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22.05.2012

Die Spanier gehen auf die Straße

Streiks und Proteste in Barcelona gegen die Arbeitsmarktreformen

Die Proteste haben in Barcelonas Innenstadt deutliche Spuren hinterlassen. / Fotos: Antonio Severien

Klare Zeichen gegen den Kapitalismus: „Konsum bis zum Tod“.

Die spanischen Gewerkschaften riefen zum Streik, die Arbeitnehmer gehorchten. Ende März streikten und demonstrierten landesweit 800.000 Spanier gegen die Arbeitsmarktreformen der Regierung Mariano Rajoy. In Barcelona kam es zu gewaltsamen Protesten. 

Von Claudia Pollok aus Barcelona (Spanien)

Am 29. März war es auffällig ruhig in Barcelona – zumindest in den Morgenstunden. Die Gewerkschaften Comisiones Obreras und Unión General de Trabajadores hatten zum Generalstreik gegen die Reformen aufgerufen, die ihrer Ansicht nach zu Lasten der Arbeitnehmer gehen. So blieben viele Geschäfte und Büros an diesem Tag geschlossen.

Gegen Mittag war es mit der Ruhe dann vorbei: „An der Ecke brennen die Mülltonnen,“ rief einer meiner Kollegen, als er nach seiner Mittagspause das Büro betrat. Auf der Straße bot sich ein Bild, das man in Deutschland nur von Demonstrationen am 1. Mai kennt: An jeder Straßenkreuzung gab es Barrikaden aus brennenden Mülltonnen, Fensterscheiben von Läden und vor allem von Banken waren eingeschlagen, die Häuserfronten mit Graffitis beschmiert. 

Polizei und Feuerwehr versuchten lange, die Situation unter Kontrolle zu bekommen. Bis in die Abendstunden sah man brennende Müllberge in den Straßen und rings um den zentralen Platz der Stadt, die Plaça de Catalunya, standen Reihen von Polizisten, die niemanden durchließen. 

Die Metros fuhren nur selten. Wer arbeiten musste, hatte es schwer an den Arbeitsplatz zu gelangen und auch an den Universitäten fand kein Lehrbetrieb statt. Viele Flüge innerhalb Spaniens und ins europäische Ausland fielen aus und auch der sonstige Fernverkehr war von den Streiks betroffen. 

Die Banken, die besonderes Angriffsziel der Streikenden waren, gaben an, dass etwa 30 Prozent der Angestellten streikten. Große Geschäfte öffneten zwar ihre Türen, aber nur unter Polizeischutz und hatten an diesem Tag nur wenig Kundschaft. Die Müllabfuhr arbeitete seit der Nacht zuvor nicht mehr, so dass die meisten Mülltonnen überquellten. Die Krankenhäuser gewährleisteten eine Minimalversorgung. Auch hier gab es Polizeischutz, da es zu Auseinandersetzungen zwischen Streikenden und Streikbrechern kam. Trotz allem waren nur wenige Bereiche der Wirtschaft lahmgelegt. In den meisten Branchen wurde trotz des Streiks gearbeitet. 

Spanien weist mit 23 Prozent die höchste Arbeitslosenquote der EU auf. Um diese Situation zu verbessern, sieht die Regierung um Ministerpräsident Rajoy von der seit November regierenden Partido Popular drastische Arbeitsmarktreformen vor. Die geplanten Reformen sollen Entlassungen erleichten und verbilligen: Ein spanisches Unternehmen, das mindestens sechs Monate lang Umsatzverluste erleidet, soll in Zukunft einseitig die Löhne senken und die Arbeitszeit verlängern dürfen. Zugleich wird die Höhe der zu zahlenden Abfindungen drastisch reduziert. 

Während die Regierung hofft, durch die Reformen mittelfristig Arbeitsplätze zu schaffen und 27 Milliarden Euro einzusparen, kritisieren die linken Gewerkschaften die Maßnahmen als „ungerecht für die Arbeiter, unwirksam für die Wirtschaft und nutzlos für die Schaffung von Arbeitsplätzen“. Die Arbeitgeber erhielten damit immense Macht bei Lohn- und Vertragsgestaltung, was einem sozialen Rückschritt um 30 Jahre nahekäme. Sie beklagen zudem, dass die Regierung Verhandlungen über die Reforminhalte strikt ablehne. So riefen beide Gewerkschaften zum Streik auf, ein Grundrecht der spanischen Verfassung – dies war von den Führungsorganen einstimmig beschlossen worden. 

Es sei kein Ziel, die Reformen aufzuhalten, sondern einige Zugeständnisse zu erhalten. Im Gegenzug wären die Gewerkschaften dazu bereit, die Maßnahmen auf Kosten der Arbeiter zu akzeptieren. UGT-Präsident Candido Mendez betont: „Wir streiken, weil wir den Streik mit der Debatte im Parlament verbinden müssen, in der es jetzt um Zusätze geht. Der Generalstreik ist nicht das Ziel, sondern ein Mittel zur Korrektur.“ Arbeitsministerin Fatima Báñez (PP) entgegnete, dass die Regierung generell für Verbesserungsvorschläge offen sei, die Reformen aber nicht ändern werde.

Bei landesweit 111 Demonstrationen und Kundgebungen waren laut Gewerkschaften bis zu 85 Prozent aller Beschäftigten im Streik. Andere Gruppen, wie Arbeitslose, Hausfrauen oder Studenten zeigten sich solidarisch und beteiligten sich an den Demonstrationen. Trotzdem sei die Beteiligung „deutlich geringer als beim Generalstreik 2010“. 

Rajoy und die PP sind zwar erst ein halbes Jahr an der Macht, verlieren aber bereits an Halt in der Bevölkerung. Bei Regionalwahlen im April mussten sie schwere Rückschläge einstecken, denn die Wähler unterstützen die neuen Sparpläne nicht so, wie man es sich erhofft hatte.

Die Europäische Union hingegen behauptet, die Kürzungen würden nicht entschlossen genug umgesetzt und EU-Vertreter sollen nun vor Ort dafür sorgen, dass Rajoy nach den Streiks nicht zurückrudert. 

Bei den Demonstrationen gab es über 100 Verletzte, etwa 150 Personen wurden festgenommen. Landesweit rechnet man mit 800?000 Demonstranten, von denen jedoch die wenigsten gewaltsam vorgingen. Am Abend gab es Märsche gegen die geplanten Arbeitsrechtsreformen, in denen die Menschen auch ihrer Wut darüber Ausdruck verliehen, dass die Regierung Versprechen, die im Wahlkampf gegeben wurden, nicht einhielt. 

Rajoy versprach, genau diese Arbeitsmarktreformen nicht zuzulassen, was sicherlich ein Grund für seinen Wahlerfolg war. Es stellt sich allerdings die Frage, ob es angesichts der Krise eine Alternative zu diesen Kürzungen gibt. 
Die Spanier werden jedoch auch zukünftig protestieren: Mitte Mai sollen weitere Streiks stattfinden.

von Claudia Pollok
   

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