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 Interview
18.01.2011

„Eine zweite Schicht über der Welt“

Sascha Lobo im ruprecht-Interview

Foto: Wikipedia, Matthias Bauer (CC BY-SA 2.0)

Sascha Lobo ist Autor, Blogger, Marketingberater und gefragter Experte, wenn es um die Neuen Medien und speziell das Internet geht. Wir trafen den prominentesten deutschen NetzbĂĽrger bei der Lesung seines neuen Romans im DAI.

ruprecht: Letztens ergab eine Studie, dass Jugendliche immer weniger telefonieren und immer mehr Mailen oder SMS schreiben.

Lobo: Zum GlĂĽck.

Du telefonierst auch nicht gern?

Telefonieren ist nicht schlimm, aber hat den Nachteil, dass man nach ein paar Minuten nicht mehr weiĂź, was man genau besprochen hat. Bei einer Mail kann ich das immer nachschauen.

Du bist ohne E-Mail und SMS aufgewachsen und hast den Umgang damit „erlernt“. Heute wachsen Kinder und Jugendliche damit auf. Ist das ein Unterschied?

Nein. Diese Unterscheidung zwischen Leuten, die mit dem Internet aufgewachsen sind oder es später kennenlernen tut so, als könne man kein „Eingeborener“ werden. Das Ganze hat wenig mit dem Alter, sondern mit der Art und Weise zu tun, wie man den neuen Medien gegenübertritt. Man muss keine 19 Jahre alt sein, um so mit dem Netz umzugehen, wie es 19-Jährige heute tun.

Diese Medien haben Schattenseite: Im Internet steht viel Unsinn, den manche einfach so glauben. Auch Cybermobbing ist zunehmend ein Problem. Du forderst ein Schulfach „Online-Erziehung“.

Um in einer Gesellschaft zurechtzukommen benötigte man schon immer ein bestimmtes Handwerkszeug. Nun entsteht die Gesellschaft eben digital mit allen Vor- und Nachteilen. Alles, was es in der „Kohlenstoffwelt“ gibt, existiert auch digital. Doch wie sollen die jungen Menschen lernen damit umzugehen? Ihre Eltern können es ihnen oft nicht beibringen, weil sie damit nicht aufgewachsen sind und nie erfahren haben, wie man mit anonymen Beleidigungen umgeht.

Wie sollte dieses Fach aussehen?

Das hängt stark von den Schulen ab, die dieses Fach anbieten müssen. Allerdings habe ich schon gehört, dass es die Leute dafür an den Schulen nicht gäbe, man die erst ausbilden müsse und das alles sehr teuer sei. Doch irgendwann muss man damit anfangen. Ich glaube, dass es zu so einem Unterricht keine Alternative gibt.

Als Du jung warst, gab es gerade die ersten Spielekonsolen und Heimcomputer. War das Dein Einstieg in die digitale Welt?

Im Gymnasium meinte ich irgendwann, ich müsse ganz dringend einen Computer haben. Als erstes hatte ich einen alten VC20 geschenkt bekommen, als der damals schon total out war. Bei Freunden habe ich immer auf der Atari-Spielkonsole gespielt. Das war alles eine reine Spielegeschichte. Später habe ich dann einen Amiga bekommen – ebenfalls nur zum Spielen. Da hatte ich meiner Mutter erzählt, ich würde Textverarbeitung machen. Das war natürlich Unsinn. Danach versandete das Ganze und ich hatte lange gar keinen Computer mehr. Ich bin relativ spät ins Internet gekommen. Meine erste E-Mail-Adresse und ersten PC hatte ich erst 1999.

Hast Du da auch illegal Musik heruntergeladen?

Ich habe das zwar eine Zeit lang gemacht, aber das dann schnell wieder gelassen.

Aus Angst erwischt zu werden?

Nein, weil ich das damals schon nicht richtig fand. Wegen dieser Meinung bekomme ich mit der Netzcommunity immer ein wenig Ärger, weil die das anders sieht – warum auch immer. Ich denke, wenn jemand nicht möchte, dass man seine Songs herunterlädt, sollte man das auch nicht tun.

Was hat Dich dann am Internet so fasziniert?

Das Soziale und die Kommunikation. Ganz am Anfang stand ich auf einer Mailingliste, auf der man sich gegenseitig schrieb, wo in Berlin die neuesten Partys stattfinden. Vor allem aber gab es Tipps, wie man da reinkommt, ohne eingeladen zu sein. Man schickte eingescannte VIP-Ausweise ĂĽber die Liste, die man sich mit Farbdruckern ausgedruckt und laminiert hat, um damit eben auf die Partys zu kommen.

Nun gibt es eine ältere Generation die „offline“ und eine Jüngere, die mit dem Internet aufwächst. Ist da eine Vermittlung nötig?

Da sollten die Kinder den Eltern erklären, wie das Internet funktioniert und welche Vorteile es hat, da mitzumachen. Das implizite Benutzungswissen vieler junger Leute, würde vielen Erwachsenen das Leben vereinfachen. Bei jüngeren Leuten herrscht ein riesiger Vorsprung an „Netzwissen“. Sie begreifen das Digitale des Internets als eine andere, aber auch reale Welt, in der alles mögliche passieren oder nicht passieren kann. Der damals zehnjährige Sohn des Kommunikationsfachmanns Peter Figge drückte das so aus: „Papa, wie sind denn die Leute ins Internet gekommen, bevor es Computer gab?“

Was heiĂźt das?

