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 Interview
23.02.2010

Ewige Jugend aus dem Reagenzglas

Das Altern lässt sich besiegen: Aubrey de Grey verrät wie

Der Biogerontologe Aubrey de Grey erforscht seit Jahren die biologischen Ursachen des Alterns. Für seine Thesen zur Lebensverlängerung wird er als Genie gefeiert, als Spinner beschimpft und spaltet Fachwelt und Öffentlichkeit.

Erschien erstmals am 15. Dezember 2004 in der ruprecht-Ausgabe 93

Aubrey de Grey wurde 1963 in London geboren. Seit 1992 hat er einen Lehrstuhl an der Universität Cambridge für Genetik inne. Heute beschäftigt er sich intensiv mit der Biogerontologie, der Erforschung der biologischen Ursachen des Alterns. Für seine Thesen zur Lebensverlängerung wird er als Genie gefeiert, aber auch als Spinner beschimpft und spaltet so nicht nur die Fachwelt, sondern auch die breite Öffentlichkeit.

Herr de Grey, hat Ihnen Ihre Mutter oft Märchen vorgelesen, die mit “Und sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende“ aufhörten oder warum haben Sie sich entschieden, Biogerontologe zu werden?

Ich habe 1991 meine Frau – eine Biologin – geheiratet. Über die Jahre habe ich durch unsere Gespräche immer mehr über Biologie gelernt. Ich war unzufrieden, dass so wenig geforscht wurde, um das Altern zu besiegen. Bis heute verstehe ich nicht, warum so viele Biologen vor diesem Problem resignieren. Also fing ich an, die Fachpublikationen der Gerontologie zu lesen und hatte schon nach wenigen Monaten einige gute Ideen.

Und was machen Sie als Geriontologe heute und vor allem warum?

Ich werde dafür sorgen, dass Sie alle so lange leben werden wie sie möchten. Und eben nicht nur, bis sie etwa 80 oder 90 Jahre alt sind.

Wie wollen Sie das erreichen?

Einige Lösungen haben wir schon entwickelt und die Medikamente befinden sich bereits in der klinischen Testphase. Altern an sich besteht aus einer Häufung von Fehlern auf zellulärer Ebene. Der Körper funktioniert nicht mehr richtig. Dieser Funktionsverlust entsteht durch viele verschiedene Effekte. Es geht darum, diese immer weiter zu verlangsamen und zu reparieren und so das physiologische Alter des Körpers zu verringern.

Alle Effekte auf einmal?

Nein, ich teile das Phänomen des Alterns in sieben verschiedene Abschnitte ein. Es gibt in jedem dieser Abschnitte umsetzbare Lösungen für die Probleme des Alterns. In den nächsten zehn Jahren wird es möglich sein, bei Mäusen diese „Verschleißerscheinungen“ aufzuhalten. Die Forschung wird auch nicht allzu viel kosten, vielleicht 100 Millionen Dollar pro Jahr, das ist nur ein Bruchteil dessen, was jährlich für biomedizinische Forschung in den USA ausgegeben wird. Mäuse werden in Gefangenschaft etwa drei Jahre alt. Mit unseren Methoden werden sie bis zu fünf Jahre alt werden. Wir konzentrieren uns dabei auf die Forschung mit Tieren im Alter von zwei Jahren, also im mittleren Alter. Anstatt nur noch ein weiteres Jahr zu leben, haben sie noch drei gesunde Mäusejahre vor sich.

Aber es geht immer noch „nur“ um Mäuse...

Sicher, aber viele Menschen werden sich dafür interessieren. Von diesem Punkt aus wird es natürlich noch sehr viel mehr kosten, diese Erkenntnisse auf Menschen zu übertragen. Es sollte aber keine Schwierigkeit sein, dieses Geld aufzutreiben. Die Gesellschaft wird einsehen, dass der Fatalismus, den wir heute im Bezug auf das Altern pflegen, falsch ist. Ich denke, dass dieser Prozess noch einmal zehn Jahre dauern wird, bis die erste Generation von Anti-Aging-Therapeutika verfügbar ist, die auch bei Menschen wirkt.

Sie scheinen sehr von ihrer Forschung überzeugt zu sein.

Es ist ein richtiger Kreuzzug. Ich rette Leben. An jedem Tag, an dem wir die Forschung aufhalten, die das Altern verzögert, sterben 100.000 Menschen. Das sind 30 World Trade Center. Jeden Tag! Es ist also wirklich wichtig, diese Forschung voranzutreiben.

In ihren Vorträgen wirken Sie sehr aufgebracht und kritisieren Kollegen ebenso wie Gegner sehr scharf. Was macht Sie so wütend?

Ich liefere nur gerne eine gute Vorstellung ab. Ich bin überhaupt nicht wütend. Im Großen und Ganzen komme ich sehr gut mit meinen Kollegen aus. Sie wissen ganz genau, dass das, was ich sage, zwar nicht zwingend richtig ist, aber doch zumindest eine vertretbare Meinung ist. Ich glaube, dass sie mich sogar ein wenig dafür bewundern, dass ich den Mut habe, zu sagen, was ich denke. Natürlich akzeptiere ich auch, dass viele meiner Kollegen genau das nicht tun. Sie müssen sich um ihre Fördergelder Sorgen machen, sich dem politischen System fügen und nicht zuletzt auch darauf achten, ihre Reputation als Forscher nicht zu gefährden.

