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 Interview
11.07.2011

Die Linke und der „Aufbau West“

Gesine Lötzsch will den sozialökologischen Umbau Deutschlands

Gesine Lötsch

Gesine Lötsch

Wir trafen die Vorsitzende der Partei "Die Linke" bei ihrem Besuch der parteinahen Studentenorganistation sds.Die Linke in Heidelberg und sprachen über die schlechten Wahlergebnisse im Westen, die Finanzkrise und die "kommunistische" Zukunft.

ruprecht: Ihr Beitrag „Wege zum Kommunismus“, der Anfang des Jahres in der Jungen Welt erschien hat viel Wirbel erzeugt. War das Absicht oder ein Missverständnis?

Gesine Lötzsch: Wenn man gesellschaftliche Debatten anstoßen will, muss man die Probleme zuspitzen. Es geht doch darum, ob der Kapitalismus noch in der Lage ist, die Probleme zu lösen. Wer nicht über Systemalternativen nachdenkt, der handelt unverantwortlich. Der Hintergrund war, dass mich die Tageszeitung Junge Welt auf eine Konferenz eingeladen hatte, die „Wege zum Kommunismus“ hieß. Auf der haben die Teilnehmer – und damit auch ich – über diese Frage nachgedacht.

Also war es ein Missverständnis?

Nein. Das Ziel der Linken ist die Herstellung des Demokratischen Sozialismus und Wege dorthin zu finden. In meinem Beitrag habe ich einerseits grundsätzliche Fragen aufgeworfen, andererseits an konkrete Projekte der Linken angeknüpft. Dabei ging es auch um die Frage des öffentlichen Beschäftigungssektors und einen Kompromiss zwischen jenen zu finden, die sich an der Erwerbsarbeit orientieren und denen die ein bedingungsloses Grundeinkommen wollen. 

Wie sieht dieser Kompromiss aus?

Wir als Linke wollen eine neue Art der Vollbeschäftigung: ein Recht auf Arbeit, aber keinen Arbeitszwang. Die Diskussion geht vor allem um die Frage: „Was machen Menschen, die für den Reproduktionsprozess der Gesellschaft nicht unmittelbar gebraucht werden.“ Durch die Steigerung der Arbeitsproduktivität werden für die unmittelbare Reproduktion immer weniger Menschen gebraucht. Der Mensch tritt immer mehr aus dem Produktionsprozess heraus und wird zum „Wächter und Regulator höherer Ordnung“, wie es Karl Marx bereits vorhersah. Die Frage ist: Muss man Menschen, die in diesem Produktionsprozess nicht gebraucht wenden kontrollieren und drangsalieren, oder kann man ihnen die Möglichkeit bieten, sich selbstbestimmt ihre Leben zu gestalten. 

Die Linken bestehen aus dem eher realpolitischen Ost- und dem dogmatischeren Westflügel. Sollte die Debatte über „Wege zum Kommunismus“ eine Verbindung herstellen?

Diese Aufteilung trifft nicht zu. Das ist viel differenzierter. Für mich ist wichtig, dass wir als Partei praktikable Vorschläge für den Alltag machen und diskutieren, wie man die Gesellschaft grundsätzlich verändern kann. Das ist kein Gegensatz, sondern man sollte das verbinden. Mein Wahlkreis ist ein Berliner Bezirk, in dem wir seit vielen Jahren kommunalpolitisch die Mehrheitsfraktion sind und die Bürgermeisterin stellen. Da ist es klar, dass wir auch an vielen praktischen Fragen arbeiten, weil alle kommunalen Fragen auf unserem Tisch landen. Sich aber nun allein auf den Alltag zu konzentrieren, wäre mir zu wenig. Wir dürfen dabei nicht aus den Augen verliert, dass wir auch eine andere Gesellschaft wollen. Mein Anspruch ist daher beides zu verbinden: das Praktisch-pragmatische und die Zukunftsidee.

