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Interview
19.05.2012
„Eure Generation trägt samtene Fesseln“ Alice Schwarzer über die Illusion der abgeschlossenen Emanzipation Die kontroverse Frauenrechtlerin lässt in ihrer Autobiographie „Lebenslauf“ die ersten 35 Jahre ihres Lebens Revue passieren. Im Rahmen ihrer Lesung im Deutsch-Amerikanischen Institut sprachen wir mit ihr über zwackende Unterhosen, High Heels und Frauenministerin Kristina Schröder. ruprecht: Frau Schwarzer, Sie haben Ihr Leben lang für Gerechtigkeit gekämpft und wurden dafür oft mit Häme belohnt. Wollten Sie mit Ihrer Autobiografie „Lebenslauf“ endgültig das Image der „Männerhasserin“ aus dem Weg schaffen? Alice Schwarzer: Nein, das wäre zu klein gedacht für das eigene Leben. Ich hatte ganz einfach den Eindruck, dass ich langsam unter diesen Klischees völlig verschütt' gehe. Es ist ja in den letzten 37 Jahren nicht weniger geworden, sondern immer mehr. Es war auch ein Befreiungsschlag gegen die Klischees, zu sagen: „Das ist meine Wahrheit!“ Außerdem bin ich auch eine Person der Zeitgeschichte und habe vieles erlebt, was nicht nur für mich persönlich relevant ist. Da dachte ich, dass es gut wäre, einmal ganz genau zu erzählen, wie das war. Nicht zuletzt, um die Frauenbewegung zu verstehen. Ihre Autobiografie ist ein Rückblick auf Ihr Leben. Welche Erfahrungen haben Sie auf Ihrem Weg zum Feminismus besonders geprägt? Ich gehöre zur Generation, die nach dem Krieg aufgewachsen ist, in der die Familienstrukturen nicht mehr intakt waren und viele Umwälzungen passiert sind. Die Männer zogen in den Krieg und die Frauen haben „ihren Mann gestanden“. Und als die Männer zurück kamen, mussten die Frauen wieder nach Hause. Es gibt in der Psychologie die Formulierung des „Auftrags der Mutter“. In meinem Fall war das der Auftrag der Großmutter: „Tu das, was ich nicht tun konnte.“ Wir Töchter dieser ins Haus zurückgeschickten Mütter sind dann raus gegangen in die Welt. Wir haben es getan. War es also einfach das Klima der Zeit? Auch. Ich persönlich bin allerdings als Feministin quasi geboren. Von einem Mann aufgezogen, mit einer Frau, die eigentlich der Kopf der Familie war, sehr politisch und intellektuell. Eine leichte Rollenumkehrung also bei diesem fürsorglichen Großvater und der politischen Großmutter. Für mich war es immer ganz selbstverständlich, dass Frauen auch denken und Männer auch mütterlich sein können. Aber wir Mädchen hatten in den 1950er und 1960er Jahren einfach keine Worte dafür, wir hatten nur ein Unbehagen, wussten aber nicht warum. Irgendwann geriet dann Simone de Beauvoirs „Das andere Geschlecht“ in unser Blickfeld und tauchten Anfang der 1970er Jahre die ersten Bücher der amerikanischen Feministinnen auf. Und da wussten wir: „Das ist gar nicht mein Problem, das ist unser Problem.“ Sie sprechen in Ihrem Buch offen und ehrlich über jede Kritik, die Sie erhalten haben. Hat es Sie manchmal Überwindung gekostet, sich damit noch einmal auseinander zu setzen? Ja. Man wird nicht dickhäutiger, man wird dünnhäutiger. Der Ekel steigt. Man sieht immer mehr die Mechanismen, begreift die Gründe, warum die Leute so verfahren. Es hat Überwindung gekostet, wobei es mir gleichzeitig einen diebischen Spaß gemacht hat. Die Kritik, die Häme, ist oft so offensichtlich voreingenommen, dass sie sich selber überführt. Ich habe da einen ganz guten inneren Mechanismus: Wenn mir jemand ganz blöd kommt, macht mich das stark. Da sage ich mir dann: „Pass mal auf. Dich führe ich jetzt vor!“ Die Kritik an Ihnen geht oft auch unter die Gürtellinie. „Sex einer Straßenlaterne“ und „hässliche Männerhasserin“ sind nur einige Beispiele. Tja. Es ist völlig egal, wie man aussieht. Es geht nicht darum, ob man hässlich ist. Es geht darum, dass unsere Gegner das, was wir sagen, hässlich finden. Und sie tun uns nicht die Ehre an, sich argumentativ mit uns auseinander zu setzen, sondern sie sagen einfach: „Wie du schon aussiehst!