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 Feuilleton
16.11.2011

Mechanismen der Macht

„Ammen“ zeichnet ein düsteres Gesellschaftsbild

Daniel Goetschs StĂĽck behandelt Macht, Kontrolle, UnterdrĂĽckung und VerfĂĽhrung. Die Parabel fasziniert und verwirrt zugleich.

Das kleine Dorf Ammen, von dem nie gesagt wird, wo es liegt, ist ein düsterer Ort. Als der junge Keno, orientierungslos und ohne konkrete Pläne für seine Zukunft, eines Tages zurückkehrt, um sein Diplom zu feiern, stellt er fest, dass ihm sein Heimatort fremd geworden ist. Einst herrschten dort Chaos und Gewalt, ein Brandanschlag war der Höhepunkt der Brutalität. Keno, der die Täter kannte, aber an dem Anschlag nicht beteiligt gewesen war, hatte kurz darauf das Dorf verlassen.

Nun herrscht Frieden, Ruhe und Ordnung – doch zu einem hohen Preis. Die Dorfbewohner haben ein System der totalen Überwachung und Bestrafung jeder Abweichung geschaffen. Es wird beherrscht von einem mysteriösen Ombudsmann, der unsichtbar bleibt und wie ein Diktator mit seiner Clique gehorsamer Gefolgsleute regiert. Diese Gruppe besteht aus dem Dorfschullehrer, dem Autohändler, der Bioteeverkäuferin und ausgerechnet Kenos Mutter.

Sie organisiert Versammlungen und hält Gericht über jeden, den sie als Störenfried sieht. „Verantwortung heißt keine Ausrede“, „Solidarität heißt zupacken“ und „Verzeihen heißt Vergessen“, sind ihre wohlklingenden Parolen, hinter denen nichts anderes steht als eine neue Gewaltherrschaft. Keno versteht all das nicht. Er zweifelt daran und flüchtet zu seiner Jugendliebe. Sie fürchtet das System, ohne es jedoch wie er in Frage zu stellen – zu sehr schätzt sie, wie alle anderen, die Sicherheit, die es bietet.

„Ammen“ ist damit eine Parabel ĂĽber totalitäre Strukturen und Denkmuster und darĂĽber, wie sie sich auch in positivem Gewand in eine Gesellschaft einschleichen können. Es zeigt, wie Machtaus­übung und UnterdrĂĽckung funktionieren, selbst wenn sie scheinbar dem Guten dienen. Dies wird auch durch eine raffinierte Symbolik deutlich gemacht: Wie ein roter Faden durchziehen religiöse Elemente das StĂĽck, welche allerdings in einer verfälschten Form zum Ausdruck kommen. So tragen die Dorfbewohner wie zum Zeichen ihrer Unschuld Schafsmasken, die wohl an die seelische Reinheit des Lamm Gottes erinnern sollen. Einmal sitzen sie gar mit EngelsflĂĽgeln und teilen Brot und Wein. 

Mehrfach ertönt eine leicht abgewandelte Form des „Vater Unser“, in der aber nicht Gott, sondern der übermächtige Ombudsmann angebetet wird. Auch dies ist wieder eine Anspielung an den Personenkult in totalitären Systemen.
An einigen Stellen wird der Zuschauer direkt mit einbezogen. So erzählen Keno und seine Freundin zum Publikum gewandt in einem schockierenden Seelenstriptease von ihren Träumen.

Die Botschaft des StĂĽckes wird deutlich und  alle Schauspieler ĂĽberzeugen in ihren Rollen. Mit sechs Darstellern, zwei groĂźen drehbaren WĂĽrfeln und verstörenden Filmeinspiel­ungen gelingt es dem StĂĽck, eine Atmosphäre der Beklommenheit zu schaffen. So werden immer wieder Videosequenzen eingespielt, die teils schon vorher –  in einem nächtlichen Wald – gedreht worden waren, teils live während der AuffĂĽhrung des StĂĽcks in einem der beiden Kästen gefilmt werden. Zudem werden sie durch eine beklemmende Filmmusik begleitet, welche das GefĂĽhl des beständigen Unbehagens untermalte.

Die Handlung ist allerdings manchmal verwirrend. Das liegt an Personen über die gesprochen wird, die aber nicht auftauchen und an einigen Begriffen, die nicht näher erläutert werden.

Das StĂĽck, das noch bis Ende Dezember im Zwinger zu sehen ist, ist somit durchaus interessant. Man darf jedoch nicht erwarten, alles zu verstehen.

von Michael Abschlag und Thomas Leurs
   

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