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 Hochschule
13.07.2011

Bleib nicht wie Du bist

Auch nach 40 Jahren ist das Bafög noch ein bürokratisches Abenteuer

Den Gürtel enger schnallen.

Wer wenig verdient und viele Formulare ausfüllt, bekommt manchmal BAföG. Foto: fionn / pixelio.de

Am 1. September 1971 führte die damalige Koalition aus SPD und FDP das Bundes­aus­bil­dungs­­för­derungs­gesetz ein. Heute erhalten knapp ein Viertel der Studenten Bafög. Doch um die Förderung zu erhalten müssen Studenten einige bürokratische Hürden nehmen.

Rolf Dobischat sieht zufrieden aus. Die rechte Hand versteckt er in der Hosentasche, mit der linken hält er seine Brille fest. Ein verschmitztes Lächeln liegt auf seinen Lippen. Dazu trägt er ein blaugrau gestreiftes Hemd, passend zum dunkelblauen Sakko. Man könnte meinen, Dobischat arbeite als professionelles Fotomodell. Knapp daneben. Dobischat ist Präsident des Deutschen Studentenwerkes. In dieser Funktion begrüßt er den Heidelberger Studenten Thomas in einem Sonderheft zum 40. Geburtstag des Bafög. Für Dobischat und das Studentenwerk ist das ein Grund zum Feiern.

Thomas, Student im vierten Semester, schaut sich die Broschüre näher an. In seiner Geburtstagsansprache verwendet Dobischat Worte wie „Erfolgsgeschichte“, „kulturelle Errungenschaft“ oder „Chancengleichheit“. Daneben outen sich ein paar Geburtstagsgäste: „Ich habe Bafög bekommen!“, schreiben Renate Künast und Annette Schavan. Sogar Thomas Gottschalk konnte sich sein Studium nur durch das Bafög finanzieren. Die nächsten beiden Seiten stellen die 68er-Proteste als Grund für die Bafög-Einführung dar. Auf der letzten Seite entdeckt Thomas noch das Wort „Bürokratieabbau“. Er versichert sich gleich, ob er nicht doch die Wahlwerbung irgendeiner Partei in der Hand hält. Aber nein, das ist nicht der Fall. Vor lauter Feierstimmung würde Thomas am liebsten den Sekt kaltstellen oder zumindest ein Stück Geburtstagkuchen essen. Auf dem Weg in die Küche lässt er erneut einen Blick über seinen Schreibtisch schweifen – da entdeckt er ihn, den in Vergessenheit geratenen Bafög-Antrag.

„Das Bafög ist eine stabile Einheit“, sagt der aus Heidelberg stammende Politikwissenschaftler Klaus Landfried. Vor allem jungen Menschen aus finanziell schwachen Familien wird somit ein Studium ermöglicht. Als ehemaliger Vorsitzender der Hochschulrektorenkonferenz kennt sich Landfried mit der Materie aus. Er bedauert, dass dem Bafög ein teilweise undurchsichtiger, bürokratischer Prozess vorrausgeht. Das war nicht immer so. Bei der Einführung des Bafög 1971 gab es viel weniger strenge und umständliche Vorschriften als heute. Das hängt damit zusammen, dass die Zahl der Studierenden bei der Einführung des Bafög geringer war. 1971 waren knapp 800.000 Studenten an deutschen Universitäten eingeschrieben, derzeit sind es rund 2,2 Millionen. Mit der wachsenden Zahl der Studierenden wurde auf das Mittel der Datenverarbeitung zurückgegriffen, was den Bewerbungsvorgang komplizierter gemacht habe, erklärt Landfried. Zu dem dürfe man die „Entscheidungsfreude deutscher Bediensteter in Studentenwerk und Verwaltung“ nicht überschätzen.