Es zeigt, dass diese Generation das Internet nicht für etwas hält, dass in dem Gerät „Computer“ steckt, sondern für eine zweite Schicht über der Welt, in die man mit einem Gerät hineingeht. Wenn man kein Gerät hat, ist diese Welt immer noch da, nur hat man gerade keinen Schlüssel zur Hand, um in die digitale Welt hineinzugehen.

Ist es nicht erschreckend, dass man diese Welt für real hält?

Die ist ja real, nur anders real.

Sie funktioniert aber nach virtuellen Spielregeln.

Ja, aber Virtualität ist kein Gegensatz zum Realen. Wenn man jemanden auf Facebook beschimpft, ist der auch in der Realität sauer. Das sind echte Gefühle. Insofern ist die Annahme, das alles sei nur virtuell und nicht real, falsch. Wenn man bei Ebay Schuhe bestellt, kommen die wirklich bei einem an. Es ist eine digitale Realität und diese gilt es auch real wahrzunehmen. Es wäre ein wichtiger Fortschritt für die ältere Generation, diesen Irrglauben abzulegen, dass das, was im Internet passiert, nicht real ist.

Heute sind die sozialen Netzwerke und das Web 2.0 aktuell. Was wird die nächste Entwicklungsstufe des Internets sein?

Die Echtzeitkommunikation, die weitere soziale Folgen hat. Echtzeit im Internet heiĂźt, dass die Leute erwarten, dass Dinge sofort passieren. Twitter ist das beste Beispiel: Du liest dort, was genau in diesem Moment passiert, weil das gerade in diesem Moment jemand irgendwo auf der Welt eingegeben hat. Das verbindet Internet und Live-Fernsehen. Bei Spiegel Online stehen Dinge, die jemand vielleicht vor ein paar Stunden eingegeben hat.

Was ist die nächste Entwicklung?

Apple wird früher oder später versuchen, das Internet abzuschaffen und zum „walled garden“ zu machen. Steve Jobs ist in meinen Augen ein gestörter Mensch. So gut und durchdacht seine Produkte sind, so grauenvoll ist die politische Einstellung. Mehrere deutsche Verlage wollten Buch-Applikationen für das iPhone auf den Markt bringen. Apple hat sich erdreistet, in den Standardvertrag reinzuschreiben, welche Wörter darin nicht vorkommen dürfen. Daran sieht man, wie Apple denkt. Das ist hochproblematisch.

Was ist mit Facebook und Google?

Google versucht, den Benutzer mit immer neuen Applikationen zu umzingeln, um so viele Daten wie möglich von ihm und über ihn herauszubekommen. Das passiert en passant durch die Nutzung seiner Dienste. Facebook hingegen versucht, das Internet über das Soziale von innen zu erobern. Facebook strickt Millionen Tentakel in Form von „I Like“-Buttons um das gesamte Rest-Internet, bis man den Eindruck hat, das Internet sei eigentlich eine Facebook- Applikation.

Wie soll das aussehen?

Überall soll immer der lustige Facebook-Rahmen sein, bei dem man auf „Gefällt mir“ klicken kann und drumherum sind immer die Freunde. Facebook arbeitet daraufhin, dass es neben Farmville und Mafia Wars auch das „App Internet“ gibt, in dem man dann alles andere wahrnehmen kann. Auf immer mehr Seiten tauchen die schönen sozialen Funktionen wie „Wer von meinen Freunden ist auch gerade auf der Seite“, „Was denken die darüber“ oder „Welche Produkte haben die sich angeschaut“.

Ist das problematisch?

Aus Facebook-Sicht nicht, weil das ein unfassbar riesiges Potenzial zum Geldverdienen ist. Die unproblematischste Herangehensweise hat Google. Facebook und Apple hingegen sind wirklich ganz problematisch.

Also wie zu Beginn des Internets: Wenige Spezialisten und Technik- Freaks nutzen das Internet, der Rest bleibt im „walled garden“.

Das ist im Moment schon so, aber so weit dann doch nicht. Das Internet hat bisher schon einigermaßen gut und resistent auf viele Versuche reagiert, es einzuschränken. Zwar nicht immer und überall, das ist leider wahr. Aber dafür, dass es ein so anarchisches Medium ist, das die Macht so verschiebt, wie man an Wikileaks sehr plastisch sehen kann, ist das Internet schon verdammt lang erlaubt.

Eine Entwarnung?

Nein. Es gibt viele Anzeichen, dass das Internet früher oder später aus Facebook und einigen Diensten dazu besteht. Viele machen sich gar nicht klar, wie groß Facebook jetzt schon ist und jeden Tag weiter wächst. Facebook ist nach Pageviews die größte Seite der Welt. Die nachfolgenden 200 meistbesuchten Seiten zusammen, inklusive aller Medienseiten und YouTube, erreichen immer noch nicht die Anzahl der Pageviews von Facebook. Das ist gespenstisch. Facebook ist dabei, das Internet zu erobern. 25 Prozent des Datenaufkommens in den USA generiert heute schon Facebook.

Wird man bald sagen „Ich gehe ins Facebook“, statt ins Internet?

Nö. Die Gefahr war mal vor einigen Jahren bei AOL kurz gegeben. Aber dafür sind die Leute mittlerweile zu aufgeklärt – das hoffe ich jedenfalls.

   

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