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 Interview
26.05.2009

Vom Suchen und Finden der Disziplin

Der ruprecht traf den Ex-Leiter des Elite-Internats Salem Bernhard Bueb

Bueb will Disziplin und Werterziehung wieder in den Mittelpunkt der Erziehung stellen. Kritiker beurteilen seine Thesen als „ungehemmt totalitär“ und bezeichnen ihn als Bildungsanachronisten.

Kaum jemand provoziert in Deutschland mehr, wenn es um Bildung und Erziehung junger Menschen geht: Der ehemalige Schulleiter des Elite-Internats Schloss Salem, Bernhard Bueb, will mit seinen Bestsellern „Lob der Disziplin“ und „Zehn Gebote für die Bildung“ die Disziplin und Werterziehung wieder in den Mittelpunkt stellen. Kritiker beurteilen seine Thesen als „ungehemmt totalitär“ und bezeichnen ihn als Bildungsanachronisten.

Herr Bueb, was bedeutet für Sie persönlich Glück?

Eine erfüllende Tätigkeit finden und als Beruf ausüben zu dürfen, gehört für mich zu den zentralen Glückserfahrungen eines jeden Menschen. Ideal wäre es, wenn man sich schon als junger Mensch für etwas begeistert, also seine Passion entdeckt, und diese Passion als Beruf fortsetzen darf. Das Glück, das aus einer Sinn stiftenden Arbeit hervorgeht, ist ein Glück, zu dem man beitragen kann und das nicht von Fortuna oder glücklichen Umständen allein abhängt. Jeder ist da seines Glückes Schmied. Dazu gehören zwei Bedingungen: man muss frei sein, also selbst bestimmen können, welcher sinnvollen Tätigkeit man nachgehen möchte Voraussetzung solcher Selbstbestimmung ist Bildung. Das zweite Entscheidende ist: man muss bereit sein, sich anzustrengen Eine selbst gewählte Sache gut gemacht zu haben, erfüllt einen mit einem Glücksgefühl, das andauert und auch durch Wiederholung nicht schal wird im Gegensatz zum Glück, das als eine Animation von außen kommt, also zum Beispiel durch Alkohol, Drogen oder Reichtum. Zu diesem Glück der Anstrengung sollten wir Kindern verhelfen und dazu braucht man Disziplin.

Was ist die Voraussetzung für eine erfüllende, sinnvolle Tätigkeit?

Die Voraussetzung einer erfüllenden Tätigkeit ist Selbstvertrauen, Glauben an die eigenen Kräfte. Eltern und Lehrer sollten sich als oberstes Ziel von Bildung und Erziehung vornehmen, Kinder in ihrem Selbstwertgefühl so zu stärken, dass sie mutig ihren Weg finden und gehen können. Sie müssen ihnen weiterhin eine gewisse Werthaltung mitgeben, damit sie ihr Glück nicht in einer Tätigkeit finden, die unmoralisch ist, zum Beispiel, ihr Glück darin finden, andere zu betrügen oder ihr Geld zu vermehren, ohne zu wissen warum eigentlich. Diese zwei Voraussetzungen, also Selbstvertrauen und Mut zu haben, sowie sich einen Wertekanon anzueignen, der einen Jugendlichen befähigt, einen moralischen Sinn zu verfolgen, sind notwendig.

Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach die Kontrolle bei der Erziehung der Jugendlichen?

Um Kinder in ihrem Selbstwertgefühl zu stärken, sollten Eltern ihnen herausfordernde Aufgaben zutrauen und mit ihnen vereinbaren, wie sie die Aufgaben meistern wollen, aber auch kontrollieren, ob, und wie sie sie meistern. Wenn eine Familie einen Hund anschafft, sollten die Eltern mit den Kindern vereinbaren, warum man ihn anschafft, wie er versorgt wird und wer ihn füttert. Und dann ist ganz entscheidend, dass die Vereinbarungen auch kontrolliert werden. Eltern sollten die Kinder nicht einfach sich selbst überlassen. Als Folge der Kontrolle kann man die Kinder loben oder wenn sie ihre Ziele nicht erreicht haben, sie kritisieren und ihnen helfen. Wenn die Hilfe nicht ausreicht, muss man auch zum letzten Mittel, der Strafe, greifen. Heute spricht man lieber von Konsequenz, obwohl es das Gleiche ist. Am Beispiel des Hundes könnte man als Ultima Ratio den Hund auch wieder abschaffen.

