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Heidelberg
10.12.2011
Premiumviertel Bahnstadt In Heidelberg entsteht ein neuer Stadtteil – Fertigstellung nicht vor 2020 Das größte zusammenhängende Stadtentwicklungsprogramm Deutschlands, neben der Hamburger Hafencity, entsteht seit zwei Jahren in Heidelberg. Im nächsten Sommer werden die ersten Gebäude in der Bahnstadt eingeweiht. Der ruprecht hat sich einmal auf der Baustelle umgesehen. Es herrscht eine verdächtige Stille an diesem Novembernachmittag. Nebelschwaden durchziehen die Landschaft. Es ist unmöglich, weiter als fünf Meter in die Ferne zu schauen. Vereinzelt machen Krähen durch lautes Geschrei auf sich aufmerksam. Plötzlich donnert ein mit Holzbrettern beladener LKW aus dem Dickicht des Nebels. Er hält an einer fußballfeldgroßen Baugrube. In orangefarbene Anoraks verpackte Männer befestigen die Bretter an einem scheinbar aus dem Nichts ragenden Gurt. Sie werden von einem nun erkennbaren Kran in die Grube gehoben. Dort nehmen vier Bauarbeiter die Holzstäbe in Empfang. Es gibt leichte Irritationen. Das Holz hängt schräg in der Luft und erschlägt fast einen der Bauarbeiter. Heftig gestikulieren sie miteinander, schreien einander an, doch noch immer ist das Problem nicht gelöst. Nach einigen Momenten der Tatenlosigkeit schaffen sie es, die Bretter abzumontieren und entlassen den Gurt für die nächste Ladung in die Freiheit. Hier entsteht sie also, Heidelbergs Zukunft. Eingerahmt von den Stadtteilen Bergheim, Weststadt und Pfaffengrund klafft seit mehr als eineinhalb Jahrzehnten eine große Lücke im Stadtbild. 1997 wurde der Güter- und Rangierbahnhof an gleicher Stelle stillgelegt. Auf einmal hatte Heidelberg eine Fläche von 120 Hektar frei zur Verfügung. Schon zu Beginn war klar, dass ein großer Teil des Gebiets dem knappen Wohnraum der Stadt zugute kommen soll. Doch was darüber hinaus mit der Fläche geschehen sollte, war lange Zeit strittig. Nur beim Namen des neuen Areals war man sich schnell einig: Die „Bahnstadt“ ist Heidelbergs 15. Stadtteil. So erfolgte 2009 der Spatenstich für das erste Bauprojekt – bei Weitem nicht der Letzte. Peter Dohmeier ist in seinem Element. Er steht vor einer Luftaufnahme der Bahnstadt. Mit großer Begeisterung zeichnet er mit den Fingern imaginäre Straßen und Brücken quer durch Heidelberg: „Bis zum Bismarckplatz 1,7 Kilometer. Bergheim ist gleich um die Ecke. Das Neuenheimer Feld ist auch nicht weit. Wenn man es sich malen müsste, würde man es sich wahrscheinlich so malen.“ Peter Dohmeier ist einer der drei Geschäftsführer der Entwicklungsgesellschaft Heidelberg (EGH), die verantwortlich für die planerische Umsetzung der Bahnstadt ist. „Die Bahnstadt ist eine europäische Stadt“, betont er immer wieder, „die auf einen Dreiklang von Wohnen, Forschung und Gewerbe setzt.“ Stolz berichtet Dohmeier von dem kürzlich erfolgten Richtfest für den Gebäudekomplex „Skylabs“, der ein Teil des geplanten Forschungs- und Wissenschaftscampus beinhaltet. Bei Sekt und Orangensaft priesen Heidelbergs Oberbürgermeister Eckhard Würzner und Uni-Rektor Bernhard Eitel die Bahnstadt als „Wissenschaftsstandort“ (Würzner) und die „Skylabs“ als „ersten sichtbaren Kristallisationspunkt der neuen Bahnstadt“ (Eitel). Auch an grauen Tagen wie diesem sind die farblosen Betontürme der „Skylabs“ nicht zu übersehen. Bereits Mitte des nächsten Jahres sollen hier die ersten Büroräume bezogen werden. Welche Unternehmen und Forschungseinrichtungen dann in das neunstöckige Gebäude einziehen, steht noch nicht fest. Klar ist nur, dass sich hauptsächlich Naturwissenschaften in der Bahnstadt ansiedeln werden. Etwa fünfhundert Meter in den Stadtteil hinein türmt sich ein großer brauner Kieshaufen. Laut Übersichtsplan soll an dieser Stelle ein neues Studentenwohnheim