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 Interview
05.03.2010

Unis für die Eliten?

Das Pro/Contra-Doppelinterview

Michael Hartmann ist Professor für Soziologie mit Schwerpunkt Eliteforschung an der TU Darmstadt. Seine Studie „Der Mythos von den Leistungseliten“ belegt, dass es keine Chancengleichheit bei der Besetzung von Elitepositionen gibt, sondern die soziale Herkunft eine zentrale Rolle spielt.

Erstmals erschienen am 13. Juni 2006 in der ruprecht-Ausgabe 102

Das Gespräch führte Reinhard Lask

ruprecht: Herr Hartmann, Sie meinen wir brauchen keine Elite-Universitäten in Deutschland? Was brauchen wir stattdessen?

Michael Hartmann: Ich glaube, dass man sich in Deutschland auf die traditionelle Stärke besinnen sollte: das sehr hohe Niveau in der Breite. Dieses hohe Niveau in der Breite sollten wir ausbauen. Das wäre ein vernünftiges Ziel, aber dafür bräuchte man mehr Geld. Indem sich die gesamte Diskussion dank der Eliteinitiative auf die Frage „Wer gehört nun dazu und wer nicht“ konzentriert, täuscht sie über das reale Problem hinweg, nämlich, dass 80 Prozent der Universitäten bald schlechter als heute dastehen werden.

Könnten Studiengebühren die finanzielle Lage aller Universitäten verbessern?

Alle Länder, die Studiengebühren eingeführt haben, Österreich, Australien und auch die staatlichen US-Universitäten, zeigen, dass das nach dem Prinzip „rechte Tasche – linke Tasche“ funktioniert. Mit einer zeitlichen Verzögerung von einigen Jahren werden mit der Begründung leerer Kassen die öffentlichen Gelder für die Hochschulen gekürzt und wird so das zusätzliche Geld wieder herausgezogen.

Sind Kaderschmieden nach ausländischem Vorbild nicht auch ein Wirtschaftsmotor?

Nein. Alle großen Industrieländer, wie USA, Frankreich, Großbritannien und Japan haben zwar solche Kaderschmieden, trotzdem aber wirtschaftliche Probleme gehabt. Japan stand wirtschaftlich in den 1980ern brillant da, in den 1990er Jahren katastrophal, jetzt geht es wieder aufwärts. Großbritannien war in den 80ern mittelmäßig, in den 90ern gut, jetzt geht es wieder abwärts. In Frankreich verlief die wirtschaftliche Entwicklung praktisch parallel zu Deutschland. Wenn man die wirtschaftliche Leistung der Gesellschaften als Maßstab nimmt, gibt es keinen Zusammenhang zwischen Elite-Unis und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit. 

Wie sieht es mit der wissenschaftlichen Leistung aus?

Die der japanischen Elite-Unis ist nicht überragend und die französischen Kaderschmieden spielen für die Forschung überhaupt keine Rolle. Großbritannien hat mit Oxford und Cambridge eine lange Forschungstradition, verliert aber deutlich an Boden. Die Elite-Unis in den USA funktionieren nur, weil sie mit enormen Summen Spitzenwissenschaftler einkaufen. Wenn die auf den heimischen „Brainpool“ angewiesen wären, ginge das nicht. Der heimische Pool ist einfach zu schlecht dafür. Außerdem wählen die meisten Studierenden Fächer, mit denen sie ihre Studiengebühren von bis zu 50.000 Dollar am ehesten wieder „rausholen“ – also „Medicine“, „Economics“ und „Law“.

Einige Rektoren setzen auf mehr Auslese und sagen, dass Massenuniversitäten in die Beliebigkeit führt. Stimmt das?

Nein. In den 1970er Jahren wurden die Universitäten ausgebaut, um einem größeren Teil eines Jahrgangs ein Studium zu ermöglichen. Darin sind wir international gesehen immer noch relativ weit hinten. Ihr Rektor Hommelhoff hatte in einem Interview mit der New York Times mal behauptet, dass Heidelberg Weltspitze war, als es noch 10.000 Studierende hatte. Viele Elitekandidaten behaupten, dass das Konzept Massenuniversität gescheitert sei und haben die Vorstellung „klein und fein“. Wenn man das in Deutschland flächendeckend durchziehen würde, wären wir wohl endgültig Schlusslicht in der Bildungsbeteiligung im Hochschulbereich. Die wenigen, die es schaffen, werden sich als Elite-Unis, mit Konzentration auf Forschung, institutionalisieren und versuchen ihre Studierendenzahlen zu senken, um so die Forschungs-Bedingungen zu verbessern.

Das heißt der Zugang zum Studium dort wird also maßgeblich erschwert werden.

Mit Sicherheit. Die Studierenden, die man nicht mehr haben will, werden dorthin abgeschoben, wo große Massen schnell bis zum Bachelor-Abschluss durchgeschleust werden. Die Hochschullandschaft wird sich in etwa 25 Forschungsuniversitäten und 80 Ausbildungsuniversitäten aufteilen. Das mag für die, die zu den 25 gehören attraktiv sein, nur machen die sich keine Gedanken darüber, was mit den anderen passiert. Für die „Ausbildungsuniversitäten“ bedeutet das schlicht kurze Studiengänge unter schlechten Bedingungen.

Wie wird sich das auf die Gesamtqualität von Forschung und Lehre auswirken?

