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 Feuilleton
11.07.2011

Jeder Tag ein Abschied

„Außer dem Leben können sie Dir ja nichts nehmen“

Briefmarke Helmuth James von Moltke

Briefmarke von 1964

Jeden Tag wartet der Widerstandskämpfer Helmuth James von Moltke in seinem Gefängnis in Tegel auf seine Hinrichtung – vier Monate lang. Jeden Tag wartet er auch auf Briefe von seiner Frau Freya. In dieser Zeit entstehen hunderte solcher Briefe.

Jeden Tag wartet der Widerstandskämpfer Helmuth James von Moltke in seinem Gefängnis in Tegel auf seine Hinrichtung – vier Monate lang. Jeden Tag wartet er auch auf Briefe von seiner Frau Freya. In dieser Zeit entstehen hunderte solcher Briefe, die vom Gefängnispfarrer Poelchau in das Gefängnis hinein und hinaus geschmuggelt werden. Ein Jahr nach dem Tod Freya von Moltkes wurden diese Briefe nun unter dem Titel „Abschiedsbriefe Gefängnis Tegel. September 1944 – Januar 1945“ im Beck-Verlag veröffentlicht.

Es ist nicht nur bemerkenswert, dass dieser mehr als 500 Seiten umfassende Briefwechsel fast vollständig erhalten geblieben ist. Es verwundert auch, dass die geheime Korrespondenz trotz der widrigen Haftumstände Helmuth von Moltkes überhaupt in einem solchen Maße zustande kommen konnte. Das ist auch Wärtern zu verdanken, die dem Widerstandskämpfer heimlich die Fesseln lösten, damit dieser schreiben konnte.

Die ungebrochene Überzeugung der beiden Regimegegner zwingt zum Weiterlesen. Die starke Verbundenheit des Paares fesselt den Leser. Dabei sind es keine typischen Liebesbriefe, in denen das Wort Liebe inflationär gebraucht wird. Vielmehr schreibt Helmuth einmal an Freya: „Ich sage gar nicht, dass ich Dich liebe. Du bist vielmehr jener Teil von mir, der mir alleine eben fehlen würde“, und kurz darauf: „Nur wir zusammen sind ein Mensch.“ Diese starke Einheit zwischen dem Ehepaar wird auch deutlich, wenn sich die Beiden über Helmuths anstehenden Prozess austauschen. Moltke hatte sich im Kreisauer-Kreis – der Widerstandsgruppe die auf dem Anwesen Molktes gegründet wurde – mit Plänen für eine Ordnung des deutschen Staates nach der NS-Diktatur befasst.

Neben alltäglichen Dingen wie Wäsche- und Essenslieferungen bespricht das Paar auch wie Freya nach Helmuths Tod die Familie versorgen und das Gut in Kreisau verwalten soll. Dabei nehmen Freya und Helmuth von Moltke seinen herannahenden Tod als Schicksal an, geben aber die Hoffnung auf eine Rettung in letzter Minute nie auf. Getragen werden die beiden Protestanten dabei von einem sicheren Gottesglaube, der selbst den ungläubigsten Leser beeindrucken muss. Der Glaube daran, ein Teil des Planes Gottes zu sein, erleichtert gerade Helmuth zum Ende hin den Schritt vor den Henker. Die klare Orientierung am Leidensweg Jesu bleibt dem Leser dabei nicht verschlossen.

Der ungetrübte Lebenswillen und Moltkes Opferbereitschaft widersprechen sich nur scheinbar: „Das ändert nichts daran, dass ich gerne noch etwas leben möchte. Aber dann bedürfte es eines neuen Auftrages Gottes.“ Noch mehr aber beeindruckt den Leser Freyas Opfer, die weiß, dass sie alleine zurückbleiben wird. Sie ist die wahre Heldin dieser Abschiedsbriefe, die ihr das erste Mal eine eigene Stimme geben.

Denn bisher galten Freyas Briefe als verschollen. Sie gibt zu: „Es ist entsetzlich schwer.“ Wirkliche Zweifel lässt jedoch auch Freya nicht zu, sie glaubt an Liebe über den Tod hinaus und schreibt mutig aber simpel: „Außer dem Leben können sie dir ja nichts nehmen.“ Und so sind diese Briefe Abschiedsbriefe ohne ein richtiges Lebewohl. Vielmehr sagt Helmuth am Tag seiner Urteilsverkündung: „Ich sollte wohl von Dir Abschied nehmen – ich vermag‘s nicht. Es ist nicht ein Mal so, dass mir verheißen wäre, ich würde Dich nicht verlieren; nein: ich weiß es.“

Die Abschiedsbriefe von Tegel schaffen es, Freyas Einfluss auf ihren Mann deutlich zu machen. Neben dem Wert als historische Quelle ist der Briefwechsel auch ein religiöses Bekenntnis. Es ist ein beeindruckendes, wahrscheinlich einmaliges Zeugnis von Glaube, Liebe, Hoffnung. Enstanden ist dieses Zeugnis in einer Zeit, in der viele andere all das verloren hatten. Selbst Atheisten können sich einer solchen Willensstärke beim Lesen wohl nur schlecht entziehen.


Helmuth James und Freya von Moltke: „Abschiedsbriefe Gefängnis Tegel“, Verlag C. H. Beck, 608 Seiten, 29,95 Euro

von Julia Held
   

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