entstehen. Die Ein- bis Drei-Zimmerwohnungen werden vermutlich 2013 die ersten Studenten aufnehmen können. Auf die Frage, ob es Zimmer für weniger als 300 Euro Monatsmiete geben wird, was ungefähr dem Preis der neuesten Wohnheime im Neuenheimer Feld entspricht, setzt Dohmeier ein breites Grinsen auf. Er wolle es lieber den Investoren überlassen, den Preis bekannt zu geben. Ein paar Meter weiter werden die zukünftigen Bewohner der Bahnstadt über solche Zahlen wohl nur lächeln können. An der mehr als ein Kilometer langen Promenade in Richtung des Pfaffengrunder Feldes entstehen im ersten Bauabschnitt gut 600 Wohneinheiten. Auf großen Schildern prangern Sprüche wie „vielseitiges Wohlfühlen“ oder „Wohnen in bester Lage“. Daneben sind futuristische Architektenentwürfe abgebildet, die im kompletten Gegensatz zu der bislang tristen Baugrube stehen. Jeweils fünfzig Prozent der Wohnflächen werden vermietet und verkauft. Das Wohnen in der Bahnstadt wird kein billiges Vergnügen sein. Eine Wohnung kostet ungefähr 3000 bis 4000 Euro – pro Quadratmeter. Wer in der Bahnstadt zur Miete wohnen will, muss mit einem Quadratmeterpreis von rund elf Euro rechnen. „Das Ziel der EGH ist die Schaffung eines Premium-Stadtteils, in dem es vor allem gehobenen Wohnraum geben wird“, sagt der Heidelberger Architekt Uwe Weishuhn. Er ist Mitglied der Heidelberger Wahlplattform Generation HD, die das Projekt Bahnstadt von Beginn an kritisch begleitet. Weishuhn ist prinzipiell für die Errichtung des neuen Stadtteils, aber er bemängelt die Umsetzung: „Die ursprüngliche Idee der Bahnstadt war es, preiswerte Wohnungen zu bauen. Mit der Übernahme der EGH änderte sich das.“ Seiner Ansicht nach wäre die Bahnstadt billiger, hätte die Stadt sie entwickelt. So entsteht eine wahre Goldgrube für Investoren, denen eine Rendite von über 50 Prozent in Aussicht steht. Für Weishuhn ein glatter Betrug. Peter Dohmeier wiegelt den Vorwurf, dass die Bahnstadt ein „nobler Stadtteil“ werde, ab: „Was ist schon nobel? Es wird vom Gesamtkonzept ein attraktiver und wertiger Stadtteil, der seinen Preis wert ist.“ Auch das mögliche Problem, dass sich soziale Monostrukturen herausbilden können, stellt sich für ihn nicht. Er verweist auf das Wohnraumförderprojekt, welches 20 Prozent der Mietwohnungen mit bis zu drei Euro pro Quadratmeter fördert. „Mit wirklich überzeugenden Mitteln begegnen wir der Gefahr, damit die Gefahr nicht Realität wird.“ Bevor überhaupt die ersten Bagger anrollten, stand die Halle02 schon eine ganze Weile. Seit fast zehn Jahren beherbergt sie Kultur- und Musikveranstaltungen. Doch befindet sie sich direkt neben dem Areal der Bahnstadt. Lange wurde über ein Aus der Halle02 spekuliert. Im letzten Jahr konnte man sich aber mit der Stadt auf ein Weiterbestehen einigen. Allerdings wird sie sich wohl einer „Evolution“ unterziehen müssen, wie es Dohmeier formuliert. Laute Konzerte und Partys in direkter Nachbarschaft mit modernen Büro- und Wohnräumen wird es in Zukunft wohl nicht mehr geben. Was aber genau mit der Halle geschehen wird, steht noch nicht fest. Wie so manches in der Bahnstadt. Nach einigen vergeblichen Versuchen schafft es die Sonne endlich, den Nebel zu verdrängen. Im hellen Tageslicht eröffnet sich ein weiter Blick auf die gesamte Großbaustelle. Viel ist jedoch noch nicht zu sehen. An manchen geplanten Bauflächen des ersten Abschnittes verrichten nur einige Regenwürmer ihr Tagwerk. Zwar werden im nächsten Jahr die ersten Bewohner die Bahnstadt mit Leben füllen, aber als unmittelbarer Nachbar bleiben ihnen die fünfstöckigen Wohncontainer für die Bauarbeiter noch einige Zeit erhalten. Ob die zukünftigen Einwohner „das bisschen Dreck und Lärm“, wie es Dohmeier bezeichnet, gelassen hinnehmen werden, bleibt abzuwarten. Es wird sowieso ein Dauerzustand sein. |