Qualität und Niveau des deutschen Hochschulsystems insgesamt werden sinken. Eliteuniversitäten werden durch mehr Geld bessere Rahmenbedingungen und Forschung als heute haben und so die besten Professoren anziehen. Für die zehn besten Unis wird es also spürbar besser, für weitere zehn bis 15 vielleicht etwas besser werden, für den Rest aber erheblich schlechter werden. Dass diese Maßnahmen den Wissenschaftsstandort voranbringen, ist eine Illusion.

Was könnte die Universitäten stärken? Sind alle derzeitigen Konzepte falsch?

Die Zielsetzung, die Forschung zu stärken ist nicht schlecht. Es ist aber problematisch, dass im Rahmen der Exzellenzinitiative nicht über die Lehre gesprochen wird, was für die Studierenden ja weitaus wichtiger wäre. Nur kann man die nicht verbessern, wenn man nicht bereit ist, deutlich mehr Geld in den Bildungssektor zu investieren. Bislang gibt es unter verschleiernden Namen, wie etwa das „Hochschuloptimierungskonzept“ in Niedersachsen, nur Kürzungen.

Ist die Einführung vom Bachelor/Master-Studiengängen ein Fehler?

Vom derzeitigen Modell halte ich nicht viel, aber es hätte auch nützlich sein können. Es wäre sinnvoll gewesen, wenn die Ausbildung für andere Berufsfelder, etwa für Kindergärtnerinnen, Krankenpfleger oder medizinisch-technische Assistentinnen in die Hochschulen integriert worden wäre. Diese Leute auf Bachelor-Niveau auszubilden, wäre ein Gewinn gewesen. Wir machen aber das Gegenteil.

Welche Auswirkungen haben ihrer Meinung nach die Zulassungsbeschränkung zu den neuen Master-Studiengängen?

Bisher waren unsere Diplome weltweit gesehen mit dem Master vergleichbar. Wenn man jetzt durchschnittlich nur noch die Hälfte, in Baden-Württemberg wohl 30 Prozent, der Bachelor-Absolventen zulassen will, dann werden wir im internationalen Vergleich deutlich unter dem Durchschnitt der Masterstudierenden pro Jahrgang liegen. Dafür werden wir ein paar mehr Bachelorabschlüsse haben. In der Gesamtsumme wird das im internationalen Vergleich aber weit weniger sein.

Können Sie da ein Beispiel geben?

In Berlin sollen jetzt 20 bis 30 Prozent der Studienplätze gestrichen werden, da sonst die Betreuungsverhältnisse für die Akkreditierung der neuen Studiengänge nicht mehr ausreichen. Mittelfristig will die TU Berlin statt 4000 nur noch 3000 Erstsemester zulassen. Man glaubt, dass man mit den gleichen oder weniger finanziellen Mitteln wie heute, die gesetzten Ziele erreichen kann. Das geht einfach nicht.

Wäre es nicht für den einzelnen Studenten nicht besser, wenn sich durch die Verringerung der Studierendenzahlen die Lehrbedingungen an seiner Uni verbessern würden?

Ja, für den, der dann noch reinkommt. Bei mir in den Seminaren wird manchmal ähnlich argumentiert. Die Darmstädter Soziologie hat als eines von wenigen Fächern an der TU keine Zugangsbeschränkung. Die Politikwissenschaft dagegen hat eine drastische Zulassungsbeschränkung eingeführt und damit die Erstsemesterzahlen auf ein Drittel reduziert. Wenn ich in den 100 Teilnehmern in meinem Proseminar sage, dass zwei Drittel raus müssen, freut das die 33, die bleiben dürfen. Nur was sagen die 67, die gehen müssen? So muss man das sehen.

Wohin entwickelt sich die Hochschullandschaft in den nächsten zehn Jahren?

Es spricht einiges dafür, dass wir in zehn bis 15 Jahren folgende Hochschullandschaft haben: Es gibt zehn öffentlich zertifizierte Eliteuniversitäten, die deutlich mehr Geld haben als die anderen und dank ihres Images die besten Professoren und Studenten anziehen. Dann wird es ein Umfeld von etwa 15 forschungsstarken Universitäten geben und den Rest nur noch als bessere Ausbildungshochschulen. Die Personalchefs werden dann darauf achten, wo jemand studiert hat. Für bestimmte Positionen wird der Studienort dann entscheidend sein. Das spielt heute noch keine Rolle. Wer nicht in den Elite-Unis aufgenommen wird, wer abgelehnt wird, der braucht sich für bestimmte Positionen gar nicht mehr anstrengen, weil er die sowieso kaum noch erreichen kann. Das ist eine sehr frühzeitige Einengung dessen, was man als Potenzial in einer Gesellschaft hat.

Was wäre ihrer Meinung nach der Weg um das Potenzial der Gesellschaft auszuschöpfen?

Es wäre notwendig den Hochschulsektor sinnvoll strukturiert in der Breite zu fördern. Ich bin gegen die Konzentration auf Elite-Unis, sondern für die Stärkung des Potenzial auf allen Ebenen, was ja trotz der Unterfinanzierung bisher immer noch funktioniert hat. Mein Lieblingsbeispiel dafür ist das MP3-Format. Das wurde maßgeblich von einem Professor der TU Ilmenau entwickelt. Das zeigt, wie an Hochschulen, die bei der anstehenden Neustrukturierung zu den eindeutigen Verlierern zählen werden, exzellente Forschung gemacht werden kann, wenn man den Leuten die Möglichkeit dazu geben kann. So etwas wird in zehn, zwanzig Jahren fast nicht mehr möglich sein. Da verschenkt man schlicht und einfach Potenzial, das heute noch da ist.


Der Heidelberger Prorektor Jochen Tröger ist anderer Meinung.

von Reinhard Lask
   

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