Neben ihrer Forschung und öffentlicher Kritik haben Sie das Projekt „Methusaleh Foundation“ ins Leben gerufen. Worum geht es hierbei?

Es ist eine Wohltätigkeitsorganisation, die vor allem gegründet wurde, um den sogenannten „Methusaleh Mouse Prize“ auszuloben. Die Idee dahinter ist, Forscher zu ermutigen, Erkenntnisse über die Lebensverlängerung zu sammeln und Experimente durchzuführen, die deren Lebenserwartung erhöht. Der Preis ist mit über einer Million Dollar dotiert – einer ganz schönen Menge Geld. Dieses Geld stammt ausschließlich aus Spenden, die wir über unsere Website sammeln.

Werden diese Spender auch die Ersten sein, die von Ihrer Forschung profitieren und somit länger leben?

Wir können nicht kontrollieren, wer als erster von der Therapie profitieren wird. Wenn diese Therapie erstmalig verfügbar sein wird, werden das die Menschen, die das durch ihre Spenden möglich gemacht haben, sicherlich zu schätzen wissen. Aber natürlich wird sich dieser Prozess selbst limitieren, denn die erste Generation dieser Anti-Aging-Therapie wird – wie jede neue Technologie – sehr teuer und risikobehaftet sein und vermutlich nur in Laboren unter strenger Aufsicht stattfinden. Aber es geht schließlich darum, länger zu leben.

Werden sich die ethischen Werte und Normen verändern, wenn es immer mehr alte Menschen gibt?

Momentan leben wir nur für den Moment, weil wir ja sowieso nicht allzu lange hier sein werden. Aber mit dem Wissen, dass wir noch in 100 Jahren am Leben sein werden, werden wir freundlicher zu einander sein und auch viel mehr auf unseren Planeten achten.

Und was wird aus dem „Jugendkult“?

Natürlich wird es immer den Wunsch nach Jugend geben. Der Unterschied wird aber darin liegen, dass wir uns diesen Wunsch nach ewiger Jugend erfüllen können!

Glauben Sie an Gott oder ein anderes höheres Wesen?

Ich persönlich glaube nicht an ein höheres Wesen. Aber natürlich bin ich nicht der Meinung, dass es dumm ist, an Gott zu glauben. In den heiligen Schriften aller Weltreligionen steht, dass Leiden schlimm ist und Altern verursacht nun einmal Leiden. Deshalb glaube ich, dass Gott oder wer oder was auch immer uns mit diesen Schriften sagen will, dass wir unser Bestes tun sollten, um eben dieses Altern aufzuhalten.

Sie wollen zwar das Altern aufhalten, aber ganz besiegen werden sie es vermutlich nicht. Gibt es eigentlich auch ein Leben nach dem Tod?

Das weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass es ein Leben vor dem Tod gibt. Und da ich mit meinem Leben sehr zufrieden bin, würde ich es vorziehen, über das Leben nach dem Tod so lange wie möglich nichts herauszufinden.

Was ist ihr Lieblingsbuch? Ihnen könnte Oscar Wildes „Das Bildnis des Dorian Gray“ gefallen.

Oh nein, das ist eine ziemlich traurige Geschichte. Ich mag schöne Geschichten. Ich mag Heinlein, einen Science-Fiction-Autor, der einige sehr interessante Szenarien entworfen hat, wie es wäre, wenn wir nicht mehr altern würden.

Was ist die Frage, die sie immer beantworten wollen, aber nie gestellt bekamen?

Mir werden immer nur dieselben Fragen gestellt. Das ist manchmal verdammt langweilig. Aber diese Frage wurde mir noch nie gestellt. Ich werde oft zur Überbevölkerung befragt. Viele glauben, dass es ganz schrecklich sein würde, wenn alle immer älter würden. Es wäre nicht genug Platz für alle da, es gäbe nicht genug zu essen und wer soll das alles bezahlen. Viele meiner Kollegen geben auf diese Frage entsetzliche Antworten. Sie erzählen dann davon, den bestehenden Lebensraum besser zu nutzen, ohne einen Hinweis darauf zu geben wie. Ich bevorzuge hier eine viel direktere Antwort: Letztendlich werden wir uns zwischen einer hohen Todesrate und einer niedrigen Geburtenrate entscheiden müssen.

Und wie soll das dann konkret aussehen?

Wir werden feststellen, dass es viele Dinge gibt, die deutlich mehr Spaß machen, als Kinder zu haben. Wenn diese Anti-Aging-Therapien verfügbar sein werden, werden wir vielleicht merken, dass es ganz schrecklich ist, dass es so wenige Kinder gibt. Ein mögliches Szenario wäre, dass wir uns lieber dafür entscheiden, zu altern und die Anti-Aging-Therapien abschaffen. Aber es sollte nicht so sein, dass wir, die wir heute leben, darüber entscheiden, ob die Anti-Aging- Therapie für die Menschheit verfügbar sein sollten. Auch nicht darüber, ob der Einzelne länger leben darf, als es die Natur vorgesehen hat. Jeder sollte darüber selbst entscheiden. Unsere Aufgabe ist es, der Menschheit die Möglichkeit zur Wahl zu geben – so schnell wie es nur geht – und sie nicht zu einem unnötig frühen Tod zu verdammen.

Der ruprecht dankt für dieses Interview.

 

von Dorothea Kaufmann
   

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