Die Linke konzentriert sich auf die prekären Schichten der Gesellschaft. Sie fordert „Weg mit Hartz IV“ und die Reichensteuer. Gregor Gysi behauptete aber, dass sie auch die Interessen der Normal- und Besserverdienenden vertrete. Wie passt das zusammen?

Es gibt eine amerikanische Studie, die besagt, dass Gesellschaften in denen Einkommenskluft der Menschen geringer ist, insgesamt glücklicher und zufriedener sind. Daher ist die Verbesserung der Lebensumstände von Menschen, die in prekären Verhältnissen leben gut für alle. 

Je ungleicher die Einkommen verteilt sind, desto unzufriedener sind alle?

Natürlich. Sehen sie sich in den USA die abgeschotteten Reichenviertel an. Da werden die Viertel Abends quasi abgeschlossen und die Bewohner lassen sich von privaten Leibwächtern bewachen. Ich möchte so nicht leben. Da würde ich mich unfrei fühlen. Es gibt aber noch eine andere Seite: Im Osten ist die Linke eine Volkspartei, was sie im Westen nicht ist. Wenn man in Wahlkreisen die absolute Mehrheit erreicht, spricht man automatisch alle Schichten und Gruppen der Bevölkerung an. Die Frage ist nur, ob man auch bei allen die richtige Ansprache findet. Es gibt viele Menschen, die aktuell in einigermaßen vernünftigen Verhältnissen leben, die aber die Ungerechtigkeit in der Gesellschaft stört. Die wollen wir natürlich auch ansprechen.

Das funktioniert im Westen aber kaum. Gerade die Wahl in Baden-Württemberg hat gezeigt, dass ihre sozialen Themen nicht ankamen. Nach Fukushima sprechen sie nun offensiv vom „sozialökologischen Umbau“. Versuchen sie damit grüne Themen zu besetzen?

Nein, das ist für uns ein ganz wichtiges Thema.

Aber ein ganz neues Thema.

Ein Thema, bei dem wir Anknüpfungspunkte haben, aber unsere Positionen noch nicht genügend ausgearbeitet beziehungsweise sie nicht prominent genug vertreten haben. Die Wahl in Baden-Württemberg stand unter dem frischen Schock von Fukushima. Danach stellen sich nun aber ganz viele Fragen. Eine ist, wie der Atomausstieg finanziert werden soll. Wir wollen verhindern, dass der Ausstieg auf Kosten derer geht, die wenig Geld in der Tasche haben. Die Energiekonzerne müssen da auch ihren Beitrag leisten. Es kann nicht sein, dass dann am Ende wenige Konzerne mit Ökostrom die große Rendite machen. Auch das muss gesellschaftlich reguliert werden. Bis 2007 hatten wir eine staatliche Strompreiskontrolle, die abgeschafft wurde. Die gehört dringend wieder eingeführt.

Es geht also um mehr Regulierung und kollektive Lösungen. Das fordern Sie gerade dort, wo es um die öffentliche Daseinsvorsorge geht.

Genau. Schauen sie sich mal die Deregulierungen der vergangenen 20 Jahre an: Die hat viele Probleme erst geschaffen. Die Finanzkrise hätte es ohne Deregulierung überhaupt nicht gegeben. Ich kann mich sehr gut an eine Genossin erinnern, die Anfang der 90er Jahre und sagte: „Das Schlimmste ist die Deregulierung!“ Sie hatte Recht behalten.

Der Ausbruch der Finanzkrise liegt nun schon einige Jahre zurück. Kommen solche Debatten nicht etwas spät?

Der Höhepunkt der Finanzkrise war 2008. Da wurde auch sehr viel über Regulierung gesprochen – nur wurde leider nichts umgesetzt. Weder wurde die Bankenaufsicht gestärkt, noch hat man toxische Finanzprodukte verboten. Ich denke, dass es da Entscheidungen und nicht nur Ankündigungen bedarf. Wir sehen es jetzt in der Euro-Krise, dass uns die Probleme aus der Finanzkrise 2008 uns wieder auf die Füße fallen. Weil die Bundesregierung und die Banken jede Regulierung hintertrieben haben.

