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 Feuilleton
14.12.2012

Wenn kein Credo mehr gilt

Durs Grünbeins neuer Lyrikband „Koloß im Nebel“

Welchen Stellenwert Lyrik heute noch hat, macht Grünbein in seinem neuen Gedichtband „Koloß im Nebel“ in dem Gedicht „Wenn kein Credo mehr gilt“ zum Thema. Der „Poet“ treibt „ausgesetzt/ Von den Schiffen der Philosophen/ Majestätisch dahin./ In den Wellen verliert er sich.“ Seine Lyrik droht wie das Epos zugrunde zu gehen. Was kann nun Lyrik in dieser schier aussichtlosen Situation erhalten?

„Demut“, sie ist auf hoher See die „Schwimmblase“. Die Lyrik muss sich also den neuen Voraussetzungen anpassen, sonst ist sie der Gefahr ausgesetzt, als literarisches Genre endgültig zu verschwinden. Grünbein bringt es auch metrisch virtuos auf den Punkt, wenn es heißt: „Majestätisch? Von wegen.“ In diesem Vers wird metrisch das gesamte Gedicht zusammengefasst, wenn auf die Hebung in „Majestätisch“ die in „wegen“ folgt. So würdevoll, ruhend und zeremoniell, wie ein König schreitet, erscheint hier die Betonung nach jeweils zwei Senkungen im Anapäst.

Wird semantisch das Majestätische durch „Von wegen“ in Frage gestellt, relativiert dies die Metrik, da „Von wegen“ sich in das metrisch-lyrische Formprinzip dieses Verses einfügt. Das heißt: Mit der Zeit geht der Lyrik eigentlich nicht ihre Kraft und Überlegenheit im eigentlichen Sinne verloren, sondern sie verändert sich entsprechend der heutigen Gegebenheiten, von der sie als zeitgemäße Lyrik nicht einfach für Grünbein getrennt werden kann. War früher Lyrik in einer monarchischen Herrschaftsform als majestätisch idealisiert, so gelingt dies heute nicht mehr.

Grünbeins Gedichte bestehen meist aus regelmäßigen einzelnen Versmaßen; außer gängigen Versmaßen wie dem Jambus wird man hier kaum etwas anderes finden. Jedoch bricht er die Regelmäßigkeit eines durchgängigen Vermaßes, indem er in seinen Gedichten immer eine eigene Melodie schafft, die ungemein intuitiv ist, weil sie eben mit Aussagen der jeweiligen Stelle korrespondiert.

Wem gegenüber soll der Lyriker nun demütig sein? Die Antwort liefert das folgende Gedicht „Koloß im Nebel“, nachdem der gesamte Band benannt ist. Mit deutlichen Anleihen aus der Prosa unterteilt es sich gewissermaßen in fünf Kapitel. In diesen berichtet das lyrische Ich über eine Schiffsreise im Mittelmeer, die anscheinend Hermes steuert. Dieser erscheint jedoch in moderner, im wahrsten Sinne heruntergekommener Gestalt, wenn es heißt „Weniger der drahtig flinke Adjutant/ Der Götter, Leichtathlet, als eher Sorbas, erdenschwer, der Grieche/“.

Jedoch nur so ist Hermes den Menschen heute so vertraut wie in der Antike. Der Band „Koloß im Nebel“ erreicht bei seiner homerisch erhaben-naiven Eingängigkeit im Wechselspiel zwischen Antike und Moderne damit auch eine poetologische Tiefe.       

 


Durs Grünbeins "Koloß im Nebel" ist erschienen beim Suhrkamp Verlag und kostet 25 Euro.

von Ziad-Emanuel Farag
   

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