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07.08.2012

Chancenlos in Spanien

Selbststudium und Auswandern als verbleibende Optionen

Perspektivlosigkeit bestimmt den Alltag vieler Spanier. / Fotos: Marius Berger

Ein besetztes Gebäude des Großkonzerns Telefonica.

Die Jugendarbeitslosigkeit in Spanien steigt, fast die Hälfte aller unter 25-Jährigen findet keine Arbeit. Wer einen Job hat, muss häufig mit weniger als 1000 Euro auskommen. Oft scheint der Weg ins Ausland die einzige Lösung – eine problematische Entwicklung für das Land.

Miguel ist 35, sein Betriebswirtschaftsstudium hat er bereits vor Jahren abgeschlossen, dennoch sitzt er neuerdings unter der Woche jeden Tag von 16:00 bis 22:00 Uhr in der Vorlesung und paukt an Wochenenden für Prüfungen. Sieben Jahre lang arbeitete Miguel bei einer spanischen Genossenschaftsbank als Verkäufer für Rentenversicherungen, bis die Krise kam. Seit gut einem Jahr ist Miguel ohne bezahlte Arbeit und lediglich vormittags als unbezahlter Praktikant in einem Unternehmen beschäftigt. Zunächst versuchte er es bei anderen Banken doch durch die Krise des spanischen Finanzsektors sind die Aussichten auf Beschäftigung schlecht und so blieb seine Suche nach bezahlter Arbeit erfolglos. Jetzt versucht es Miguel mit einem Vertiefungsstudium an einer Privatuniversität in Madrid. Zehntausend Euro im Jahr muss er dafür bezahlen. Auf die Frage, ob er glaube, dass sich diese Investition bezahlt mache, antwortet er: „Ich habe das so verstanden: Mit mehr Bildung hat man bessere Chancen eingestellt zu werden“. Besonders überzeugt wirkt er dabei allerdings nicht.

Das Schicksal von Miguel kenne ich persönlich, doch er ist nicht der einzige dem es so ergeht. Seit der Krise steigen die Arbeitslosenzahlen des Landes kontinuierlich an, besonders betroffen sind Jugendliche. Fast die Hälfte der unter 25-Jährigen in Spanien sind arbeitslos, was vor allem auf die hohe Zahl der Schulabbrüche zurückgeführt wird. Annähernd ein Drittel der Jugendlichen bleibt ohne weiterführenden Schulabschluss und ist damit schwer in den Arbeitsmarkt zu integrieren.

Doch auch Universitätsabsolventen haben es nicht leicht einen passenden Job zu finden, wie das Beispiel von Miguel zeigt. Viele sehen daher nur einen Ausweg: weggehen ins Ausland. Deutschland gilt bei jungen Spaniern als Arbeitsparadies, von vielen hört man, dass sie nun Deutsch lernen wollen, weil es in ihrem Land keine Perspektive für sie gibt. Wirklich ernst meinen es wahrscheinlich die wenigsten, denn Deutschland gilt vielen als unattraktiv. Nicht nur das Wetter sei zu kalt, auch die Leute seien es. Andere Länder wie England und die Niederlande kommen schon eher in Frage. Die Sprache stellt für viele jedoch ein großes Hindernis dar, denn selbst an fundierten Englischkenntnissen mangelt es den meisten. Die Regierung hat das Problem zwar erkannt und holt seit einigen Jahren englische Muttersprachler nach Spanien, die in sogenannten Centros Bilingües helfen sollen das Niveau des Sprachunterrichts an den Schulen zu verbessern. Den Studenten hilft dies jedoch nicht. Wer sich keine privaten Sprachkurse leisten kann, und keine Zeit für das Selbststudium hat, wird es schwer haben schnell im Ausland Fuß zu fassen.

Auswandern ist nicht die beste Lösung

Selbst wenn es für viele spanische Universitätsabsolventen angesichts der unsicheren Lage in ihrem Land eine Alternative ist auszuwandern, bleibt die Frage, ob dies eine wünschenswerte Entwicklung ist. Schließlich bedeutet der Verlust von leistungsfähigen Fachkräften, dass die langfristige Wettbewerbsfähigkeit des Landes abnimmt und es somit für das Land schwieriger wird den Anschluss an Europa zu behalten. Angesichts der Situation an den Märkten, der spanischen Bankenkrise und der harten Sparmaßnahmen der spanischen Regierung, ist es vermutlich nur eine Frage der Zeit bis die wirtschaftliche Lage für junge Spanier nicht mehr tragbar ist und sie tatsächlich das Land verlassen müssen.

Wenn Deutschland daran interessiert ist, spanische und andere ausländische Fachkräfte für sich zu gewinnen, wird es sein Image im Ausland aufbessern müssen. Schlussendlich sind es nicht nur wirtschaftliche Anreize die ein Land als Auswanderungsziel bestimmen, sondern auch kulturelle. Wer im Land bleibt und es geschafft hat einen Job zu finden, der arbeitet oft in prekären Beschäftigungsverhältnissen und muss mit einem Gehalt von 800 bis 1000 Euro pro Monat auskommen. Die sehr hohen Mieten, die leicht mit denen deutscher Großstädte mithalten können und das während der Boomjahre stark gestiegene Preisniveau bedeuten für viele Spanier, dass sie sich nicht von zu Hause lösen können. Viele hat es wegen der Krise zu ihren Eltern zurückgezogen. Alberto, mein Nachbar, der mit seiner Mutter im Zentrum von Madrid wohnt, blickt dennoch positiv in die Zukunft. Der 23-Jährige Student der Medien- und Kommunikationswissenschaften hat gerade die Zusage für ein Praktikum bei einem großen spanischen Fernsehsender erhalten. Er sagt, was das Land braucht sind junge, dynamische Leute, die sich schnell an die wandelnden Anforderungen der Zeit anpassen. Die Lehre an der Universität, erzählt er, könne dabei oft nicht mithalten. Deswegen erarbeitet sich Alberto gemeinsam mit Freunden im Selbststudium das von der Branche geforderte Fachwissen. Sein Wunsch ist es, einmal Auslandsdokumentationen zu drehen. Dafür nimmt er auch schlechte Bezahlung und Überstunden in Kauf.

Auch Miguel wohnt nun wieder bei seinen Eltern. Ein Jahr bleibt ihm noch bis er sein weiterführendes Studium abgeschlossen hat, was danach kommt, weiß er noch nicht. Er hofft, dass sich die Situation bis dorthin etwas gebessert hat, vielleicht hat er Glück und findet mit seinem neuen Abschluss doch noch eine bezahlte Beschäftigung. Wenn nicht, dann wird für ihn wohl nur der Weg ins Ausland bleiben. Den Englischkurs besucht er bereits.

von Marius Berger
   

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