Überfordert die Freiheit die Jugendlichen später nicht, wenn sie nicht mehr der Kontrolle unterliegen?

Wenn man eine moralische Forderung stellt, muss man kontrollieren können, ob die Forderung erfüllt wird. Sie können keine Steuern erheben, ohne zu kontrollieren, ob die Bürger die Steuern auch zahlen. Wenn Eltern mit ihrem Sohn vereinbaren, dass er um 24 Uhr von einem Disco-Besuch nach Hause kommt, sind sie gut beraten, zu kontrollieren, ob er auch pünktlich zurückkommt. Für den Sohn ist es auch ein Zeichen der Fürsorge. Wir Erwachsenen akzeptieren Kontrollen selbstverständlich. Warum sollen wir Kindern und Jugendlichen solche Stützen vor enthalten? Warum soll die Freiheit in der Jugend größer sein, als es die Welt der Erwachsenen kennt?

Sollten Lehrer und Eltern nicht von der Unschuld der Jugendlichen ausgehen und nur bei Verdacht auf Drogen kontrollieren?

Kontrolle muss schon deswegen sein, weil Vergesslichkeit, Schlamperei oder Irrtum zu Unordnung führen können. Kontrolle muss daher nicht Misstrauen bedeuten. Wenn man etwas verbietet, das begehrt wird, käme der Verzicht auf Kontrolle einem Verzicht auf das Verbot nahe. Drogen sind ja verboten zum Schutz der Menschen. Also sollte man darauf achten, dass dieses gesetzliche Verbot auch bei Jugendlichen eingehalten wird. Es ist nicht einzusehen, warum man Drogen überhaupt ausprobieren können sollte. Also sollte man den Konsum von vornherein so abschreckend machen, dass Junge und Alte die Finger davon lassen.

Per Gesetz nicht verboten ist die Schülermitverwaltung. Warum lehnen Sie sie dann ab?

Ich lehne die Schülermitverwaltung nicht ab. Die Schülermitverwaltung ist für mich der Königsweg der politischen Bildung. Ich kritisiere, dass die Schüler in die maßgebenden Positionen gewählt werden, weil dadurch das Ziel der Schülermitverantwortung, politisch denken und handeln zu lernen, häufig verfehlt wird. Es ist weder im Lehrerkollegium, noch in irgendeiner Firma, noch sonst wo, üblich, dass man irgendjemand in die maßgebenden Positionen wählt! Das heißt, den Schülern wird eine Art von Demokratie vorgegaukelt, die es in der übrigen Welt nur einmal gibt, nämlich im großen Staatswesen – und vielleicht noch in der Universität, aber nirgendwo sonst.

Aber gerade in Unternehmen gibt es doch die Arbeitnehmermitbestimmung, die auch ihre Vertreter wählen.

Ja, die Schülermitverantwortung gleicht eher einem Betriebsrat als einem politischen Gemeinwesen. Das heißt, es geht nicht darum, Politik zu machen, sondern seine Interessen zu vertreten. Politik könnte man definieren als die gemeinsame Regelung der gemeinsamen Verhältnisse. Zu dieser Regelung gehört nicht nur Mitbestimmung bei der Regelung, sondern auch die Durchsetzung der gemeinsam beschlossenen Regeln. Und genau das ist mein Vorwurf: dass in der Schule lauter Betriebsräte erzogen werden, die gelernt haben, mitzubestimmen, aber nicht, für die gemeinsam verabschiedeten Regeln einzustehen. Den Mut aufzubringen, das für Recht Erkannte durchzusetzen, lernen Jugendliche zu wenig. Das scheint mir aber eine der wichtigsten politischen Tugenden zu sein. Wenn zum Beispiel ein Schülerparlament beschlossen hat, dass bei einem Schulfest Alkohol nur in Maßen konsumiert werden darf, müssten die Repräsentanten, etwa die Schulsprecher, bereit sein, auf dem Fest für die getroffenen Vereinbarungen einzutreten. Das müsste so weit gehen, dass sie Lehrer oder die Schulleitung zur Hilfe holen, wenn Schüler exzessiv Alkohol trinken. Das erfordert Mut, nämlich den Mut, Gleichaltrige zur Rechenschaft zu ziehen und sich unbeliebt zu machen – mehr Mut, als die Regeln zu verletzen. Aber zu dieser Form der Durchsetzung sind sie nicht bereit, das gälte als Denunziation. Denn als gewählte Repräsentanten fühlen sie sich ihrem Wahlvolk verpflichtet und nicht der Institution Schule. Daher plädiere ich dafür, dass die politischen Mandatsträger von den Schülern vorgeschlagen, aber vom Schulleiter ernannt werden wie in England oder in den USA, weil sie sich dann gleichermaßen den Schülern und der Schule verpflichtet fühlten.

