13.05.2013
Nur Wörter retten ihren Frieden
Herta MĂĽller schreibt zur Selbstvergewisserung
Herta MĂĽller in der Neuen Aula. / Foto: Johanna Mitzschke
Bevor das Wort den Saal betritt, tut dies die Frau. Die zierliche Person trägt eine schlichte schwarze Hose, schwarze Pomps und einen schwarzen Blazer, keinen Schmuck. Hunderte Augenpaare verfolgen den sicheren Schritt der Nobelpreisträgerin auf die Bühne.
Herta Müller lässt sich nur kurz von den Fotografen aufhalten, die sich ihr in den Weg stellen, aber kaum trauen, mehr als dreimal den Auslöser zu drücken. Die Bühne: zwei Stühle, eine Wasserflasche auf dem Boden, das Zierbäumchen im Hintergrund. Auf den Holztisch, neben das leere Glas Wasser, legt Herta Müller die drei Bücher, aus denen sie an diesem Abend im Gespräch mit Frederike Reents, Privatdozentin am Germanistischen Seminar, vorlesen wird.
Die Titel „Niederungen“ (1982), „Der Fuchs war damals schon der Jäger“ (1992), „Herztier“ (1993) und „Atemschaukel“ (2009) sind ihre bekannten Werke. Sie lösen bei den Lesern Erinnerungen aus: Lesestunden bei Gänsehaut und Erheiterung, Erleichterung und Bedrohlichkeit. Müllers Werke, die kunstvolle Kompositionen ihrer Leidenschaft – dem Wörtersammeln – sind, wurden vielfach ausgezeichnet. Herta Müllers Romane sind eng mit ihrer Biografie verknüpft. In ihren Werken fiktionalisiert die Autorin ihre Erfahrungen in der rumänischen Diktatur unter dem Staatschef Nicolae Ceau?escu.
Für die „Atemschaukel“ erhielt Herta Müller 2009 den Nobelpreis für Literatur. Es ist ein Gemeinschaftswerk, das sie mit dem Lyriker Oskar Pastior verfasst hat. Dazu bereiste sie mit ihm die Stationen seiner Zwangsarbeit in einem Arbeitslager in der UdSSR: „Was Beton, Schnee und Kohle sind, davon hat man eine ganz andere Vorstellung, wenn man einmal da war.“
Im rumänischen Nitzkydorf wuchs Herta Müller als Teil einer deutschen Minderheit auf. Damals konnte sie sich in der Zukunft nicht als Autorin sehen. „Schriftsteller wird man nicht einfach so“, sagt die Autorin, und bittet um etwas Wasser. Doch seit sie dem rumänischen Geheimdienst ihre Zusammenarbeit verweigerte, hatten es die Politfunktionäre auf sie abgesehen. In dieser Situation erkannte Herta Müller das Schreiben als letztes Mittel zur Selbstvergewisserung. Nach ihrem Studium der Germanistik und Rumänistik arbeitete sie als Übersetzerin in einer Maschinenfabrik. Auch dort war die Sprache ihre einzige Waffe, um sich gegen die Sticheleien ihres Vorgesetzten zur Wehr zu setzen.
„In Kontakt mit dem Schriftstellerkreis bin ich über Richard Wagner gekommen“, erzählt Müller. Die Künstler lasen ihre Texte gegen, kritisierten und lobten einander. „Es flossen so manches Mal die Tränen“, erinnert sich Herta Müller. Aus dieser Zeit stammt ihr Debütroman: „Niederungen“, das 1982 in zensierter Form erschienen ist. „Worte wie Koffer, oder Russland durften nicht erscheinen“, erklärt sie. Inzwischen ist es dem Techniker gelungen, das Summen im Mikrofon auszuschalten, sodass auch das letzte bisschen Anspannung vom Publikum abgefallen ist.
Als Herta Müller zu lesen beginnt, senkt sie ihre Stimme. Die Autorin liest, als wären die Wörter ihr Eigentum. Der Wortklang folgt einer einfachen Melodie, ohne übertriebene Betonung und eingefärbt von Banater Dialekt. So sachlich und schlicht wie sie schreibt, so liest Herta Müller auch. Kein Wort scheint ein anderes zu brauchen, jedes hat seinen eigenen Charakter. Insbesondere ihre Klebegedichte sind geprägt von der Einzigartigkeit eines jeden Wortes. Herta Müllers Poesie sind Kollagen aus Wörtern, die sie gesammelt und zusammengeklebt hat. Sie ist eine Wortkennerin. Ihre Wortsammlungen hat sie archiviert, sie bestücken acht Schränke. Eine Wortschöpferin ist sie auch. Neologismen wie der Titel „Herztier“ haben die Moderne Literatur revolutioniert und ihr neue Dimensionen der Vorstellungskraft eröffnet.
von Johanna Mitzschke