wenig Zeit hinter verschlossenen Türen verbringen. Vor den Haustüren stehen Liegestühle, Studenten mit Lehrbüchern in den Händen lassen die Füße im Kanal baumeln, während Jugendliche mit ihrem Motorboot am Basketball-Platz anlegen. Leiden ist manchmal ein klein bisschen Venedig. Auch der Gaumen wird hier von einer Vielfalt kulinarischer Köstlichkeiten, insbesondere aus Asien und Afrika verwöhnt. 

Englisch ist unter Holländern verbreiteter als in Deutschland. Fast alle Marktschreier bieten ihren Fisch im angelsächsischen Idiom feil. Bedienstete der Bekleidungsindustrie parlieren akzentfrei mit englischen Kunden in deren Muttersprache. Selbst kleine Kinder zitieren ihre Cartoonhelden im Original.

In den Niederlanden werden ausländische Filme in der Regel nur mit Untertiteln versehen, aber nicht synchronisiert. Hier im Rahmen des Auslandsstudiums die Landessprache zu erlernen, ist schwierig. Auf entgegenkommende Art und Weise fallen die Holländer sofort ins Englische, sobald sie merken, dass Niederländisch nicht die Muttersprache des Gesprächspartners ist.

Immerhin kann man so zumindest sein Englisch verbessern.

von Verena La Meya
   

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