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 Feuilleton
05.07.2010

Der wandelnde Widerspruch

Gisbert zu Knyphausen zwischen alter Melancholie und Aufbruch

Auf seiner neuen Platte „Hurra! Hurra! So nicht.“ beschreibt Gisbert zu Knyphausen Neues und Altbekanntes. Immer noch mit der gleichen Ironie, Klarheit und Schonungslosigkeit. Michael Kolain traf ihn nach einem Konzert in Karlsruhe.

Auf seiner neuen Platte „Hurra! Hurra! So nicht.“ beschreibt Gisbert zu Knyphausen Neues und Altbekanntes. Immer noch mit der gleichen Ironie, Klarheit und Schonungslosigkeit. Ein Portrait von Michael Kolain.

Die vergangene Nacht steht Gisbert zu Knyphausen ins Gesicht geschrieben. Mit müdem Blick und leiser Stimme steht er in der Sonne und raucht eine Zigarette. „Hey, hey, alles ist okay. Ich laufe gegen Wände und rühr in meinem Tee“, so der erste Satz seiner Platte.

Heute ist der Tee Kaffee und der Hamburger Songwriter trotz der Strapazen der Tour ziemlich gut gelaunt. Er genieĂźe es total, mit seiner Band unterwegs zu sein. Letztes Jahr geisterten seine Lieder noch durchs Internet und er spielte vor 30 Leuten alleine mit seiner Gitarre. Jetzt ist er ein richtiger Bandmusiker geworden.

Musikalisch hat sich vieles weiterentwickelt, Produzent Tobias Levin hat viel Wert auf Arrangements, Soundteppiche und Instrumentalparts gelegt. Quietschende E-Gitarren, sphärische Keyboard-Elemente und auf „Dreh Dich nicht um“ sogar eine Trompete machen die Klänge umfassender, eindringlicher und prägnanter. Doch alles seicht und angemessen. 

Die Lieder klingen ein bisschen lauter, schreiender, voller und rockiger als zuvor. Die ganz spezielle Eigenart aus akustischen Gitarren-Klängen und sprudelnden Gedanken blieb erhalten und wurde an vielen Stellen verfeinert. Ein bisschen Schade findet Gisbert nur, dass das Album wieder so melancholisch geraten ist.

Es wird ihm offenbar langsam lästig; dieses Gefühl der Melancholie, das seine Musik durchspinnt und dem er sogar ein ganzes Lied widmet. Losgeworden ist er sie noch nicht, seine ständige Begleiterin. In seiner Offenheit und Klarheit schwingt immer ein großer Brocken Verzweiflung mit, wenn auch teils ungewollt. „So langsam bekomme ich Lust auf fröhliche Lieder. Nur ist das ganz schön schwer, die zu schreiben, ohne dass sie doof werden“, sagt er und schaut ins Nichts.

Gisberts Texte, eine „Mischung aus Selbsterlebtem, Phantasie und Ängsten“, beschreiben seine Themen Liebe, Sinnsuche und Weltschmerz aus neuen Perspektiven. Viele Menschen scheinen sich in den Zeilen zwischen abstrakten Meta-Ebenen und Detailaufnahmen wiederzufinden. Gisbert selbst findet das „krass“, seine Texte seien doch so „Ich, ich, ich und bla, bla, bla“. Er wirft in seinen Liedern tausende Fragen auf und beantwortet keine einzige – jedenfalls nicht ohne alles sofort wieder zu dekonstruieren.

Das Sprunghafte, Lebhafte und Widersprüchliche in seinen Liedern hängt mit seiner Schreibgewohnheit zusammen. Er schreibt mal hier, mal da was in Notizbücher und ist mit Neugeschriebenem grundsätzlich unzufrieden. Doch nach und nach „entstehen dann so bruchstückhafte Sachen, die ich dann irgendwann zusammenpuzzle in Lieder“.

Da aber die Melancholie nicht immer „die Fresse hält“, er sich ab und an als „Stück recyceltes Papier“ oder „verwundeter Vogel“ im Hamburger Hafen fühlt und seine „grauen Gedanken“, sein „graues Ich“ emporkommen, und er generell „viel zu viel“ denkt, wird er auch weiterhin sinnieren und relativieren. Er versucht immer, beide Seiten zu sehen. „Deswegen kann ich auch nicht sagen, was jetzt die Wahrheit ist“, sagt er im Gespräch. An absolute Dinge glaubt er sowieso nicht. Außer an den Tod und den „Urinstinkt, sich fortzupflanzen“.

Aus dem „alten Trugschluss“, den er in seinen Liedern beschreibt, kann und will er sich und seinen Zuhörern nicht heraushelfen. Doch gibt er Anhaltspunkte. „Nimm die Erinnerung mit Dir, wenn Du gehst und dreh Dich nicht um“, ruft er seiner Ex-Beziehung hinterher.

Suchende animiert er zum Weitermachen: „Gegen Fernweh hilft nur das Heimweh rufe ich und renne los. Dabei ist es doch das Heimweh, das mich suchen lässt an Orten fern von hier“, und schließlich „wurden wir geboren und wir sterben und danach weht der Wind wie immer“, als Aufforderung, sich vielleicht nicht zu wichtig zu nehmen.

Auf der ersten Platte fing nach einer durchzechten Nacht „das wundervolle Leben und der ganze blöde Scheiß von vorne an“. Mittlerweile hat der 30-jährige Wahl-Hamburger „die immergleiche Losung auf den Lippen: Die Welt ist grässlich und wunderschön“. Er sagt damit eigentlich das Gleiche, doch auf eine völlig neue Art.

Gisbert zu Knyphausen ist ehrlich und sympathisch, introvertiert und aufgeschlossen – man will ihn drĂĽcken und zugleich kräftig durchschĂĽtteln. Hoffentlich bleibt das so. Man wĂĽnscht ihm ja ein schönes und fröhliches Leben,  einen Funken Melancholie und Leid sollte er doch behalten, bitte, damit er weiter so eindringliche Lieder schreibt.

Es sei denn, es sollte ihm wider Erwarten doch gelingen, schöne und fröhliche Lied zu schreiben – ohne doofen Text.

 

von Michael Kolain
   

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