09.06.2010
Rechtsbeistand für den Sudan
Das Max-Planck Institut für Völkerrecht unterstützt den krisengebeutelten Staat
GrafiK: Domenico-de-ga / Wikimedia Commons
In Darfur gibt es seit 2003 eine politische Systemkrise. Die Zentralregierung schickt Reitermilizen gegen das eigene Volk aus. Heidelberger Juristen helfen bei den Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien mit seiner Rechtsexpertise.
Das Max-Planck Institut (MPI) für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht unterstützt seit Jahren den Friedens- und Verfassungsprozess im Sudan. Unter der Leitung der Professoren Rüdiger Wolfrum (MPI) und Al-Tayeb Haj Ateya (Ex-Direktor des Instituts für Friedensforschung der Universität Khartum im Sudan) stellt das MPI seine Rechtsexpertise bei den Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien zur Verfügung. Zudem unterstützt es die Verhandlungspartner bei der Ausarbeitung und Implementierung der neuen Nationalverfassung und einer südsudanesischen Verfassung.
Der bekannteste regionale Brennpunkt im Sudan ist die Provinz Darfur. Dort eskalierte 2003 der Konflikt zwischen Rebellen, regierungsgestützten Milizen und dem sudanesischen Militär. Doch die Ursachen für den Konflikt reichen weit in die Geschichte der krisengebeutelten Region zurück. In ihrer differenzierten Vielfalt sind die genauen Hintergründe für Außenstehende indes nur unzulänglich zu verstehen.
Einerseits werden vielfältige Landnutzungskonflikte zwischen Nomaden und Ackerbauern genannt, die sich in Folge langer Dürreperioden und zunehmender Ausweitung der Sahelzone seit Mitte der 1980er Jahre massiv verschärft haben. Andererseits trägt die große ethnische und sprachliche Vielfalt zu den andauernden Spannungen im Sudan bei.
Aufgrund der geographischen Lage war die Region früher Zentrum für Sklavenhandel – dieser Zusammenprall von Kulturen, Sprachen, Ethnien und somit Interessen barg schon zu Zeiten des Sultanats Sudan großes Konfliktpotenzial in der Bevölkerung. Bis zur Unabhängigkeit des Sudan 1956 und ebenso danach wurden kaum Anstrengungen unternommen, die Region Darfur wirtschaftlich zu entwickeln.
Ein drastischer Bevölkerungsanstieg innerhalb der letzten Jahre auf heute rund 6 Millionen Einwohner (1973: 1,3 Millionen) sowie zunehmende Ressourcenverknappung tragen zusätzlich verschärfend zur Lage im Westen des Sudans bei. Heute stehen sich schwarzafrikanische Rebellengruppen und die arabisch-dominierte sudanesische Regierung gegenüber.
Die Regierung in Khartum geht im Kampf gegen die Rebellen massiv militärisch vor. Sie unterstützt lokale arabische Milizen, die sogenannten Dschandschawid („Berittene Teufel“). Die Vereinten Nationen bezeichnen diese Reitermilizen als Hauptaggressor in der Region und machen sie für schwere Menschenrechtsverletzungen, wie Massaker an der Zivilbevölkerung, Zerstörung der Dörfer und zahlreiche Vergewaltigungen, verantwortlich. Die Region befindet sich seit 2003 im dauerhaften Kriegszustand, der bislang rund 200?000 Tote und 2,6 Millionen Vertriebene forderte.
In verschiedenen Symposien ermöglichte das von Wolfrum geleitete Projektteam den verschiedenen Gruppen der marginalisierten Zivilgesellschaft Darfurs erstmals, ihre Vorstellungen und Ansichten über eine innere Ordnung Darfurs in den allgemeinen Diskurs über eine Lösung des Konflikts einzubringen.
Das MPI veranstaltete zudem eine Reihe von Ausbildungsseminaren für sudanesische Juristen im Verfassungsrecht. Im Vorfeld der Wahlen im April diesen Jahres bot das Team um Wolfrum sowohl Workshops zum sudanesischen Wahlrecht als auch Gesetzgebungsberatung an.
Ein Meilenstein des Projekts ist das aktuelle „Heidelberg Darfur Dialogue Outcome Document“. Es besteht aus dem Entwurf eines Friedensvertrags und einem Verfassungsvorschlag für die Staaten Darfurs innerhalb des Sudan. Dazu gehören auch Kriterien und Richtlinien einer zukünftigen Machtaufteilung der Konfliktgruppen, Menschenrechtsgarantien sowie Vorschriften, die eine Beteiligung Darfurs auf den föderalen Regierungsebenen im Sudan garantieren.
Beachtet man den Hintergrund des Konflikts, so sind die gerechte Wohlstands-, Landes- und Ressourcenverteilung sowie eine gleichmäßige wirtschaftliche Entwicklung aller Regionen des Landes elementare Aspekte des Dokuments. Eine Einbeziehung Darfurs auf der Ebene der Zentralregierung in Khartum soll der bisherigen Marginalisierung Darfurs entgegenwirken. Den Mitarbeitern am Sudan-Projekt ist es zudem wichtig, fundamentale Freiheiten und Menschenrechte wirksam durchzusetzen und dauerhaft zu sichern.
Mit der Einbindung internationaler Experten wurde zum ersten Mal berücksichtigt, dass man den Darfur-Konflikt nur im Rahmen eines gesamtsudanesischen Friedensprozesses lösen kann. Von vielfältigen Landnutzungskonflikten überlagert, steht hinter der Autonomieforderung Darfurs ein Zentrum-Peripherie-Konflikt zwischen den beiden Hauptkonfliktparteien, der sudanesischen Zentralregierung im Norden und dem politisch und wirtschaftlich marginalisierten Westen des Landes.
Darfur ist kein einfacher Provinzkonflikt, sondern der Ausdruck einer politischen Systemkrise des Sudans als Staat. Bisherige Friedensbemühungen hatten stets nur kurzen Erfolg.
Nach Einschätzung des Leiters der Afrika-Projekte am MPI, Matthias Reuss, stehen die Chancen gut, dass die Perspektiven und Ergebnisse des Dialogprojekts auch in die aktuellen Friedensverhandlungen in Doha einfließen, und dort einen nachhaltigen Beitrag zur Friedenssicherung leisten können.
von Leona Lynen