Dies ist ein Archiv der ruprecht-Webseiten, wie sie bis zum 12.10.2013 bestanden. Die aktuelle Seite findet sich auf https://www.ruprecht.de

ruprecht-Logo Banner
ruprecht/Schlagloch-doppelkeks-Jubiläum
Am 13.10. feiern wir 25 Jahre ruprecht/Schlagloch und 10 Jahre doppelkeks [...mehr]
ruprecht auf Facebook
Der aktuelle ruprecht
ruprecht vor 10 Jahren
Andere Studizeitungen
ruprechts Liste von Studierendenzeitungen im deutschsprachigen Raum
ruprecht-RSS
ruprecht-Nachrichten per RSS-Feed
 Feuilleton
11.06.2012

Marriage-Plot light

Jeffrey Eugenides’ neuer Roman „Die Liebeshandlung“

Eugenides begleitet seine Charaktere auf ihrer Sinnsuche nach dem Collegeabschluss Anfang der 1980er Jahre. Das neueste Werk des griechischstämmigen US-Schriftstellers ist keine Glanzleistung, allerdings trotzdem durchaus empfehlenswert.

Man soll sich ja nicht schon vom Titel eines Buches abschrecken lassen, doch bei Jeffrey Eugenides‘ neuem Roman mit dem blumig-sperrigen Namen „Die Liebeshandlung“ fällt das zumindest mit der deutschen Übersetzung schwer. Wird hier aus Liebe gehandelt – oder gar mit Liebe? Beim Blick auf den Originaltitel wird deutlicher, was sich der Autor dabei gedacht haben mag: Als „Marriage Plot“ bezeichnet man ein Handlungsmuster, bei dem eine junge Frau nach Überwindung diverser Hindernisse schließlich doch noch den Bund der Ehe mit ihrem Auserwählten schließen kann – was natürlich nicht ohne rührselige Introspektion geht. Dieses Schema bildet auch das Grundgerüst für Eugenides‘ Roman, der zu Beginn der 1980er Jahre spielt und sich um drei Absolventen eines kleinen College in Neuengland dreht.

Die literaturbegeisterte und wohlbehütete Madeleine hat gleich zwei Verehrer: den gutaussehenden, aber sozial inkompatiblen, manisch-depressiven Biologiestudenten Leonard und Mitchell, Schwiegermutterliebling mit Hang zum Mystizismus. Der Roman setzt am Tag der Abschlussfeier ein, gibt diverse Rückblenden auf das Collegeleben und begleitet die drei Protagonisten durch das Jahr nach dem Abschluss. Madeleine und Leonard kommen sich näher, ziehen nach dem Studium zusammen und heiraten. Mitchell ist davon so traumatisiert, dass er eine Pilgerreise nach Europa und Indien unternimmt, um Madeleine zu vergessen und sein Seelenheil zu suchen. 

Doch hier ist der Roman noch nicht vorbei, denn Madeleine kommt immer weniger mit Leonards psychischen Problemen klar. Auch Mitchell merkt schnell, dass sein religiöser Eifer an seine Grenzen stößt. Am Ende trennt sich Leonard (altruistisch motiviert) von Madeleine und Mitchell entsagt (kathartisch und unplausibel) seiner Liebe zur Heldin, die heiratstechnisch mit leeren Händen dasteht – dafür aber mit dem Vorsatz, feministische Literaturwissenschaftlerin zu werden. Das alles kommt daher in einer bunten Mischung aus Rosamunde Pilcher, Reisetagebuch und psychologischer Studie.

In der „Liebeshandlung“ geht es aber nicht nur um Liebe, sondern auch um Literatur und den akademischen Literaturbetrieb. So wird Madeleine zum Beispiel durch zwei Dinge charakterisiert: die Bücher, die sie liest (der Roman beginnt mit einer Bestandsaufnahme ihres Bücherregals), und die Abschlussarbeit, die sie schreibt (natürlich über den „Marriage Plot“). Beides lässt Eugenides augenzwinkernd und manchmal recht plakativ mit dem akademischen Klima der 1980er Jahre kollidieren, wo die Götter nicht mehr Jane Austen oder George Eliot heißen, sondern Jacques Derrida und Roland Barthes.

Eugenides kokettiert in der „Liebeshandlung“ bewusst mit Charakterkonstellationen und Erzählton des viktorianischen „Marriage Plot“-Romans. Allerdings hinterfragt er diesen nicht ernsthaft, sondern bietet lediglich eine Light-Version, die auf die Darstellung existentieller Konflikte und Hindernisse verzichtet – also auf alles, was das Genre spannend macht. Dass Madeleine beispielsweise am Ende des Romans ohne Ehemann dasteht, wäre bei Jane Austen noch ein handfestes Problem gewesen – in der „Liebeshandlung“ bleibt es hingegen ohne gesellschaftliche, finanzielle oder sonstige Konsequenzen. Das kann man als gewagte Modernisierung des „Marriage Plot“ lesen – aber auch einfach als Intensitätsverlust.

Mit der episodisch vor sich hin wabernden Handlung kommt man als Leser nur dann zurecht, wenn man sich ganz auf Eugenides‘ subtile Charakterisierungskunst konzentriert. Hier liegt seine eigentliche Stärke. Plastisch schildert er die inneren Konflikte der Hauptfiguren, zeigt, wie sie sich aus dem sicheren Kokon des Lebens am College in ihr eigenes Leben vorwagen. Leonards Kampf mit der Depression, Mitchells religiöse Sinnsuche und Madeleines Wunsch, sich selbst zu verwirklichen – das alles findet sich in den die Blickwinkel wechselnden Kapiteln des Romans authentisch dargestellt.

Der große amerikanische Roman ist Eugenides wohl nicht gelungen – als einfühlsam geschriebenes Porträt dreier sinnsuchender junger Menschen ist der Roman jedoch durchaus empfehlenswert.  


Jeffrey Eugenides: „Die Liebeshandlung“, Rowohlt Verlag, 624 Seiten, 24,95 Euro

 

von Tim Sommer
   

Archiv Movies 2022 | 2021 | 2020 | 2019 | 2018 | 2017 | 2016 | 2015 | 2014 | 2013 | 2012 | 2011 | 2010 | 2009 | 2008 | 2007 | 2006 | 2005 | 2004