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Feuilleton
10.06.2013
"Die Farben der Freiheit" Wenn ein Regionalkrimi zur spannenden Geschichtsstunde wird Es ist kalt und neblig in Heidelberg, und der junge Student Joseph Scheffel ist gerade auf dem Weg zur Vorlesung, als er unerwartet über eine Leiche stolpert. Da ahnt er noch nicht, wie sehr er in den Fall verwickelt werden wird – wie auch in die gewaltigen politischen Umwälzungen seiner Zeit. Geschildert werden sie in einem historischen Kriminalroman mit dem etwas pathetischen Titel "Die Farben der Freiheit" von Birgit Erwin und Ulrich Buchhorn. Deutschland, Mitte des 19. Jahrhunderts: Ein rigides Zensur- und Überwachungssystem hält die überkommene Ordnung aufrecht, Studenten träumen von der Revolution, und die Burschenschaften, in denen sie sich organisieren, sehen sich noch als Vorkämpfer der Demokratie. Das Land ist an der Schwelle zur Moderne – die Industrialisierung beginnt hier gerade –, aber zerfallen in die Fürstentümer des Deutschen Bundes, in denen die Herrscher oft noch wie mittelalterliche Feudalherren über ihre Untertanen gebieten. Jede Opposition bekämpfen sie mit Zensur, Verhaftungen und einem Heer von Spitzeln. Doch im Untergrund gärt es, und vor allem junge Studenten wie Scheffel sehnen sich nach Veränderungen. Allerdings ist auch die Opposition in sich gespalten. Von Kommunisten über Demokraten und Liberale bis hin zu eher konservativen Nationalisten ist fast jede politische Strömung vertreten. Oftmals eint sie nur der gemeinsame Feind. Vor allem zwei große Lager gibt es: Gemäßigte Liberale und radikale Republikaner. Während die ersteren, zu denen auch Scheffel tendiert, für eine konstitutionelle Monarchie wie in England eintreten, würden die letzteren am liebsten alle Fürsten verjagen und eine Republik ausrufen. Bewegte Zeiten also. Kein Wunder, dass bei alledem die Auflösung des Falles eher in den Hintergrund gerät. Klassische Elemente des Krimis wie Spurensuche und Rätselraten über den Täter finden nicht statt, und eigentlich hätte man deshalb die ganze Krimihandlung auch weglassen können. Der Roman bietet stattdessen einen fundierten, differenzierten und ausgesprochen authentischen Einblick in die Jahre 1846 bis 1849, als die Deutschen von der Demokratie träumten, sie schließlich versuchten – und zum ersten Mal daran scheiterten. Orte, Ereignisse und auch Personen sind weitestgehend real, auch Scheffel gab es wirklich; Er wurde später ein bedeutender Schriftsteller. Die ganze Spaltung der Opposition scheint sich in seiner eigenen inneren Zerrissenheit widerzuspiegeln: Er ist hin- und hergerissen zwischen Liebe, Freundschaft und Revolution, zwischen den Erwartungen seines reaktionären Vaters und seinem Wunsch nach Aufbegehren und nicht zuletzt zwischen der gemäßigten und der radikalen Seite seiner eigenen Persönlichkeit. Die aufregenden Ereignisse in Deutschland im Allgemeinen und in Baden im Besonderen bekommt er alle mehr oder weniger direkt mit. Er ist dabei, als in Baden die Revolution ausbricht, die bald auf andere Gegenden in Deutschland überspringt. Als in der Paulskirche das erste deutsche Parlament zusammentritt, ist er Sekretär eines Gesandten. Und er muss aus nächster Nähe erleben, wie die Fürsten ihre Macht schließlich zurückerobern und die letzten badischen Freiheitskämpfer den Kugeln preußischer Soldaten zum Opfer fallen. Selbst lange im Unklaren über das, was er eigentlich will, empfindet er schließlich Bitterkeit über das Scheitern seiner Ideale, ist ihnen aber bis zum Schluss treu geblieben. So hat das Buch zwar kein Happy End zu bieten. Dafür aber führt es den Leser in eine der aufregendsten, spannendsten und hoffnungsvollsten, aber eben auch eine der tragischsten Phasen der deutschen Geschichte.
Autoren: Ulrich Buchhorn, Birgit Erwin |