In letzter Zeit gab es Vorwürfe, dass die Linke ein Antisemitismusproblem hätte. Ist die Linke als letzte Oppositionspartei ein Magnet für solche Gruppen? Besteht die Gefahr, dass solche Strömungen die Partei unterwandern?

Ich glaube nicht daran, dass sich solche Strömungen bei der Linken etablieren können. Wir haben da als Partei sehr klare Positionen und achten sehr genau darauf, dass so etwas nicht passiert. Versuche Parteien zu unterwandern gibt es übrigens bei allen Parteien.

Während alle anderen Parteien mittlerweile untereinander koalieren, bleibt die Linke meist außen vor. Meinen sie, dass sich das ändern wird?

Bisher hatten wir nur auf Landesebene Koalitionen mit der SPD. Wenn die Grünen weiter stark sind, kann es durchaus auch eine Koalition Grüne-Linke geben. Was ich ausschließe, sind Koalitionen mit der CDU und der FDP.

Doch im Westen werden die Chancen auf solche Koalitionen immer geringer. Die Linke hat dort massiv verloren. Ist das eine Durststrecke oder wird die Linke wieder eine „Regionalpartei Ost“?

Nach der Vereinigung von WASG und PDS zur Linken hatten wir von 2005 bis 2007 eine große Anfangeuphorie. Nun sind wir in den Mühen der Ebene angelangt und im Westen gerade erst dabei Parteistrukturen aufzubauen, die andere bereits seit Jahrzehnten besitzen. Gerade hier im Flächenland Baden-Württemberg gibt es Orte, in denen noch nie ein Linker kandidiert hat und wo SPD-Mitglieder lange sogar als Linksradikale galten. In der Anfangseuphorie sind viele Leute gekommen, die meinten, dass sich mit ihrem Eintritt alles sofort zum Besseren ändern würde. Das ist so schnell aber gar nicht möglich. 

Die Linke im Westen ist also immer noch eine Partei im Aufbau?

Natürlich. Aber nicht nur im Westen. Nach der Vereinigung zur Partei „Die Linke“ mussten wir unsere Gemeinsamkeit erst erarbeiten. Das war und ist noch mit kleineren Problemen und Reibereien verbunden – manchmal auch mit Größeren. Diese innerparteilichen Gemeinsamkeiten in Ost und West zu erarbeiten ist eine große Mühe.

Eine Zukunftsprognose: Die SPD unter Sigmar Gabriel orientiert sich nach dem Abtritt des Schröder-Flügels wieder stärker nach links. Glauben sie an eine rot-rot-grüne Regierung im Jahr 2013?

Unser Ziel ist, dass Rot-Grün 2013 nicht ohne uns regieren kann. Ich bin mir aber noch nicht sicher, wie sich die Kräfteverhältnisse in der SPD entwickeln. Sigmar Gabriel vertritt heute die eine und morgen eine andere Position – da ist noch vieles offen. Unser Anspruch ist die Gesellschaft zu verändern und das wollen wir auch umsetzen.

Wird dafür Oskar Lafontaine zurückkommen?

Oskar Lafontaine ist ja nicht weg. Er ist Linke-Fraktionsvorsitzender im Saarland, Vorsitzender unserer Internationalen Konferenz und nach wie vor ein wichtiger Ideengeber. Er wird sehr genau darüber nachdenken, welche Rolle er in Zukunft spielen will und wird.

Also möchte er nicht noch mal Parteivorsitzender werden?

Das müssen Sie ihn schon selber fragen.

Frau Lötzsch, vielen Dank für das Gespräch.

von Reinhard Lask
   

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