So muss sich Thomas erneut mit seinem Bafög-Antrag befassen – bereits zum dritten Mal. Denn bei einem erfolgreichen Bescheid muss der komplette Antrag alle zwei Semester wieder ausgefüllt werden. Die Frist für den Aktualisierungsantrag ist dann jeweils zum Ende des Semesters gesetzt. „Der eigentliche Antrag nimmt wenig Zeit in Anspruch“, sagt Thomas. Nervig seien nur die ganzen Belege, die man zum wiederholten Male einsenden müsse: Einkommensnachweise der Eltern, aktueller Kontoauszug, Mietvertrag, Studienbescheinigungen, Belege für Sparkonten und etliches mehr. In den nächsten Tagen muss er noch zu seinem Studienberater, um nachzuweisen, dass er sich in der Regelstudienzeit befindet. Im schlimmsten Fall habe man etwas vergessen und werde darüber per Brief informiert, anstatt eine E-Mail zu bekommen, kritisiert Thomas. 

Problematisch sei auch die lange Bearbeitungsdauer des Antrages: Die liegt in der Regel bei drei Monaten. „Gerade zu Beginn des Wintersemesters habe ich kein gesichertes Einkommen.Da muss ich dann schauen wie ich über die Runden komme.“

Verwundert zeigt er sich auch, dass einer seiner Kommilitonen mehr Bafög erhalte, obwohl zwischen den Einkommen der Eltern kein großer Unterschied bestehe. Helga Abt-Schmitt, Leiterin der Abteilung Studienfinanzierung gesteht, dass es nach der letzten Bafög-Erhöhung im Oktober 2010 dazu kommen könne. Das erscheine zunächst zwar ungerecht, käme aber daher, dass die Beträge Ergebnisse eines „bürokratischen Weges“ seien, der von vielen Faktoren beeinflusst wäre. Somit seien die Zahlen auf dem Bescheid für den Beziehenden nicht immer nachvollziehbar.

Dieser „bürokratische Weg“ hänge mit dem „Perfektionismus der Verwaltung“ zusammen, macht Klaus Landfried deutlich. In jeder Verwaltung beruhe die Bezahlung eines Leiters auf der Anzahl der Mitarbeiter, die ihm untergeben seien. Die Mitarbeiterzahl der Dienststelle wiederum richte sich nach der Summe der unerledigten Aufträge. Je mehr Vorschriften man erlasse, desto mehr Bremsen werden innerhalb einer Behörde geschaffen und die „Stauwelle“ vergrößere sich weiter. „Ein wunderbarer Mechanismus“, kommentiert der Politikwissenschaftler sarkastisch. Landfried sagt aber auch: „Dieses Dickicht ist nicht gottgewollt.“ Mehrfach habe er in der Hochschulrektorenkonferenz versucht, dieses zu zerlegen.

Eine Möglichkeit, das „Bürokratiemonster Bafög“ zu einer effektiveren Ausbildungsförderung zu machen, wäre das Drei-Körbe-Modell. Dieses sieht einen Festbetrag für Studenten vor, die regelmäßig Leistungsnachweise vorzeigen können. Kommen die Studierenden aus einkommensschwachen Familien, können sie mit weiteren Zuschüssen rechnen. Der dritte Korb hält ein unverzinsliches Darlehen für jene Studenten bereit, die für ihren Abschluss ein bis zwei Semester länger brauchen, als die Regelstudienzeit vorgibt. Landfried wollte einen Festbetrag von bis zu 800 Euro pro Student veranschlagen, ist mit seinem Modell jedoch auf erheblichen Widerstand getroffen. „Ich habe Schlachten geschlagen, aber ich war unterlegen.“ Nichtsdestotrotz rechnet er mit einer Verbesserung der Lage in Baden-Württemberg durch die neue Landesregierung. Wahrscheinlich im Laufe des nächsten Jahres werden die Verfassten Studierendenschaften wieder eingeführt. In denen werden die Studierenden eine Chance bekommen „lauter zu sprechen“, um auf Probleme im Zusammenhang mit dem Bafög deutlicher aufmerksam zu machen.

Ob Thomas dann noch in Heidelberg studieren wird, bezweifelt er. Am liebsten würde er seinen Master in Kunstgeschichte in der Schweiz machen. Nachdem er feststellen muss, dass er weder Sekt noch Kuchen vorrätig hat, gießt er sich zum Anstoßen ein Glas Wasser ein und setzt sich an seinen Schreibtisch zurück. Er nimmt einen Schluck, legt die Broschüre beiseite und beginnt seinen Bafög-Antrag auszufüllen.

von Michael Graupner
   

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