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28.05.2011

„Ist das nicht gefährlich?“

Der Iran gilt im Westen als Bedrohung – die Iraner selbst bedauern das

Nachrichten aus dem Iran drehen sich entweder darum, wann die Mullahs „die Bombe“ haben, um Israel zu vernichten oder um brutale Polizeigewalt. Unser Korrespondent Benjamin Weineck hat vor Ort einen ganz anderen Iran kennengelernt.

Nachrichten aus dem Iran drehen sich entweder darum, wann die Mullahs „die Bombe“ haben, um Israel zu vernichten oder um brutale Polizeigewalt. Unser Korrespondent hat vor Ort einen ganz anderen Iran kennengelernt.

Von Benjamin Weineck aus Teheran (Iran)

Viele meiner Mitmenschen waren sich schnell einig: Mein Vorhaben, in den Iran zu reisen und fünf Monate in der Hauptstadt Teheran zu leben, sei unheilvoll, ja gar verwirrend. Viele fanden es auch spannend oder abenteuerlich, aber ebenso viele blieben skeptisch. „Bei all dem, was man so hört“, hieß es oft. Doch was hören wir? Wir hören von „der Bombe“ und der Vernichtungsrhetorik gegenüber Israel. Dingen, die vor allem Diplomaten und Außenpolitkern Sorge bereiten. Wir hören auch von brutaler Polizeigewalt gegenüber Demonstranten. Das betrifft mich eher und ich verspreche allen, auf keinen Fall demonstrieren zu gehen.

Warum aber ist der Blick auf den Iran so von politischem Denken und Angst vor Gewalt geprägt? Besteht das Land in unseren Köpfen nur aus der Gefahr, die von Polizei und Politikern ausgeht? Ein Freund von mir, der in London lebt, wurde dort in seiner Wohnung mit einem Messer bedroht. Ihn hat keiner gefragt, ob es nicht zu gefährlich sei, ein Jahr lang in England zu studieren. Schließlich gehören die Briten zu Europa, sind keine Muslime und liegen auch nicht auf einer bösen Achse. Diese politischen Kategorien geben den Rahmen vor, in dessen Grenzen Iran gedacht werden kann.

Der Blick auf den Iran ist verstellt von politischen Urteilen

Mehr als 70 Millionen Menschen leben heute im Iran. Menschen, die aus dem Land der Uran-Anreicherung und des Holocaustleugnens nur zu uns durchdringen können, wenn wir Politik und die Leute, die von ihr regiert werden, unterschiedlich wahrnehmen.

Einer von diesen Menschen ist Sasan Hashemi. Ich lerne ihn nach zwei Tagen in der U-Bahn kennen. Er spricht mich an: „Hello Mister, welcome to Iran! Where are you from?“ Wir kommen ins Gespräch und verstehen uns gut. Am Ende lädt Sasan mich zum Essen ein. Schon am selben Abend bin ich bei ihm zu Hause. Was ich von Mahmud Ahmadinedschad halte, fragt er mich sogleich. Ich bin diplomatisch und sage: „Ich weiß nicht viel über ihn“. „Ihr lacht doch bestimmt über den“, ist er sich sicher. Viele seiner Freunde resignieren und versuchen auszuwandern, andere demonstrieren und riskieren ihr Leben dabei, berichtet Sasan. Das Wort „fremdschämen“ gibt es in der persischen Sprache nicht, aber ihm ist sein Staatsoberhaupt peinlich.


Die Hauptstadt Teheran von den Bergen der Umgebung aus gesehen.

So distanziert er sich von seiner Regierung. „Ahmadinedschad macht mit seinen Reden Iran und die Iraner zu Außenseitern.“ Wie alle Iraner, die ich kennen lernen sollte, ist auch Sasan Teil der so genannten Grünen Bewegung. Die Oppositionsgruppe versammelt alle, die sich nicht durch das konservative Establishment um Ahmadinedschad repräsentiert sehen und ihm Betrug bei der letzten Präsidentschaftswahl vorwerfen.

Wir sitzen auf einem großen Perserteppich auf dem Boden, essen Joghurt mit Gurken und trinken Arak, einen Schnaps aus Trauben, der entweder geschmuggelt oder selbstgebrannt erhältlich ist. Denn Alkohol ist in der Islamischen Republik verboten, genau wie Facebook, Händchenhalten in der Öffentlichkeit oder kurze Hosen. Sittenwächterinnen und Sittenwächter passen auf den Straßen auf, dass sich alle an die strengen Regeln halten.
Von den Shorts abgesehen hält sich jedoch niemand an diese Verbote: Jeder hat ein Facebook Profil, kennt jemanden, der Schnaps oder Bier besorgen kann und heimlich treffen sich die Pärchen zum turteln.

An den Sittenwächtern führen viele Wege vorbei

Entweder in den Parks oder auf der Insel Kish im Persischen Golf. Das türkise Wasser, der weiße Sand, Jetski- und Fahrradverleih versetzen sogar die Sittenwächter in Urlaubsstimmung. Schon zu Zeiten der Schah-Monarchie vor der Islamischen Revolution von 1979 war Kish das beliebteste Urlaubsziel für die Reichen und Schönen. Bis Ahmadinedschad 2005 zum Präsidenten gewählt wurde, konnten Frauen und Männer am Strand sogar gemeinsam baden.


Eine Strandpromenade auf der Urlaubsinsel Kish

Heute herrscht zwar an allen Stränden Geschlechtertrennung, aber Kish ist eine Freihandelszone. Hierhin dürfen EU-Bürger sogar ohne Visum einreisen, die Klamotten dürfen kürzer sein als sonst. Ganz ohne einen Schleier geht es für die Frauen zwar auch hier nicht, aber es ist ohnehin Brauch, nur den hinteren Bereich des Haares zu bedecken. Auf Kish ist es Frauen aber erlaubt, Fahrrad zu fahren.

„Wie lernt man hier überhaupt Frauen kennen?“, frage ich Sasan. „An der Ampel“, antwortet er und berichtet, wie er abends mit seinen Freunden auf bestimmten Straßen der Stadt die Schranken des Gesetzes umfährt. Die Mädels machen es genauso. Sie hupen einander an. An der roten Ampel tauschen sie dann Blicke aus – und danach ihre Telefonnummern.

Ich freue mich, als ich das höre. Es zeigt, wie die Menschen auch mit den strengsten Gesetzen leben können und Wege finden, sich diesen zu entziehen. Das Totalitäre wird absurd, wenn seine Instrumente verpuffen, Fremdschämen für die politischen Repräsentanten wird für das Volk zur Normalität. Das erschüttert den Denkrahmen eines bedrohlichen Irans.

Allerdings nur, solange die Sicherheitsapparate nicht doch zuschnappen: Mein japanischer Klassenkamerad Yuta wurde verhaftet, als er auf dem Weg ins Restaurant war. Das war Anfang März. Er sitzt immer noch im Gefängnis.

   

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