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 Feuilleton
07.09.2010

Gott auf der Anklagebank

Graphic-Novel „Gott höchstselbst“ von Marc-Antoine Mathieu

Was würden wir tun, wenn Gott auf die Erde herabsteigt? Wir würden ihm erst mal nicht glauben, dass er Gott sei. Falls doch, würden wir ihn mit Fragen löchern und ihm früher oder später ziemlich übel mitspielen.

Was würden wir tun, wenn Gott auf die Erde herabsteigt? Wir würden ihm erst mal nicht glauben, dass er Gott sei. Falls doch, würden wir ihn mit Fragen löchern und ihm früher oder später ziemlich übel mitspielen.

Der französische Comickünstler Marc-Antoine Mathieu hat mit seiner aktuellen Graphic-Novel dieses Szenario durchgespielt. In „Gott höchstselbst“ geht es nur vordergründig darum, ob es einen Gott gibt, sondern wie die Menschheit mit ihrem Allmächtigen umgehen würde.

Gott, der Medienhype

Der Allmächtige erscheint auf den ersten Blick überhaupt nicht so omnipotent: Er kam in Gestalt eines höflichen alten Herrn auf die Erde, wirkt dabei zurückhaltend und überaus geistreich, aber auch klein und hilflos angesichts der Geschehnisse. Kaum hat die Welt ihre Zweifel an seiner Wahrhaftigkeit überwunden, avanciert Gott zum Medienhype.

Er wird von Forschungseinrichtung zu Forschungseinrichtung gereicht und untersucht. Wenn er mal frei hat, wird er im „Gogomobil“ durch die Stadt gekarrt, um den jubelnden Menschenmengen zuzuwinken. Doch die Stimmung schlägt bald um: Die Menschen machen Gott zum Sündenbock für jedes persönliche und globale Unglück, fordern Gerechtigkeit und Entschädigung, sodass sich Gott letzten Endes vor Gericht verantworten muss.

Mit viel Feinsinn, Ironie und dem rechten Pinselstrich (die flächigen schwarz-weiß-Zeichnungen spielen wunderbar mit Licht und Schatten) spinnt Mathieu sein feinmaschiges Netz der Gesellschaftskritik. Wenn Gott via Kopfhörer von seinen Anwälten beraten wird, oder ihm der Richter zurechtweist, dass er keine Spielchen spielen solle, spürt man Mathieus wunderschönen zynischen Umgang mit einer menschlichen Urangst: dem Kontrollverlust.

Nicht mehr Herr der Lage sein zu können wollen die Menschen in „Gott höchstselbst“ nicht ertragen. So diskutieren sich im Gerichtsprozess gegen Gott Verteidiger und Kläger hitzig über Gottesbeweise, Schöpfer-Dasein und Kausalitäten. Doch sobald der Allvater etwas dazu sagt, verhallt es im luftleeren Raum. „Und wenn ich nur existierte, weil die Menschheit mich existieren ließ?“ - „Dann haben Sie nicht immer existiert?“ Gott zitiert Lessing und Sartre, doch Mensch hört nur das, was Mensch hören will.

Nichtssagend-lächelnde Fernsehjournalisten

Derweil läuft die Marketing-Maschine weiter: Biographien, Theaterstücke, Freizeitparks – alle versuchen Profit aus Gottes Gegenwart zu schlagen. Ganz vorne mit dabei sind immer die Medien, die Mathieu in Form von zwei gespenstisch nichtssagend-lächelnden Fernsehjournalisten auftreten lässt. „Den Anwälten bleibt nicht viel Spielraum. Wenn sie auf 'nicht schuldig' plädieren, sind sie gezwungen, die Rolle Gottes so weit wie möglich herunterzuspielen.“ - „Dagegen wird die Anklage darauf abzielen, die Existenz Gottes und somit eine möglichst große Verantwortlichkeit Gottes nachzuweisen.“ - „Warten wir's ab.“

Marc-Antoine Mathieu lässt seine Geschichte in Interview-Form von den Beteiligten erzählen. Spröde Pressesprecherin, selbstverliebte Psychiater, philanthrope Soziologen, die besagten Fernsehjournalisten, sie alle kommen zu Wort, und aus ihrem selbstgerechten Munde wirkt die Geschichte umso beklemmender. Nämlich irgendwie gar nicht so abwegig.


Marc-Antoine Mathieu: „Gott höchstselbst“. Reprodukt, Juni 2010, 128 Seiten, 20,- Euro

von Lisa Grüterich
   

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