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Interview
19.02.2010
Stille, Kunst und spirituelles Leben Konstantin Wecker im ruprecht-Interview Erschien erstmals am 2. Februar 2006, in der ruprecht-Ausgabe 100 Konstantin Wecker wurde 1947 in München geboren. Sein abenteuerliches Leben, in dem die Musik stets im Mittelpunkt stand, führte den gefeierten, politischen Liedermacher durch Höhen und Tiefen. Neben künstlerischem Erfolg und politischem Engagement standen Kokain und Knast. Heute lebt er mit seiner Familie in München oder in der Toskana. ruprecht: Du sagtest einmal, deine Lebenseinstellung sei es, Spiritualität und politisches Engagement zusammenzubringen. Konstantin Wecker: Eher der Versuch beide Themen zu verbinden. Spiritualität ist irrational und seit die Idee aufkam, dass Irrationalismus zu Faschismus führt, verpönt. Diese Verbannung ist aber ein Fluch – weil Kunst irrational ist. Nach dem Krieg wurde in Deutschland versucht, die Kunst zu rationalisieren. Ich kenne sehr viele Leute, die politisch engagiert sind und sich deutlich zu Religion, Mystik oder Spiritualität bekennen. Ich halte nichts von institutionalisierten Religionen, aber ich halte viel von der Suche nach dem, was in uns verborgen eine Wirklichkeit entdecken könnte, anders als die trügerische Wirklichkeit, der wir als Menschen aufsitzen. Die von außen suggeriert wird? Die wir uns auch selbst suggerieren. In den letzten Jahren wuchs die Lautstärke dieser Suggestion dramatisch an. Eine Lautstärke, die keine Stille mehr zulässt. Lautstärke? Wir werden verfolgt von Tönen. Du gehst irgendwohin und wirst gezwungen, Musik zu hören. Du musst dich nur irgendwo in die Stadt setzen und bewusst dem Lärm zuhören, den wir gar nicht mehr mitkriegen, weil er eben dauernd da ist. Meditativ konzentriert, erschrickst du ob des Lärms, der dich umgibt. Mir fällt es immer in der Toskana auf. Da habe ich seit 30 Jahren ein Haus in der Einöde: Die ersten zwei Tage brauche ich, um mich an die Stille zu gewöhnen. Die Lautstärke fordert dazu auf, sich abzulenken, sich nicht wirklich sich selbst, der Welt, dem Leben zuzuwenden – denn das geht nur in der Stille. In Zusammenhang mit der Zuwendung zur Welt spricht Albert Schweitzer von tätiger Hingabe. Liegt es an dem unbewussten Leben vieler Menschen, dass sie sich nicht politisch engagieren? Ja, sie erleben nie den Moment der Einheit, das hauptsächliche Erleben in der Mystik. Da geht es eigentlich nur um den Weg, der einem das Erleben eines Einheitsgefühls vermitteln soll. Wir alle haben das schon mal erlebt, in der Kindheit oder der Liebe. Also sollten wir dem Kind in uns mehr Raum geben? Die Frage ist, ob wir es zulassen. Dieses Erlebnis trägt uns raus aus Raum und Zeit. In diesen seltenen Augenblicken spüren wir den Urgrund unserer Sehnsucht. Unsere Sehnsucht, sich aus der Zeit hinaus zu katapultieren und einen Moment der Ewigkeit zu gewahren – einen Augenblick, der nicht endlos, sondern außerhalb der Zeit ist. Es ist dieser Augenblick, der erahnen lässt, dass es hinter dem vergänglichen Irdischen eine Ewigkeit gibt. Die hat natürlich – und das ist der Grund für unsere Angst vor ihr - nichts mehr mit unserem Ich zu tun: Unser Ich ist dann verschwunden. Es ist bedeutungslos geworden. Das klingt sehr hoffnungslos. Nicht ganz, denn trotz allem haben wir alle diese Sehnsucht – zumindest unbewusst. Und das ist es vielleicht, was man als Suche nach dem Glück bezeichnen könnte. Nur, die Gesellschaft arbeitet völlig gegensätzlich – sie will uns klar machen, dass unser Glück nur von dem abhängt, was