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 StudiLeben
28.11.2012

Türkçe biliyor musun?*

In Heidelberg werden kaum Türkischkurse angeboten

Die türkische Sprache führt an der Universität ein Schattendasein. / Montage: Paul Eckartz

Kaum eine Sprache, kaum eine Kultur ist in der gesellschaftspolitischen Debatte präsenter als die türkische. Dennoch ist es in Heidelberg kaum möglich, sich näher mit ihr zu befassen: Es bestehen weder Angebot noch Nachfrage.

In Deutschland leben heute über 1,5 Millionen Menschen türkischer Herkunft. Der Islam gehört mittlerweile zu Deutschland. Und auch wenn dieser letzte Punkt nach wie vor kontrovers diskutiert wird, steht zumindest eines fest: Türkisch ist mit zirka zwei Millionen Sprechern nach Deutsch und neben Russisch und Polnisch eine der am weitesten verbreitete Sprachen hierzulande und somit fester Bestandteil der Alltagskultur.

Wer sich jedoch während seines Studiums in Heidelberg mit der türkischen Sprache und auf diesem Wege eventuell auch mit der Kultur näher befassen möchte, muss feststellen: Dies ist kaum möglich. Weder das Zentrale Sprachlabor oder andere Einrichtungen der Universität, noch die Pädagogische Hochschule bieten Türkischkurse explizit für Hörer aller Fakultäten an.

Nur am Seminar für Sprachen und Kulturen des Vorderen Orients werden im Rahmen des Studiengangs Islamwissenschaft Türkischkurse angeboten. Diese richten sich allerdings primär an Fachstudierende. Überdies bietet die Medizinische Fakultät Mannheim Kurse an, die speziell auf den Krankenhausalltag zugeschnitten sind. An der Pädagogischen Hochschule wurde vor Beginn dieses Semesters ein angebotener Kurs kurzerhand wieder revidiert, wohl mangels Teilnehmern. Eine Stellungnahme der PH hierzu lag bis zum Erscheinen dieses Artikels nicht vor.

Die Universität Heidelberg unterhält Austauschprogramme in der Türkei, sogar einige Erasmus-Partnerschaften bestehen zum Beispiel mit der Technischen Universität Istanbul. Kaum eine Sprache wäre weiterhin für die Lehramtsausbildung an Universität und Pädagogischer Hochschule derart bedeutsam wie Türkisch. Wie also kommt es zu dieser kompletten Nonpräsenz? 

Die Geschäftsführung des Sprachlabors zeigt sich auf Nachfrage sehr auskunftsbereit. Man versuche vor allem möglichst kostendeckend zu arbeiten. Das Sprachlabor finanziert sich überwiegend aus den zentralen Mitteln der Universität, die es vom Rektorat zugewiesen bekommt. Hinzu kommen Zuschüsse, vor allem von der Neuphilologischen Fakultät, und die Qualitätssicherungsmittel, die baden-württembergische Universitäten seit dem letzten Sommersemester als Ersatz für die damals abgeschafften Studiengebühren aus dem Landeshaushalt erhalten.

Ferner decken auch die Kursbeiträge der Studenten, die für einen Kurs mit vier Semesterwochenstunden Umfang normalerweise 80 Euro zahlen, einen Teil der Kosten. Allerdings benötigt ein Kurs mindestens 20 Teilnehmer, um auch nur das mit 1600 Euro pro Semester erschreckend geringe Gehalt des Lehrbeauftragten einzubringen. Um eine weitere Sprache anzubieten, müsse man sich der finanziellen Zwänge wegen also schlicht auf eine gewisse Nachfrage verlassen können. 

Eine Umfrage aus dem Jahr 2006 habe jedoch gezeigt, dass von 1600 befragten Studenten überraschenderweise nur 36 grundlegendes Interesse an Türkischkursen gehabt hätten. Tatsächlich habe man hier eine stärkere Nachfrage erwartet. Stattdessen gewünscht seien vor allem Arabisch und Portugiesisch gewesen. Beide Sprachen werden seither recht erfolgreich angeboten.

Bezüglich Türkisch habe es innerhalb der letzten drei Jahre hingegen erst sieben Nachfragen gegeben, diesen Artikel bereits mit eingerechnet. Auch eine Initiative der Neuphilologischen Fakultät, die 2008 eine Partnerschaft zu einer neugegründeten Universität in der Türkei aufbauen wollte und in diesem Rahmen auch entsprechende Sprachkurse für die Beteiligten erwogen hatte, sei im Sande verlaufen.

Dennoch wäre ein Versuch, Türkisch am Sprachlabor anzubieten, durchaus denkbar. Falls nur das Rektorat die benötigten Mittel zur Verfügung stellen würde. Ein solches Angebot dürfte durchaus auch eine entsprechende Nachfrage schaffen. Doch auch in der Universitätsleitung scheint in dieser Hinsicht keine allzu große Priorität zu bestehen. 
Integration funktioniert nicht nur in eine Richtung. Offenbar zeigen jedoch weder Rektorat noch Studentenschaft irgendein Interesse an einer Sprache, deren Beherrschung einen riesigen Fortschritt in der so erbittert geführten Integrationsdebatte bedeuten könnte.

Das ist ein Armutszeugnis. Erst recht in einer Stadt, die sich seit jeher stets ihrer großen Offenheit und ihres „lebendigen Geistes“ rühmt.

*Übersetzung: Kannst Du Türkisch?

von Paul Eckartz
   

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