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07.12.2010

Kein Geld mehr für Mediävistik an der Uni Bristol

Zahlreiche Studenten des German Department setzen sich fĂĽr den Erhalt ihrer Dozentin Anne Simon ein

„SAS: Save Anne Simon“ ist der Slogan, mit dem zurzeit jeder konfrontiert wird, der den Gebäudekomplex der Faculty of Arts in Bristol betritt. Auf den im ganzen Institut ausgehängten Plakaten fordern Studenten ihre Kommilitonen auf, sich für den Erhalt von Lehrstellen und besonders der von Dozentin Anne Simon am German Department einzusetzen.

Wie alle englischen Universitäten muss auch die Universität Bristol in den kommenden Jahren mit Kürzungen rechnen. Um 40 Prozent soll die staatliche Förderung bis zum Wintersemester 2014/15 zurückgehen. Die Universität plant bis dahin acht bis zehn Prozent der Lehrstellen abzubauen, obwohl zeitgleich 800.000 Pfund für die Einführung neuer Studentenausweise und 26 Millionen Pfund für die Renovierung des Gebäudes der „Students Union“ ausgegeben werden.

Am German Department treffen die Sparmaßnahmen Anne Simon, die seit 18 Jahren am Institut lehrt. Sie ist die einzige Lehrkraft, die sich mit der deutschen Geschichte, Literatur und Kunst des Mittelalters und der frühen Neuzeit beschäftigt. Ihr Verlust hätte große Einschränkungen des Lehrplans zur Folge und würde die Attraktivität des Instituts für Studienanfänger mindern.

Weitere Auswirkungen hätte ihr Verlust auf den Mittelalter-Master, den das German Department in Kooperation mit dem Centre for Medieval Studies anbietet. Anne Simon war nicht nur an der Entwicklung des Master-Programms maßgeblich beteiligt, sondern hat auch des Centre for Medieval Studies 1994 mitbegründet und es bis 2001 mitgeleitet. Auch eine Doktorandin, die derzeit von Anne Simon betreut wird, stünde nach ihrer Kündigung ohne Doktormutter da.

Umso schwerer nachzuvollziehen ist vor diesem Hintergrund die Entscheidung des Fakultäts-Direktors Charles Martindale, in Zukunft auf diesen Forschungsbereich zu verzichten. Seine Entscheidung fand – entgegen der Ankündigung, Rücktrittskriterien bekannt zu geben und Kündigungen erst nach Absprache auszusprechen – kurzfristig statt und traf das Institut unerwartet. Die Nachricht erreichte Anne Simon am 26. Oktober in Form einer zweizeiligen E-Mail mit dem entsprechenden Brief im Anhang. Vier Tage zuvor hatte sie eine Beschwerde wegen Mobbing und Belästigung von Seiten der Geschäftsleitung eingereicht. „Weder aus dem Betreff noch aus dem zweizeiligen Inhalt der Nachricht ging hervor, dass es sich um meine Kündigung handelte. Lediglich der Brief im Anhang verschaffte Klarheit“, erklärt Anne Simon. Als Grund warum ausgerechnet ihr Fachgebietes gestrichen werden soll, sei das geringe Interesse der Studenten an Mittelalterstudien genannt worden.

Simons Kündigung rief internationale Reaktionen hervor: Ulrike Borchers rief einen E-Mail-Verteiler unter deutschen Mediävisten ins Leben. Sie war vor einigen Jahren als Erasmus-Studentin am German Department und steht seitdem in freundschaftlichem Kontakt mit ihrer ehemaligen Dozentin. „Die Entlassung von Anne Simon – besonders in dieser Form – ist ein Skandal. Die University of Bristol rühmt sich international mit den Erfolgen, die Dr. Simon erzielt hat. Es ist nicht vertretbar, wie respektlos sie im Gegenzug dafür behandelt wird“, beklagt Borchers.

Rund 150 Wissenschaftler aus der ganzen Welt haben einen Protestbrief unterschrieben, darunter auch einige aus Heidelberg. Weitere 253 Unterschriften sammelten Studenten für eine Petition, die Fakultätsleiter Martindale überreicht wurde. Der hat bisher jedoch noch nicht darauf reagiert. Eine Facebook-Gruppe zum Thema hat inzwischen 260 Mitglieder.

Sam Atkins, Deutsch-Student im Abschlussjahr und Mitinitiator der Protestbewegung, hat in seinen vier Studienjahren in Bristol jedes von Anne Simon angebotene Seminar belegt. „Ich bin von ihrer Fähigkeit beeindruckt, mittelalterliche Themen mit Fragen zu verbinden, die das moderne Deutschland betreffen. Wenn es irgendjemandem gelingen kann, Studenten für Mittelalterstudien zu begeistern, dann ist es Dr. Simon.“ Martindales Argument, Studenten zeigen generell weniger Interesse an Mittelalterstudien, als an anderen Epochen, sieht er durch die Proteste seiner Kommilitonen widerlegt.

Trotz der bisher ausbleibenden Reaktion des Fakultätsdirektors will Anne Simon, auch weiterhin alles versuchen, um ihren Arbeitsplatz behalten zu können. „Ich genieße die Arbeit am German Department sehr und habe stets mein Möglichstes für meine Studenten und die Universität getan. Ich habe vor, diesen Weg bis zum Ende zu gehen. Nicht nur, um meine eigene Stelle zu retten, sondern weil ich denke, dass keine Institution das Recht haben sollte, ihre Angestellten so zu behandeln.“


von Marlene Kleiner

   

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