wir haben, was wir konsumieren können. Der postmoderne Mensch definiert sich ausschließlich durch das, was er besitzt. Wenn ihm dies genommen wird, hat er gar nichts mehr. Nicht die Vermenschlichung des Kapitalismus, der lässt sich nämlich nicht vermenschlichen. Stattdessen ein anderes Modell, entwickelt von einer Vielzahl von Menschen, in lebendigen Netzwerken. Die Globalisierung, als ein solches Netzwerk, fördert das Ineinanderwachsen von Kulturen. Globalisierung ist also nichts Negatives. Die neoliberale Globalisierung ist es, die es zu bekämpfen gilt. Wie hängt das mit der Spiritualität zusammen? Wenn politisch engagierte Menschen sich immer wieder Ruhe gönnten, könnten sie dadurch eine Läuterung von ihren Feindbildern erfahren. Wichtig ist, immer wieder dieses mystische Einheitsgefühl zu spüren. Wir hängen alle so zusammen, dass es sinnlos ist, uns gegenseitig die Köpfe einzuschlagen. Findest du dieses Einheitsgefühl in der Musik? Ja, weil da Utopie und Idealismus selbstverständlich sind. Ein mir wichtiges Motto stammt aus meinem Lied „Die Weiße Rose“: „Es geht ums Tun und nicht ums Siegen!“ Das ist ein bisschen geklaut von Rilke: „Was heißt schon siegen, überstehen ist alles!“ Wir sind eine Siegergesellschaft. Wir haben eine große Philosophie des Siegens entwickelt, aber nie eine des Scheiterns. Was für große Vorteile auch das Scheitern haben kann, habe ich am eigenen Leibe erfahren. Es ist eine Tugend, vorbehaltlos hinter seinem Leben zu stehen. Doch sie fehlt in der heutigen Gesellschaft. Der Gedanke der Sünde? Sünde als Absonderung. Wenn Sünde nichts anderes ist, als abgesondert sein von der Wirklichkeit, wie ich sie vorhin beschrieben habe. Vom Urgrund des Seins, in unserer Kultur als Gott bezeichnet. Ich bin sehr vorsichtig beim Reden über Gott, man handelt sich sofort eine Kriegserklärung ein. Eine Kriegserklärung? Es werden Vorurteile im Hirn eingeschaltet. Der Weg zum Urgrund des Seins, wie ihn zum Beispiel die Zen Buddhisten gehen, ein Erleben frei von Vorurteilen und Urteilen. Das ist aber fast nicht möglich für uns, weil wir ja dauernd denken. Und durch dieses dauernde Denken haben wir immer unsere Kästen offen. So können wir eigentlich nie direkt erleben. Erleuchtung bedeutet im Zen nichts anderes als ein direkteres Sehen. Kommt da das Gefühl ins Spiel? Ist die Kunst für dich der Weg zur Erkenntnis? Da gibt es einen wunderbaren Satz von Gottfried Benn: „Sich selbst begegnen im Gedicht“ – jede Form von Kunst war für mich eine Selbstbegegnung. Die Kunst, die ich als solche bezeichne, fordert mich auf, mir zu begegnen. Popkultur hingegen fordert mich auf, dem zu begegnen, der auf der Bühne steht. In wahrer Kunst findet man sich wieder? Man findet sich selbst wieder und nicht unbedingt den Wecker, der ist gar nicht so spannend. So ging es mir auch immer: Goethe hat mir immer etwas über mich gesagt. Bis heute interessiert mich die Biographie nicht. In dem, was er geschrieben hat, begegne ich mir. Da geht etwas verloren, wenn Kultur immer weniger Bestandteil des Lebens ist. Das Fernsehen ist heute ein größerer Bestandteil des Lebens als die Kultur. Fernsehen ist als Kultur hinfällig, weil der ökonomische Druck der Sender zu groß ist. Was hat das für Auswirkungen? Es kann nichts mehr passieren, was dir die Ruhe gibt, dich wirklich mit etwas zu beschäftigen. Als Jugendlicher war ich oft einsam und fühlte mich verlacht. Dann habe ich Hesse gelesen und fühlte mich nicht mehr allein. Der Künstler war mein Freund, der mir gezeigt hat: Ich bin ja doch nicht so allein. Dein Freund