Wir reden hier von englischen und amerikanischen Internaten, nicht von amerikanischen High-Schools?

Wir müssen ja von Internaten reden, weil die Zuständigkeit von Tagesschulen mit dem Verlassen des Unterrichts endet. Schülermitverantwortung hat an Halbtagsschulen wenig Betätigungsfelder, weil für die Mitwirkung im Unterricht den Schülern die Kompetenz fehlt. Ganztagsschulen wären die Chance für die Schülermitverantwortung, aber nur Ganztagsschulen, die nicht den ganzen Tag Unterricht bieten, sondern die am Nachmittag ein lebendiges Gemeinschaftsleben entwickeln, dominiert von vielfältigen Formen des Spiels: Theater, Sport, Musik, schöpferische Medienarbeit, naturwissenschaftliches Experimentieren, Unternehmungen in der Natur und eben Schülermitverantwortung, das heißt Einübung in die gemeinsame Regelung der gemeinsamen Verhältnisse.

Wann ist denn der geeignetste Zeitpunkt, die Jugendlichen in die Freiheit zu entlassen?

Mit dem Verlassen der Schule, also im Alter von 19 oder 20 Jahren. An sich wäre für mich der Zeitpunkt gegeben, wenn die Jugendlichen 18 Jahre alt werden und sie als Bürger mitbestimmen können. Deswegen sollte Schule auch mit 18 enden. Man darf dann unterstellen, dass sie wissen, dass Freiheit die Fähigkeit zur Selbstbestimmung bedeutet. Allerdings sollte diese Fähigkeit zur Selbstbestimmung schon sehr früh eingeübt werden, indem Schülern schon frühzeitig und mit zunehmendem Alter immer mehr Verantwortung übertragen wird. Die Schülermitverantwortung könnte ein guter Weg sein, immer mehr Verantwortung zu übernehmen. In meinen Augen ist entscheidend: Sie sollen verantwortlich handeln lernen und nicht Wahlversprechen einlösen.

Aber geht es in der Politik nicht genau darum, Wahlversprechen einzulösen?

Eben genau diese Haltung erzeugen wir schon in der Schule, indem Schüler lernen, dass Politik primär Interessenpolitik sei. Sie sollten aber lernen, dass das Gemeinwohl Vorrang haben muss gegenüber den Einzelinteressen. Ich versuche anzuregen, über diesen Zusammenhang von Schülermitverwaltung und politischer Kultur neu nachzudenken. Aber in Deutschland wird, weil wir eine geschädigte Nation sind, sofort behauptet, ich wäre gegen Demokratie.

Was verstehen Sie unter „beschädigter Nation“?

Wir sind eine junge Demokratie, verglichen mit der Schweiz oder Frankreich. Nun sind wir besonders geschädigt durch den kaiserlichen Obrigkeitsstaat, die nationalsozialistische Diktatur und die Diktatur in einem Teil Deutschlands bis 1989. Wir sind eine sehr stabile Demokratie und ich finde unser Land hat sich unglaublich gut demokratisch entwickelt. Ich glaube nur, wir könnten auf so demokratisch unrealistische Verfahren in der Schule verzichten. Politische Erziehung ist in meinen Augen Charakterbildung.Zu einem starken Charakter gehört Zivilcourage. Daran mangelt es in unserem Lande und dafür bereitet das bestehende System der Schülermitvantwortung zu wenig vor.

Wie beurteilen Sie die Umsetzung zum verschulten Bachelor/Master System?

Ich muss zum einen sagen, dass die Verschulung sich segensreich auf viele Studenten auswirkt. Zum anderen geht aber ein Kern der deutschen Universität verloren. Ich finde, dass die Verschulung durch Bachelor und Master zu weit geht. Wie ich aus Rückmeldungen von Studenten erfahre, wird zu viel des Guten gemacht, das heißt es wird nur noch verschult. Ich meine, wir sind nun mal verpflichtet, Bachelor und Master einzuführen, aber man kann die Verschulung maßvoll betreiben und sollte daher mittlere Wege wählen.

Herr Bueb, wir danken Ihnen für das Gespräch!

von Dominic Fronert, Luisa Jacobs
   

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