“ Und das ist ein tödliches Argument für eine Frau. Das sitzt, das klebt. Und deswegen finde ich es so wichtig, dass man sieht, dass eine wie ich nicht nur überlebt hat, sondern lebt, und zwar ziemlich lebensfroh. Und Sie setzen Ihr Engagement weiterhin mit dieser Lebensfreude fort. Jetzt haben wir eine Bundeskanzlerin, eine Arbeitsministerin, die Beruf und sieben Kinder vereint, und in Kristina Schröder Deutschlands jüngste Ministerin. Sind das nicht alles Beispiele dafür, dass Deutschland in Sachen Emanzipation schon viel geschafft hat? Ja, natürlich. Wir sind mit Siebenmeilenstiefeln voran gegangen. Als ich in eurem Alter war, hätte ich mir niemals vorgestellt, dass wir Frauen mal so einen Raum einnehmen und so uneingeschränkte Rechte haben, zumindest auf dem Papier. Doch man darf nicht vergessen: Die Geschlechterfrage ist eine Machtfrage. Das ist ein Verteilungskampf. Überall da, wo eine Frau hinkommt, muss ein Mann rücken. Und das passiert nicht sang- und klanglos. Da gibt es natürlich Widerstand. Da gibt es Rückschläge. Da gibt es neue Probleme. Wir leben in einer Zeit des Umbruchs. Wir haben mit Fortschritt zu tun, aber gleichzeitig mit Rückschlägen und neuen Gefahren: wie dem Diätwahn oder der allgegenwärtigen Pornografie, die das weibliche Subjekt wieder zum Objekt degradiert. Sie unterstützen die Einführung einer Frauenquote. Doch viele Frauen sagen, dass sie nicht wegen einer Quote, sondern wegen ihrer Qualifikation eingestellt werden möchten. Warum denken Sie dennoch, dass nur eine Quote hilft? Wir wollen alle nicht wegen der Quote eingestellt werden, sondern wegen unserer Qualifikation! Aber ich glaube, wir müssen uns keine Sorgen um die Qualifikation von Frauen machen. Jede Frau weiß, dass sie doppelt so gut sein muss wie ein Mann, wenn sie an die Stelle kommen will, wo er ist. Ich ganz persönlich bin ja ein blendendes Beispiel dafür, dass es auch ohne Quote geht. Um ehrlich zu sein: Ich selbst hatte immer und habe immer noch ein kritisches Verhältnis zur Quote. Es ist nicht ganz unproblematisch, strukturell für eine Gruppe von Menschen Sonderrechte einzuführen. Wo fängt man an, wo hört man auf? Dürfen morgen alle Blauäugigen die doppelte Portion Eis essen? Die Quote ist also nur eine Krücke. Aber wir haben eben in diesen letzten dreißig Jahren erlebt, dass die Gleichheit zwar behauptet wird, es in den Machtetagen aber nicht voran geht. Darum meine ich, dass der Staat vorübergehend eingreifen kann und muss durch Regulierungen und Förderungsmaßnahmen und so weiter. Kristina Schröder greift in ihrem Buch „Danke, emanzipiert sind wir selber!“ den Feminismus an und sagt deutlich, dass der Lebensentwurf einer Frau privat sei und nicht politisch. Macht sie damit ihr Amt nicht überflüssig?
Haben Sie Frau Schröders Buch gelesen? Ich habe es überflogen. Sie ist als Frauenministerin bisher ja nicht so wahnsinnig hervorgetreten mit einer Frauenpolitik. Sie stellt sich außerdem gegen die von außen kommende Initiative mit den Quoten und muss, wenn auch schweren Herzens, auch noch dieses absurde Betreuungsgeld vertreten, wie es die Parteilinie vorgibt. Auch an Universitäten zeigt sich ein Ungleichgewicht zwischen Frauen und Männern. Zwar sind 50 Prozent der Studierenden weiblich, aber 89 Prozent der Hochschulrektoren sind Männer und auch 82 Prozent der Professuren sind noch immer mit Männern besetzt. Setzen sich Frauen einfach nicht durch? Alice Schwarzer: Vermutlich hat man eurer Generation die Illusion vermittelt, alles sei okay. Ihr habt geglaubt: Wir sind doch alle gleichberechtigt. Wenn wir dann tüchtig sind, dann setzen wir uns schon durch. Das läuft aber nicht so. Noch nie hat eine Gruppe von Privilegierten freiwillig ihre Privilegien abgegeben. Ihr müsst kämpfen! Ihr müsst was riskieren! Euch auch mal unbeliebt machen! Emanzipation hat ihren Preis. Es ist nicht alles okay und das ist bei 40 Jahren Feminismus und 4000 Jahren Männerherrschaft auch normal. Also hat die Emanzipation ihrer Ansicht nach noch einen langen Weg vor sich? Leider ja. Ihr habt nicht unseren Leidensdruck, ihr kommt nicht so weit her. Da stehen die Türen offen, aber ihr tragt samtene Fesseln. Und die werden euch auch noch als hoch modisch verkauft – schicke High Heels, mit denen man nicht bis zur Toilette gehen kann oder Unterwäsche, die zwackt. Ihr müsst euch wieder trauen zu sagen: Es stimmt, wir sind Frauen. Es stimmt, wir sind strukturell benachteiligt. Es stimmt, einiges passt uns nicht und hier halt. Ihr müsst auch riskieren, nicht von jedem geliebt zu werden und immer beliebt zu sein. Ich sage euch schon jetzt: Es hat seinen Preis, aber es macht auch Spaß. Es macht stolz, wenn man sagen kann: „Ich habe mich gewehrt. Ich habe was riskiert.“ Ihr könnt eure Fesseln aufknüpfen. Ihr braucht sie nicht mehr zu sprengen wie wir einst. Frau Schwarzer, vielen Dank für das Gespräch.
1971 sorgte Alice Schwarzer mit der „Wir haben abgetrieben“-Aktion für Furore. 374 prominente und nicht prominente Frauen bekannten sich im Stern öffentlich zu einer Abtreibung und richteten sich damit gegen Paragrafen 218 des Strafgesetzbuches. Die Aktion gilt als Meilenstein der deutschen Frauenbewegung. Zudem gründete sie 1977 die Zeitschrift EMMA. Auch 35 Jahre später leitet sie Deutschlands bekanntes feministisches Leitblatt. |