war dann aber Hesses Text, nicht so sehr Hesse selbst? Es existiert der Wert der Kunst an sich. Ja. Natürlich hätte ich Hesse gerne kennen gelernt. Carl Orff durfte ich zwei Jahre vor seinem Tod kennen lernen und war dann öfters bei ihm: ein wunderbares Erlebnis. Dass auch Orffs Biographie delikate Details birgt, ist klar. Aber das ist ja der Fehler, dieser Wahn in der Gesellschaft, dieser doppelmoralische Wahn, man müsse wie ein Heiliger leben. Das beste Beispiel dafür sind die Boulevardzeitungen, die auf der ersten Seite einen Promi anklagen, weil er in den Puff geht und auf der dritten Seite Annoncen der Nutten haben und zwischendrin einen Minister, der sein Statement abgibt. Du hast mal ein Lied zum Sampler „Rosebud – Songs about Goethe and Nietzsche“ gemacht. Wie stark hat dich Nietzsche beeinflusst? Ich habe einen wunderbaren Zugang zu Nietzsche über seine Lyrik gefunden. Ich habe zwischen zwölf und 22 Eichendorff geliebt und von Lyrik gelebt. Ich habe mit einem Freund im Café Trakl-Gedichte gelesen und bin in eine Ekstase gekommen. Ich habe mir gesagt, ich muss jetzt als freier Schriftsteller leben, die Schule, die ganze Einengung, das konnte ich alles nicht ertragen. Und da sind wir das erste Mal von zu Hause ausgerissen. Leider bin ich überhaupt kein freier Dichter, ich jage von einem Konzert zum anderen. Wenn man so viel Aktivität gewohnt ist, dann ist es schwer, zur Ruhe zu kommen. Ich werde giftig, wenn ich ein paar Monate nicht auf der Bühne bin. Der Austausch mit dem Publikum und dieser, ich muss das mal so kitschig sagen, Liebesakt, der Energieaustausch, der sich da zwischen mir und meinem Publikum vollzieht, der fehlt mir dann schon. Ist das ein Gefühl der Einheit im Konzertsaal? Ja, und das ist sehr spannend. Mein Publikum rekrutiert sich aus sehr unterschiedlichen Schichten und Altersgruppen. Manche Eltern bringen ihre Kinder mit. Wo wir gerade bei Kindern sind. Was wünschst du Valentin Balthasar und Tamino Gabriel, deinen Söhnen? Dass sie sich als Menschen entwickeln und so lange es geht frei von diesem ungeheuren Leistungsdruck bleiben, Kinder bleiben können. Ich habe unheimlich viel gelernt. Durch die Kinder habe ich gemerkt, dass es noch eine Dimension der Liebe gibt, von der ich keine Ahnung hatte. Der Heidelberger Philosoph Hans-Georg Gadamer sagte: „Erziehen ist sich selbst erziehen.“ Darauf lief es bei mir hinaus. Jede Aktion, die ein Kind macht, ist ja eine Reaktion. Wenn es schlecht drauf ist, hat das irgendwie mit dir zu tun, denn du bist engstes Umfeld und Bezug des Kindes. Wir erziehen ja im schönsten Sinne des Wortes antiautoritär. Antiautoritär hieß aber nicht im Sinne des "laissez faire": Antiautoritäre Erziehung heißt ja, nicht zum Gehorsam erziehen, nicht zu einer völligen Identifikation mit den Eltern, sondern ihnen eine eigene Identität lassen. Das ist wohl richtig und je früher im Leben der Wahn des Konsums beginnt, desto früher ist die Identität geraubt. Die preußische Erziehung hat ja direkt in den Faschismus geführt. Sie war ein Urgrund dafür, dass ein ganzes Volk zu Tätern werden konnte und ist es, für die Gleichgültigkeit, die momentan im Super-Egoismus herrscht. Siehst Du da einen Ausweg? Die Buddhisten bezeichnen es als den größten Denkfehler, zu glauben, man sei getrennt von der Welt. Unsere Gesellschaft läuft genau in diese Richtung. Man isoliert sich von der Welt. Wir sind völlig vereinzelt und das führt zum größten Unglück, denn Glück liegt ausschließlich in dem Gefühl des All-Eins-Seins.
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